Auszüge aus der Auswertung des BIBB Expertenmonitors „Inklusive Berufsausbildung“ von Ruth Enggruber, Julia Gei, Petra Lippegaus-Grünau und Joachim Gerd Ulrich:
„…Fast drei Viertel aller Befragten (73%) plädieren für das weite Verständnis … Allerdings bestehen in dieser Frage Diskrepanzen zwischen den Sozialpartnern: Alle Gewerkschaftsvertreter sprechen sich für den weiten Begriff aus, während es bei den Experten aus den Arbeitgeber-/Wirtschaftsverbänden nur 25% und bei den Fachleuten aus den Kammern auch �nur‘ 48% sind. Konsequenterweise sind es auch die Vertreter der Kammern (43%) und der Arbeitgeber-/Wirtschaftsverbände (58%), die verstärkt befürchten, dass das weite Verständnis von Inklusion zu einer Vernachlässigung der spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen führen könnte, während diese Sorge nur 29% aller Befragten äußert …
Unabhängig von diesen Unterschieden erklären 78% aller Befragten und damit mehr als drei Viertel, dass sie sich bereits häufiger oder sehr oft mit Fragen von Inklusion auseinandergesetzt haben … Deshalb kann hier davon ausgegangen werden, dass die grundsätzlichen Meinungen, die die Experten zu inklusiver Berufsausbildung und entsprechenden Handlungsvorschlägen geäußert haben, auf breiten Informationen basieren, wenn sie überwiegend optimistisch die Realisierbarkeit und den Nutzen inklusiver Berufsausbildung einschätzen … So gehen 70% davon aus, dass inklusive Berufsausbildung zu mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland führen könnte, und nur 14% halten sie „Alles in Allem“ für nicht umsetzbar.
Dabei werden jedoch auch mögliche negative Folgen berücksichtigt wie die Überforderung der Berufsschulen (60% befürchten dies) und Betriebe (61%) sowie die Risiken möglicher Stigmatisierung durch eine schulische oder außerbetriebliche Berufsausbildung, wenn den Jugendlichen nicht in ausreichendem Maß Lehrstellen in Betrieben angeboten werden (44%). Auch die eventuell sinkende Ausbildungsbereitschaft der Betriebe in Folge der Einführung inklusiver Berufsausbildung wird von 36% der Befragten erwähnt, wobei hier wiederum die Experten aus den Arbeitgeber-/Wirtschaftsverbänden mit 58% besonders skeptisch sind.
Qulitätsverbesserung oder grundlegende instituionelle Weiterentwicklung?
Trotz der überwiegend positiven Meinungen zu inklusiver Berufsausbildung verweisen die Befragungsergebnisse zu den Handlungsvorschlägen allerdings darauf, dass es zu ihrer Umsetzung zwei unterschiedliche Positionen unter den Experten gibt: Die eine Gruppe befürwortet eher Handlungsvorschläge, die mit grundlegenden institutionellen Weiterentwicklungen verbunden sind, der andere, größere Teil der Fachleute setzt auf Qualitätsverbesserungen der dualen Berufsausbildung, um sie inklusiv im weiten Sinne zu gestalten … Während die Zustimmungsquote zu institutionellen Weiterentwicklungen bei allen Experten allerdings nur Werte zwischen 43% und 63% erreicht, fällt sie zu den Qualitätsverbesserungen mit einer Spannbreite zwischen 54% und 90% deutlich höher aus. Somit scheinen die Fachleute überwiegend die Handlungsvorschläge für eine inklusiv gestaltete duale Berufsausbildung zu bevorzugen, die nicht mit grundlegenden Änderungen verbunden sind, sondern lediglich auf Qualitätsverbesserungen abzielen.
Zudem ist herauszustellen, dass die höchsten Zustimmungsquoten auf die Vorschläge zu Qualitätsverbesserungen in den Berufsschulen entfallen, wie auf die stärkere Individualisierung des Berufsschulunterrichts (90%) oder ihre Ausstattung mit sozial- und sonderpädagogischen Fachkräften, um bei Bedarf die Auszubildenden individuell fördern zu können (89%) … Im Gegensatz dazu findet das Modell der assistierten Ausbildung, das auch die Betriebe betrifft, mit 65% eine deutlich geringere Zustimmung. Außerdem wird auch der Vorschlag, in allen Kommunen Organisationseinheiten für Bildungsmanagement sowie Bildungsmonitoring anzusiedeln, so dass kontinuierlich geprüft wird, ob alle Jugendlichen mit einem vollqualifizierenden Ausbildungsplatz entsprechend versorgt wurden, nur von gut der Hälfte der Fachleute (54%) befürwortet. Insbesondere die Experten aus den Arbeitgeber-/Wirtschaftsverbänden (33%) und Kammern (36%), aber auch aus den Betriebe (45%) können dieser Anregung am wenigsten abgewinnen. …
Die Heterogenität der Positionen verweist aber zumindest auf das Problem, dass bei der Organisation der dualen Berufsausbildung die Bedürfnislagen der Betriebe und der Jugendlichen keinesfalls in allen Angelegenheiten im Einklang miteinander stehen. Dies trifft erst recht auf ein Thema wie das der „Inklusion“ zu, das die Bedürfnisse der Jugendlichen als Ausbildungsinteressierte unmissverständlich und kompromisslos priorisiert und institutionelle Anpassungsleistungen vor allem auf Seiten der Ausbildungsplatzanbieter verlangt. …
Reformvorschläge zur dualen Berufsausbildung, die … als jugend- bzw. biografiezentriert bezeichnet wurden, stießen somit zum Teil zumindest auf begrenzte Zustimmung. So werden grundlegende institutionelle Veränderungen wie z.B. die Verpflichtung der Betriebe, die von Jugendlichen in vorherigen Ausbildungsgängen erworbenen Qualifikationen zeitlich auf eine Berufsausbildung anzurechnen, von einer größeren Minderheit befürwortet (43%). Eine recht hohe Zustimmung findet mit 67% die Position, dass jedem jungen Menschen eine Berufsausbildung im angestrebten Berufsfeld ermöglicht werden soll.
Bei rund 80% aller Befragten überwiegt die Meinung, dass der Lernort „Betrieb“ am besten dazu geeignet ist, den Jugendlichen Handlungskompetenzen zu vermitteln. Nur 10% halten die Bedeutung dieses Lernortes für die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen für überschätzt. …
Curriculare Flexibilisierung und Modularisierung
Da für die inklusive Gestaltung der dualen Berufsausbildung gefordert ist, die jungen Menschen ihren heterogenen Ausbildungsvoraussetzungen entsprechend individuell zu fördern und ihre Ausbildungserfolge flexibel zertifizieren zu können, wurden die Fachleute nach ihren Meinungen zur zeitlichen, didaktischen und curricularen Flexibilisierung und Modularisierung gefragt. Je nach Ausgestaltung betreffen sie das institutionell fest in Deutschland verankerte Leitprinzip der Beruflichkeit. Dabei erachten 65% die bisher gegebenen Möglichkeiten grundsätzlich als ausreichend, 62% können sich Weiterentwicklungen unter Beibehaltung des Berufsprinzips vorstellen … Im Gegensatz dazu haben sich nur 42% für eine modulare Strukturierung ausgesprochen, mit der unterhalb des Berufsabschlusses allgemein anerkannte und standardisierte Qualifizierungsnachweise möglich sind. Diese Meinung wird vor allem von den Gewerkschaften abgelehnt, während sie insbesondere von den Vertretern der überbetrieblichen Bildungsstätten (69%) befürwortet wird. …“
Die Auswertung des Expertenmonitors in vollem Textumfang inkl. aller diskutierten Handlungsempfehlungen entnehmen Sie dem Anhang.
Quelle: BIBB
Dokumente: bericht_expertenmonitor_2013.pdf