Verdrängen Abiturienten Hauptschüler vom Ausbildungsmarkt?

Auszüge aus der BIBB-Analyse „Doppelte Abiturjahrgänge: Veränderte Chancen für Jugendlicheam Ausbildungsmarkt“ von Ursula Beicht:
“ Im Jahr 2012 gab es aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge in vier Bundesländern insgesamt deutlich mehr Studienberechtigte, die eine Ausbildung im dualen System anstrebten. Da sich die Situation auf dem Ausbildungsmarkt im Jahr 2012 nicht so günstig wie erwartet entwickelte, war zumindest für einzelne Bewerbergruppen – insbesondere für jene mit weniger günstigen schulischen Voraussetzungen – eine Verschlechterung der Ausbildungschancen zu befürchten.

Durch die doppelten Abiturjahrgänge in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg und Bremen im Jahr 2012 stieg die Zahl der bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten Ausbildungsstellenbewerber/-innen mit einer Studienberechtigung beträchtlich an: Sie erhöhte sich von 108.296 im Vermittlungsjahr 2009/2010 auf 128.640 im Vermittlungsjahr 2011/2012, und damit um immerhin 18,8 Prozent. …
Das bei der BA gemeldete Angebot an betrieblichen Ausbildungsstellen steigerte sich hingegen deutlich: Es lag im Jahr 2012 mit 478.593 Stellen um 12,4 Prozent höher als 2010 mit 425.633 Stellen. Gleichzeitig verringerte sich die Zahl der gemeldeten außerbetrieblichen Ausbildungsstellen um immerhin 33,5 Prozent – von 57.886 im Jahr 2010 auf 38.493 im Jahr 2012. Ihr Anteil an allen gemeldeten Ausbildungsstellen (2010: 483.519, 2012: 517.086) verkleinerte sich damit von 12,0 Prozent auf 7,4 Prozent.

Wie sich die Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz durch diese Entwicklungen je nach Schulabschluss der Bewerber/-innen veränderten, ließ sich anhand der offiziellen statistischen Datenquellen nicht klären. Nachteile waren bei allen Schulabschlussniveaus denkbar. …

Einmündungsquoten in betriebliche Ausbildung
Nach den Ergebnissen einer BA/BIBB-Bewerberbefragungen nahm der Anteil studienberechtigter Bewerber/-innen an allen Ausbildungsstellenbewerberinnen und -bewerbern im Jahr 2012 um 3,3 Prozentpunkte gegenüber 2010 zu (von 13,0 % auf 16,3 %). Dagegen reduzierte sich der Anteil der Bewerber/-innen mit maximal Hauptschulabschluss um 2,5 Prozentpunkte (von 35,1 % auf 32,6 %).
Im Jahr 2012 mündeten insgesamt 39,8 Prozent der Bewerber/-innen in eine betriebliche Ausbildung ein, womit sich der Anteil gegenüber 2010 um 1,2 Prozentpunkte erhöhte. …
Die Einmündungsquote der Bewerber/-innen, die maximal einen Hauptschulabschluss aufwiesen, war jeweils mit Abstand am geringsten. Allerdings verbesserte sie sich im Jahr 2012 um immerhin 4,4 Prozentpunkte gegenüber 2010 (von 27,0 auf 31,4%). Für Bewerber/-innen mit einem mittleren Schulabschluss veränderte sich die Übergangswahrscheinlichkeit in betriebliche Ausbildung mit jeweils 43,7 Prozent dagegen nicht. Für studienberechtigte Bewerber/-innen sank die Einmündungsquote mit 6,4 Prozentpunkten deutlich. Während sie 2010 (mit 52,1%) noch mit Abstand am häufigsten eine betriebliche Ausbildung aufnehmen konnten, waren sie im Jahr 2012 (mit 45,7%) nicht viel erfolgreicher als Bewerber/-innen mit mittlerem Schulabschluss. …

Veränderung der Übergangschancen
… Werden alle potenziellen Einflussgrößen berücksichtigt, gab es im Jahr 2012 gegenüber 2010 insgesamt keine signifikante Erhöhung der Einmündungschancen in betriebliche Ausbildung. Bezogen auf beide untersuchten (Vermittlungs-)Jahre zusammen waren bei einem mittleren Schulabschluss die Aussichten auf einen erfolgreichen Übergang um 69,7 Prozent höher als bei maximal Hauptschulabschluss und bei Vorliegen einer Studienberechtigung sogar um 152,6 Prozent höher.

Um festzustellen, wie sich die Einmündungschancen der Bewerber/-innen bei den unterschiedlichen Schulabschlüssen 2012 im Vergleich zu 2010 verändert haben, musste die Interaktion zwischen (Vermittlungs-)Jahr und Schulabschluss berücksichtigt werden. …
Somit wird zum einen erkennbar, dass sich für Jugendliche mit maximal einem Hauptschulabschluss die Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz im Jahr 2012 gegenüber 2010 signifikant verbesserten, und zwar um 20,6 Prozent. Zum anderen zeigt sich, dass sich gleichzeitig für Bewerber/-innen mit mittlerem Schulabschluss die Chancenvorteile im Vergleich zu jenen mit maximal einem Hauptschulabschluss signifikant um 20,2 Prozent verringerten. Bei Studienberechtigten gab es sogar einen signifikanten Rückgang um 35,1 Prozent.

Um zu verdeutlichen, dass diese Entwicklung tatsächlich in einem Zusammenhang mit den doppelten Abiturjahrgängen steht, erfolgten schließlich noch zwei getrennte Analysen für Bundesländer mit und ohne doppeltem Abiturjahrgang in den Jahren 2012 und 2011. Demnach war in den Ländern mit doppelten Abiturjahrgängen eine signifikante Verringerung der Chancenvorteile, die studienberechtigte Bewerber/-innen beim Übergang in betriebliche Ausbildung im Vergleich zu denjenigen mit maximal einem Hauptschulabschluss hatten, um 51 Prozent zu verzeichnen. In den Ländern ohne doppelte Abiturjahrgänge verminderten sich dagegen die Chancenvorteile Studienberechtigter nicht signifikant. …

Bemerkenswert ist, dass die Aussichten auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz für Bewerber/-innen mit maximal Hauptschulabschluss im Jahr 2012 nicht ab-, sondern sogar deutlich zugenommen haben. Eine negative Auswirkung des massiven Abbaus außerbetrieblicher Ausbildung machte sich also nicht bemerkbar. Vielmehr konnten die Bewerber/-innen mit niedrigeren schulischen Voraussetzungen von der Zunahme betrieblicher Ausbildungsstellenangebote profitieren. Diese gab es wohl vermehrt in solchen Berufen, die für Jugendliche mit höheren und mittleren Schulabschlüssen weniger attraktiv sind. Ein Verdrängungsprozess zuungunsten von Bewerberinnen und Bewerbern mit maximal Hauptschulabschluss fand daher nicht statt. … „

Der komplette Aufsatz ist zu lesen in der Zeitschrift bzw. im Internetangebot der Zeitschrift BWP6/2013 – ISSN 0341-4515.

Quelle: BIBB

Ähnliche Artikel

Cover des Kinder- und Jugendhilfereports

Kinder- und Jugendhilfereport 2024 erschienen

Der „Kinder- und Jugendhilfereport“ (KJH-Report) bündelt wichtige statistischen Daten zur gesamten Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland und verdichtet sie zu Kennzahlen. Basierend darauf liefert der

Skip to content