Kinder und Jugendliche sind in Europa die Verlierer

Auszüge aus dem Index Report 2015 Soziale Gerechtigkeit in der EU:

(…) Ausmaß von Armut und sozialer Exklusion weiterhin besorgniserregend
Rund ein Viertel aller EU-Bürger (24,6 Prozent) gelten derzeit als von Armut oder sozialer Exklusion bedroht – ein äußerst hoher und besorgniserregender Wert. Gemessen an der EU-Gesamtbevölkerung entspricht dies rund 122 Millionen Menschen.

Noch immer ist die Kluft zwischen den Staaten Nordeuropas und den südeuropäischen Krisenländern enorm. In Spanien, Portugal und Griechenland hat sich das Ausmaß an Armut sogar nochmals im Vergleich zur Vorjahreserhebung erhöht. In Griechenland sind inzwischen 36 Prozent der Gesamtbevölkerung von Armut oder sozialer Exklusion bedroht. In Spanien sind es mehr als 29 Prozent. Für Kinder und Jugendliche liegt diese Zahl sogar noch höher (…) Und auch in Portugal ist die Armut in der Gesamtbevölkerung auf 27,5 Prozent gestiegen.

An der Spitze des Gesamtindex liegen dagegen Schweden, Dänemark, Finnland und die Niederlande. Gemessen an der Situation in den Jahren 2007/2008 haben auch diese Staaten insgesamt Einbußen in Sachen sozialer Gerechtigkeit hinnehmen müssen. Doch im Vergleich zu der viel drastischeren Entwicklung in Südeuropa sind diese Staaten noch immer in einer sehr komfortablen Lage. Tschechien folgt dank geringer Armutsraten und überdurchschnittlicher Ergebnisse im Bereich Gesundheit auf Rang fünf, und auch Österreich verfügt in der Gesamtbetrachtung – trotz gewisser Defizite in einigen Feldern (insbesondere Bildung) – über ein hohes Maß sozialer Inklusion. Deutschland kann vor allem dank der weiterhin sehr guten Arbeitsmarktsituation seinen siebten Platz halten, offenbart aber Probleme in den Feldern Bildungszugang und Generationengerechtigkeit. Auch die Einkommensungleichheit sowie das Risiko, von Armut und sozialer Exklusion betroffen zu sein, haben sich im Vergleich zur Vorjahresuntersuchung wieder erhöht (…).

Kinder und Jugendliche sind die Hauptverlierer der letzten Jahre – Kluft zwischen Alt und Jung hat weiter zugenommen
In der großen Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten haben sich die Chancen von Kindern und Jugendlichen seit 2007/2008 – teils erheblich – verschlechtert. Selbst gegenüber der Vorjahresuntersuchung, die den negativen Höhepunkt der bisherigen Entwicklung markiert, zeigen 13 Länder eine nochmalige Verschlechterung, was die Chancen junger Menschen anbelangt. (…)

Insgesamt spiegelt der Teilindex über die Chancen von Kindern und Jugendlichen recht klar die Länderverteilung des allgemeinen „Social Justice Index“ wider. Am besten schneiden Schweden, die Niederlande, Dänemark und Finnland ab. Die beiden topplatzierten Länder konnten über die Jahre der Krise hinweg ihr sehr gutes Niveau halten. Die Niederlande und einige andere Länder, wie zum Beispiel Tschechien oder Polen, haben sich in diesem Zeitraum sogar verbessert.

Sehr bedenklich ist die Tatsache, dass sich das Armutsrisiko unter Kindern und Jugendlichen in einigen südeuropäischen Krisenstaaten im Vergleich zur Vorjahresuntersuchung nochmals erhöht hat. In Spanien sind inzwischen 35,8 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Armut und sozialer Exklusion bedroht, in Portugal 31,7 Prozent. In Griechenland liegt die Quote bei erschreckenden 36,7 Prozent (…), und der Anteil der von schwerwiegender materieller Deprivation betroffenen Kinder hat sich dort mit einem Anstieg von 9,7 Prozent im Jahr 2007 auf heute 23,2 Prozent sogar mehr als verdoppelt. In Ungarn sind die Zahlen ebenfalls besorgniserregend: 41,4 Prozent der Kinder gelten als von Armut und sozialer Exklusion bedroht. Nur in Rumänien und Bulgarien ist die Quote noch höher, allerdings mit einem rückläufigen Trend. Auch das schlechte Abschneiden des Vereinigten Königreichs ist auffallend: Hier gelten 32,6 Prozent der Menschen unter 18 Jahren als von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht.

Im EU-Durschnitt gelten derzeit 27,9 Prozent aller Kinder und Jugendlichen als von Armut oder sozialer Exklusion bedroht. Damit liegt die Quote höher als im Jahr 2007 (26,4 Prozent). (…) Besonders bedenklich: Der bereits in der Vorjahresausgabe erkennbare Trend einer wachsenden Kluft zwischen den Generationen hat sich leider fortgesetzt. Während der Anteil der von Armut oder sozialer Exklusion bedrohten Kinder seit 2007 angestiegen ist, hat sich dagegen der Anteil der von Armut oder sozialer Exklusion bedrohten älteren Menschen verringert: von 24,4 Prozent auf 17,8 Prozent (2013/14). Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass in den meisten Ländern im Laufe der Krise die Renten und Altersbezüge der älteren Menschen nicht beziehungsweise nicht so stark geschrumpft sind wie die Einkommen der jüngeren Bevölkerung. (…)

Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die unter so genannter schwerwiegender materieller Deprivation leiden, ist zudem im EU-Durchschnitt deutlich höher als der entsprechende Anteil unter der älteren Bevölkerung. Der Unterschied beträgt mehr als vier Prozentpunkte (11,1 Prozent im Vergleich zu 6,9 Prozent).

Ein ähnliches Nord-Süd-Gefälle wie bei der Armutsverteilung zeigt sich zudem beim Anteil der jungen Menschen zwischen 20 und 24 Jahren, die keine Schule besuchen, keiner Arbeit nachgehen oder sich nicht in beruflicher Ausbildung befinden. (…)

Weniger einheitlich (im Sinne des meist zu beobachtenden Nord-Süd-Gefälles) ist die Länderverteilung beim Indikator „Einfluss des sozioökonomischen Hintergrunds auf den Bildungserfolg“. Hier sind traditionell Länder wie Finnland und Estland besonders gut aufgestellt, indem deren Bildungssysteme es ermöglichen, dass Kinder auch aus sozial schwachen Elternhäusern ähnlich gute Chancen haben wie Kinder aus sozial besser gestellten Elternhäusern. Bemerkenswerterweise schneiden aber auch Zypern und Italien in dieser Hinsicht gut ab. Allerdings ist die Bildungsqualität in Finnland und Estland gemessen an den PISA-Ergebnissen der Schülerinnen und Schüler deutlich höher. (…) Die größten Defizite bei der Frage des Zusammenhangs zwischen sozialem Hintergrund und Lernerfolg weisen dagegen Ungarn, Frankreich, Bulgarien und die Slowakei auf. (…)

EU noch weit entfernt von einem „Social Triple A“ – mehr soziale Gerechtigkeit ist positiv für Wachstum
Bei seinem Amtsantritt im letzten Jahr hat Jean-Claude Juncker das Ziel formuliert, dass Europa auch in sozialer Hinsicht den Anspruch haben muss, wieder ein „Triple A“ Rating zu erreichen. Davon ist die EU noch weit entfernt (…) Insgesamt bedarf es eines multidimensionalen Ansatzes, um für mehr Teilhabegerechtigkeit in Europa zu sorgen. Es gibt ganz sicher nicht das eine Patentrezept, das alle Probleme lösen würde. Und angesichts sehr unterschiedlicher Wohlfahrtsstaatssysteme und -verständnisse in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten müssen die jeweiligen Regierungen immer kontextsensitive Lösungen finden. Allerdings können die Dimensionen des Gerechtigkeitsindex sehr wohl als allgemeine Orientierungshilfe dienen, um konkrete Reformnotwendigkeiten in besonders wichtigen Bereichen zu identifizieren. Zur Förderung sozialer Gerechtigkeit und inklusiven Wachstums in der EU sind folgende Aspekte von besonderer Bedeutung: ## Armutsvermeidung (…)
##Gerechter Zugang zu Bildung (…)
##Zugang zum Arbeitsmarkt (…)
##Soziale Kohäsion und Nicht-Diskriminierung (…)
##Gesundheit (…)
##Generationengerechtigkeit (…)
Die Dimensionen und politischen Handlungsfelder zur Stärkung sozialer Gerechtigkeit hängen wechselseitig zusammen und bedingen sich oft gegenseitig: Geringe Bildungschancen ziehen geringere Aussichten am Arbeitsmarkt nach sich und somit auch geringere Möglichkeiten, ein höheres Einkommen zu erwirtschaften, Eltern mit geringen Einkommen können wiederum weniger in die Bildung ihrer Kinder investieren – folglich besteht die Gefahr eines Teufelskreises. Deshalb müssen die EU-Mitgliedsstaaten und EU-Institutionen einen ganzheitlichen Blick auf die Ursachen für soziale Ungerechtigkeit, ihre Auswirkungen und ihre politischen Interventionsmöglichkeiten einnehmen. Denn eines ist gewiss: Soziale Gerechtigkeit stellt sich nicht allein durch wirtschaftlichen Wohlstand und ökonomische Leistungsfähigkeit ein. (…)“

Den Index Report in vollem Textumfang lesen Sie auf der Homepage der Bertelsmann Stiftung.

Link: www.bertelsmann-stiftung.de

Quelle: Bertelsmann Stiftung; bildungsklick.de

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