UMF auch über die Volljährigkeit hinaus unterstützen

Auszüge aus dem IAB-Kurzbericht zur Ausbildung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen von Angela Bauer und Franziska Schreyer:
„(…) Die Bundesregierung zählt unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu den schutzbedürftigsten Gruppen überhaupt. Nach dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen haben sie das Recht, dem Kindeswohl entsprechend untergebracht, versorgt und betreut zu werden. Da nur ein Teil von ihnen Asyl beantragt und rechtlich als Flüchtling anerkannt wird, wird im Folgenden der Begriff der unbegleiteten Minderjährigen verwandt. Viele, die als Kinder oder Jugendliche ohne Angehörige eingereist sind, münden erst nach Erreichen der Volljährigkeit in Ausbildung, der Begriff der unbegleiteten Minderjährigen wird im Folgenden auch in diesen Fällen genutzt.

In Deutschland angekommen, treffen unbegleitete Minderjährige auf eine Aufnahmegesellschaft im Wandel. Dies gilt unter anderem für den Ausbildungsmarkt: Seit 2008, beginnend mit dem Aktionsprogramm „Beitrag der Arbeitsmigration zur Sicherung der Fachkräftebasis“ der Bundesregierung, wird er für bislang ausgeschlossene Flüchtlingsgruppen geöffnet.

Viele unbegleitete Minderjährige sollen die „Möglichkeit erhalten, durch Zugänge zu Angeboten formaler und non-formaler Bildung ihre Potenziale zu entfalten und sich in die Gesellschaft einzubringen“. Diejenigen, deren Asylantrag noch bearbeitet wird oder die aufenthaltsrechtlich geduldet sind, können ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine betriebliche Ausbildung aufnehmen. Im Duldungsstatus können unbegleitete Minderjährige nun Berufsausbildungsbeihilfe leichter beziehen. Mit Ausbildung steigen ihre Chancen, aus der unsicheren Duldung in eine Aufenthaltserlaubnis zu wechseln. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unterstützt unter anderem die Integration von unbegleiteten Minderjährigen in Ausbildung mit den Modellprogrammen „Arbeitsmarktliche Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge“ (…).

Seit Herbst 2015 wird der Ausbildungsmarkt teils aber wieder geschlossen. So ist es vielen unbegleiteten Minderjährigen aus als sicher definierten Herkunftsstaaten (z. B. Kosovo, Bosnien und Herzegowina oder Senegal) untersagt, eine betriebliche Ausbildung aufzunehmen (…).

Schwierigkeiten, Ausbildungsstellen zu besetzen, melden vor allem kleine und ostdeutsche Betriebe. Unbegleitete Minderjährige können zum Abbau dieser Besetzungsprobleme beitragen. Welche Faktoren spielen bei ihrer Integration in Ausbildung eine wichtige Rolle? Wie können die jungen Menschen und die Ausbildungsbetriebe unterstützt werden? Ein qualitatives Forschungsprojekt des IAB untersucht diese Fragen. (…)

Regionaler Ausbildungsmarkt, Berufsschulen und Bildung
Unbegleitete Minderjährige werden über das Bundesgebiet verteilt. Aufgrund eines unterschiedlichen Unterstützungs- und Stellenangebots kann es allerdings sehr bedeutsam sein, wo sie jeweils untergebracht werden. Die Wohnortzuweisung beeinflusst auch ihre Teilhabe an berufsschulischen Angeboten. Zum Beispiel baut die Hansestadt Hamburg (2015) seit Februar 2016 ein ganztägiges Schulangebot auf mit Sprachförderung und Betriebspraktika für Neuzugewanderte zwischen 16 und 18 Jahren unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Das Bildungsangebot soll auf eine Ausbildung vorbereiten. In Bayern schließt die zwölfjährige Schulpflicht explizit Fluchtmigranten mit ein und berufsschulische Perspektiven werden auch nach der Volljährigkeit eröffnet. Unbegleitete Minderjährige mit sehr unterschiedlicher Vorbildung können in Berufsintegrationsklassen (Sprach-)Kompetenzen ausbauen, einen deutschen Schulabschluss erwerben und sich beruflich orientieren. Aber nicht überall gibt es ein flächendeckendes berufsschulisches Regelangebot für die Zielgruppe und die Schulpflicht endet in manchen Bundesländern im Alter von 18 Jahren. (…)

Ausbildungsbetriebe
Betriebe setzen sich den interviewten Experten zufolge teilweise stark für unbegleitete Auszubildende mit Fluchthintergrund ein. (…)

Wenn die Ausbildung noch andauert und in angemessenem Zeitraum mit dem Ausbildungsabschluss zu rechnen ist, kann seit einer Rechtsänderung im Jahr 2015 eine Duldung für jeweils ein Jahr verlängert werden. Der Gesetzgeber will damit vor dem Hintergrund ehedem teils sehr kurzer Duldungsdauern Auszubildenden und Betrieben mehr Planungssicherheit geben. Dadurch ist die Aufenthaltssicherung für junge Geduldete aber zunehmend an den Ausbildungserfolg und Verbleib im Betrieb gebunden. Das Recht verleiht Ausbildungsbetrieben damit eine besondere Machtposition. Experten schildern, dass in Einzelfällen die Gefahr von Ausbeutung bestünde; (…)

Volljährigkeit und Folgen
Wie sich der Übergang in Volljährigkeit gestaltet, hängt stark vom Aufenthaltsstatus ab. Asylberechtigte und nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannte Flüchtlinge zum Beispiel haben eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre mit uneingeschränktem Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und können anschließend eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erhalten. Bei geduldeten unbegleiteten Minderjährigen hingegen entfällt mit der Volljährigkeit der spezifische Abschiebeschutz; eine Ausbildung kann den Aufenthalt zumindest vorläufig sichern. Bei jungen Menschen mit Gestattung oder Duldung steigt mit der Volljährigkeit das Risiko, in einer Gemeinschaftsunterkunft leben zu müssen. Die damit häufig verbundenen Erschwernisse (hohe Lärmpegel auch nachts,
Enge, kein persönlicher Rückzugsraum) schildern Experten als Hemmnis bei Lernen und Ausbildung.

Unabhängig vom jeweiligen Status gilt für alle unbegleiteten Minderjährigen, dass mit ihrer Volljährigkeit die Betreuung durch die Jugendhilfe entfällt. Zwar soll eine Nach- bzw. Weiterbetreuung erfolgen, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation der jungen Menschen notwendig ist (§ 41 SGB VIII). In der Praxis wird dies Experten zufolge vor Ort recht unterschiedlich gehandhabt. Abrupte Hilfeabbrüche können die Ausbildung gefährden. (…)

Fazit
Unbegleitete Minderjährige sind eine Gruppe, die nicht zuletzt rechtlich als besonders schutzwürdig gilt. Zunehmend wird ihr Potenzial wahrgenommen, etwa für Ausbildungsbetriebe mit wachsenden Schwierigkeiten bei der Besetzung ihrer Ausbildungsstellen. (…) In einigen Bundesländern bauen Berufsschulen Regelangebote unter anderem für unbegleitete Minderjährige auf, die sie auf eine Ausbildung vorbereiten, teils auch nach der Volljährigkeit. Die Jugendhilfe unterstützt unbegleitete Minderjährige, allerdings oft nur bis zur Volljährigkeit. Diese Begrenzung kann Aufnahme und Verbleib in Ausbildung gefährden. Die interviewten Experten empfehlen eine Unterstützung über die Volljährigkeit hinaus.

Integration braucht Zeit, rechtlich ist sie momentan für unbegleitete Jugendliche, die häufig erst im Alter von 16 oder 17 Jahren einreisen, oft nicht gegeben. Hilfreich wäre es, wenn bundesweit die Schulpflicht nicht im Alter von 18 Jahren endete und Schulen den Bildungserwerb weiter unterstützen könnten. Sinnvoll wäre ferner, wenn bei Geduldeten die Altersgrenze bei Beginn einer Ausbildung höher angesetzt oder entfallen würde. Unbegleitete Minderjährige aus als sicher definierten Herkunftsstaaten wie etwa Bosnien und Herzegowina oder Mazedonien dürfen derzeit oft keine Ausbildung in Deutschland aufnehmen. Eine qualifizierte Berufsausbildung dürfte jungen Menschen den Aufbau ihrer Zukunft erleichtern, selbst wenn sie später in ihre Herkunftsstaaten zurückkehren müssen.

Unbegleitete Minderjährige haben, vor allem abhängig vom Aufenthaltsstatus, rechtlich teils unterschiedlichen Zugang zu betrieblicher Ausbildung und Förderinstrumenten. Diese Unterschiede bedeuten allerdings Komplexität und Unübersichtlichkeit für alle Akteure. Ein Abbau hinderlicher Unterschiede und damit eine Vereinfachung der Rechtslage würde die Arbeitsverwaltung und andere Behörden dabei unterstützen, die Öffnung des Ausbildungsmarktes vor Ort erfolgreich umzusetzen. Betriebe würden entlastet. Unbegleiteten Minderjährigen und anderen Fluchtmigranten werden als Fachkräfte mehr Perspektiven in Deutschland und teils auch im Herkunftsland eröffnet. (…) „

Den IAB-Kurzbericht in vollem Textumfang entnehmen Sie aufgeführtem Link.

Link: http://www.iab.de/194/section.aspx/Publikation/k160518301

Quelle: IAB

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