Mehr Chancen für Jugendliche mit Migrationshintergrund gefordert

Auszüge aus den Analysen zu Ausbildungschancen für Jugendliche mit Migrationshintergrund von Ursula Beicht, Mona Grantato und Stephanie Matthes im WISO direkt:
“ Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt zeichnet sich zunehmend durch ein Paradox aus. In den vergangenen Jahren haben sich sowohl die Besetzungsprobleme von Betrieben als auch die Versorgungsprobleme von Jugendlichen mit einem betrieblichen Ausbildungsplatz verschärft: Während 2009 zum Stichtag 30.9. nur 17.300 angebotene Ausbildungsplätze unbesetzt blieben, waren es 2013 mit 33.500 fast doppelt so viele: 6,2 Prozent des betrieblichen Angebots an Ausbildungsplätzen blieb unbesetzt. Gleichzeitig verschlechterte sich seit 2012 die Lage der Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen. Der Anteil der Lehrstellenbewerber und -bewerberinnen, der zum Stichtag 30.9. immer noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hatte, stieg in diesem Zeitraum von 11,3 Prozent auf 13,6 Prozent und umfasste nun 83.600 Personen.

Hintergrund für diese scheinbar widersprüchlichen Entwicklungen sind Passungsprobleme, insbesondere auf regionaler und beruflicher Ebene. (…) In den meisten Regionen Bayerns gibt es nur wenig Probleme, ausbildungsinteressierte Jugendliche in Ausbildung zu vermitteln, in vielen Regionen Nordrhein-Westfalens ist dies deutlich schwieriger: In den Arbeitsagenturbezirken Recklinghausen und Detmold mündeten 2013 nur knapp unter 50 Prozent aller ausbildungsinteressierten Jugendlichen in Ausbildung ein. Gleichzeitig zeigen sich große Differenzen zwischen verschiedenen Ausbildungsberufen hinsichtlich des Anteils erfolglos suchender Bewerber und Bewerberinnen und erfolglos Ausbildungsplätze anbietender Betriebe. (…)

Problematisch sind diese aktuellen Entwicklungen vor allem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in Deutschland. (…) Jugendliche mit Migrationshintergrund, die bisher deutlich seltener eine duale Berufsausbildung absolvieren als diejenigen ohne Migrationshintergrund, stellen somit eine wichtige und zu selten genutzte Qualifikationsreserve dar. Doch wie sind derzeit ihre Chancen auf dem Ausbildungsmarkt?

Ausbildungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
(…) Der Erfolg bei der Ausbildungssuche hängt relativ stark vom Schulabschluss eines Jugendlichen ab. Je höher dieser ausfällt, desto besser sind normalerweise die Chancen. Bewerber und Bewerberinnen mit Migrationshintergrund verfügten mit 39 Prozent deutlich öfter über maximal einen Hauptschulabschluss als diejenigen ohne Migrationshintergrund mit 30 Prozent. Dagegen hatten sie seltener einen mittleren Schulabschluss erreicht (45 Prozent gegenüber 51 Prozent). Jedoch waren die geringeren Erfolgsaussichten der Bewerber und Bewerberinnen mit Migrationshintergrund bei weitem nicht allein auf diese Unterschiede zurückzuführen. Vielmehr mündeten sie auch bei gleichem Schulabschluss erheblich seltener in betriebliche Ausbildung ein: Von den Migranten und Migrantinnen mit maximal einem Hauptschulabschluss waren es lediglich 26 Prozent, dagegen 34 Prozent der vergleichbaren Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Noch größere Abweichungen gab es bei einem mittleren Schulabschluss: Nur 29 Prozent der Bewerber und Bewerberinnen mit Migrationshintergrund, aber 48 Prozent derjenigen ohne Migrationshintergrund erhielten eine betriebliche Ausbildungsstelle. (…)

Die Einmündungschancen in betriebliche Ausbildung werden neben dem Schulabschluss von vielfältigen weiteren Faktoren beeinflusst. So wirken sich z. B. gute Noten in Deutsch und Mathematik auf dem Schulabgangszeugnis positiv aus. Für Bewerber und Bewerberinnen mit Migrationshintergrund erhöhen sich die Chancen merklich, wenn sie durch einen Berufseinstiegsbegleiter bzw. eine Berufseinstiegsbegleiterin bei der Berufswahl und Ausbildungssuche unterstützt werden; für Jugendliche ohne Migrationshintergrund zeigt sich kein solcher Effekt. Die Teilnahme an einer betrieblichen Einstiegsqualifizierung verbessert die Erfolgsaussichten für beide Gruppen deutlich. Von großer Bedeutung ist zudem die Lage auf dem Ausbildungsmarkt in der Wohnregion der Bewerber und Bewerberinnen. (…)

Die Unterschiede in den Erfolgsaussichten lassen sich auch nicht durch ein abweichendes Berufswahlverhalten erklären. Zwar konzentrieren sich Bewerber und Bewerberinnen mit Migrationshintergrund bei ihrer Ausbildungssuche häufiger auf stark nachgefragte Dienstleistungsberufe als Jugendliche ohne Migrationshintergrund, wobei sie vor allem an der Berufsgruppe der Waren- und Dienstleistungskaufleute größeres Interesse haben. An Fertigungsberufen – außer an Metall- und Elektroberufen – sind sie dagegen weniger interessiert als Bewerber und Bewerberinnen ohne Migrationshintergrund. In allen Berufsgruppen – ausgenommen den Bau- und Holzberufen – sind die Aussichten für Migranten und Migrantinnen auf eine betriebliche Ausbildungsstelle deutlich geringer als für Jugendliche ohne Migrationshintergrund.

(…) Es kann nicht damit gerechnet werden, dass sich die Schwierigkeiten junger Migranten und Migrantinnen auf dem Ausbildungsmarkt von selbst lösen werden. (…)

Schlussfolgerungen
Die Versorgungsprobleme gerade von Jugendlichen mit Migrationshintergrund mit Ausbildungsplätzen, aber auch der zu erwartende demografische Umbruch weisen deutlich auf entsprechenden Handlungsbedarf hin: ## Ausbildung für alle Jedem Schulabgänger und jeder Schulabgängerin ist bei Interesse an einer Berufsausbildung direkt im Anschluss an die allgemeinbildende Schulzeit ein vollqualifizierender Ausbildungsplatz anzubieten. Hierbei hat die betriebliche Ausbildung eine hohe Priorität. (…)
## Begleitung im Übergangsprozess Der Ausbau einer aktiven, kontinuierlichen Begleitung durch einen geschulten „Paten“ bzw. eine geschulte „Patin“ mit Vorbildfunktion durch den gesamten Orientierungs-, Übergangs- und Qualifizierungsprozess als Instrument der Regelförderung kann bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund erheblich zum Gelingen des Übergangs Schule – Beruf beitragen. (…)
## Zweite Chance für alle Angesichts der geringeren Einmündungschancen haben junge Erwachsene mit Migrationshintergrund dreimal so oft wie diejenigen ohne Migrationshintergrund keinen anerkannten Berufsabschluss (ohne Migrationshintergrund 10,8 Prozent, mit Migrationshintergrund 35,4 Prozent). Erheblich stärker als bisher sind daher die in Pilotprojekten erfolgreich erprobten Verfahren der „zweiten Chance“ zur Nachqualifizierung in einem anerkannten Beruf für junge Erwachsene mit und ohne Migrationshintergrund zu nutzen. Eine berufliche Nachqualifizierung – die an den bisherigen beruflichen
Erfahrungen und Kompetenzen junger Erwachsener anknüpft – gilt es flächendeckend auszubauen, um den jungen Ungelernten mit und ohne Migrationshintergrund in der Altersgruppe 25 bis 35 ein Angebot zur beruflichen Nachqualifizierung in einem anerkannten Beruf zu unterbreiten “

Quelle: WISO direkt

Ähnliche Artikel

Gesetz soll UBSKM strukturell sichern

Die Strukturen einer oder eines Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) sind bisher nicht auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Es fehlt zudem eine

Skip to content