Anerkennungssystem für informell und non-formal erworbene Kompetenzen entwickeln

Anerkennung informellen und non-formalen Lernens in Deutschland. Die Ergebnisse aus dem BIBB-Expertenmonitor Berufliche Bildung 2015 verfassen Stefanie Velten Gunvald Herdin. Auszüge aus den Ergebnissen:
“ (…) Rund drei Viertel wünschen sich eine stärkere Würdigung des informellen und non-formalen Lernens und 70% sprechen sich für ein deutschlandweit einheitliches Anerkennungssystem aus. Die Befürworter eines solchen Systems entstammen dabei vor allem aus Arbeitnehmerorganisationen, während sich Arbeitgebervertreterinnen und -vertreter sowie Schulen zurückhaltender äußern. Bei Befragten aus Betrieben (rund 73%) und Kammern (rund 62%) findet die Forderung nach einem bundesweiten Anerkennungssystem eine Mehrheit. Lediglich die befragten Vertreterinnen und Vertreter aus Arbeitgeberorganisationen und Schulen äußern sich zurückhaltender (rund 48 beziehungsweise rund 50% Zustimmung). Demzufolge betonen die meisten Befragten auch die Chancen eines Anerkennungssystems für Individuen. So erwarten drei von vier Befragten, dass sich dadurch die beruflichen Chancen des Einzelnen verbessern lassen. Fachleute aus Betrieben und überbetrieblichen Bildungseinrichtungen sehen besonders oft Chancen für An- und Ungelernte. Aber auch Betriebe können von der Anerkennung profitieren. Rund 60% gehen davon aus, dass die Anerkennung eine sinnvolle Maßnahme darstellen würde, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Ein solches Anerkennungssystem kann auch die Chancen auf qualifizierte Beschäftigung für geflüchtete Menschen verbessern, die häufig keine formal anerkannten Kompetenzen mitbringen.

Mögliche Risiken, wie die Gefährdung der Glaubwürdigkeit von Berufsabschlüssen, sieht nur etwa ein Fünftel der Expertinnen und Experten. Häufig werden diese Bedenken von Vertreterinnen und Vertretern aus Schulen angebracht. Unsicherheit besteht bezüglich der vermuteten Nachfrage nach Anerkennungsverfahren. Hier räumen immerhin knapp 30% der Befragten ein, dass dies ein Problem darstellen könnte. Besorgt zeigen sich dabei vor allem Personen aus Kammern und Arbeitgeberverbänden. Diese beiden Gruppen vertreten auch zu gut 40% die Auffassung, mit der Externenprüfung bestehe bereits eine ausreichende Möglichkeit der formalen Anerkennung informellen und non-formalen Lernens.

Für knapp 40% der Expertinnen und Experten sollte eine Anerkennung informellen und non-formalen Lernens zu einem anerkannten Zertifikat führen, das einem formalen Berufsabschluss gleichgestellt ist. Eine große Mehrheit der Befragten befürwortet zudem die Anerkennung von Teilqualifikationen und sieht eine Leistung der Anerkennungsverfahren unter anderem darin, Prüfungszugangsberechtigungen zu erwerben. Mit der Zertifizierung informellen und non-formalen Lernens sollte nach einhelliger Meinung der Fachleute ein „glaubwürdiger Akteur“ beauftragt werden, um die Akzeptanz und Nutzung dieser Zertifikate auf dem Arbeitsmarkt zu gewährleisten.

Bisher eingesetzte Instrumente zur Kompetenzerfassung, wie der ProfilPASS, basieren größtenteils auf Selbsteinschätzungen und werden von den Fachleuten als unzureichend kritisiert. Auch die sogenannte Externenprüfung zur Erfassung der Fertigkeiten kann noch nicht überzeugen. Die Expertinnen und Experten plädieren bei der Kompetenzerfassung und -bewertung daher für die Nutzung von Arbeitsproben und Testverfahren. Referenzen und Zeugnisse seien dagegen weniger aussagekräftig.

Als Ergebnis eines Anerkennungsverfahrens sind prinzipiell viele Optionen denkbar. Die Expertinnen und Experten sprechen sich insbesondere für die Vergabe unverbindlicher Kompetenzprofile und Teilnahmebescheinigungen aus. Auch Prüfungszugangsberechtigungen halten drei von vier Befragten (bei Schulen nur etwa jeder Zweite) für denkbare Verfahrensergebnisse. Für Teilqualifikationen sprechen sich insbesondere Befragte aus Betrieben, von Weiterbildungsanbietern, der Forschung und dem öffentlichen Dienst aus, während Arbeitgeber- und Arbeitnehmerrepräsentanten sowie Schulen deutlich zurückhaltender sind. Die größte Kontroverse besteht bei der Frage, ob auch vollständige (Berufs-)Bildungsabschlüsse vergeben werden sollten. Jeder Zweite aus einer Arbeitnehmerorganisation und von Weiterbildungsanbietern bejaht diese Frage, aber nur jeder Dritte eines Betriebes oder einer Arbeitgeberorganisation und nur jede/r fünfte Schulvertreter/-in. Somit zeigt die Befragung, dass unverbindliche Ergebnisse als unproblematisch angesehen werden. Je verbindlicher die Ergebnisse eines Anerkennungsverfahrens sind, desto eher gibt es Kontroversen unter den Befragten. (…)

Schließlich muss die Frage beantwortet werden, wodurch die Kompetenzpotenziale der relevanten Zielgruppen ausgeschöpft werden können und wie deren berufliche Chancen merklich verbessert werden können. Ob Kompetenzprofile hier ausreichen ist fraglich. Und auch Prüfungszugangsberechtigungen würden zwar Wege öffnen, aber gleichzeitig auch weitere Hürden in Form von formalen Prüfungen darstellen, die bewältigt werden müssten. (…)

An dieser Stelle stehen bildungspolitische Entscheidungen aus, die den weiteren Weg für die Entwicklung eines Anerkennungsverfahrens ebnen. Hoffnung geht dabei von der neuen Initiative „ValiKom“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung aus, die Ende 2015 gestartet ist und für einen „bildungspolitischen Durchbruch“ sorgen soll. Hierbei sollen Standards, Verfahren und Instrumente zur Messung beruflicher Kompetenzen mit Bezug auf formale (Berufs)Bildungsabschlüsse entwickelt und erprobt werden. Davon sollen zukünftig sowohl Menschen ohne Berufsabschluss, aber auch Umsteiger mit diskontinuierlichen Erwerbsverläufen und Flüchtlinge profitieren.

Begleitet werden sollte das Anerkennungsverfahren durch eine umfassende Beratung sowie eine finanzielle Förderung finanzschwacher Zielgruppen. Dabei sprechen sich die Fachleute mehrheitlich für einen Mix aus finanzieller Selbstverantwortung der Teilnehmenden sowie einer Bezuschussung durch die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft aus. (…)

Welche rechtliche Grundlage wird für die Anerkennung in Deutschland benötigt? Die Fachleute äußern sich unterschiedlich zur Frage nach einem eigenen Anerkennungsgesetz. Während vor allem Arbeitnehmervertreter/-innen ein eigenes Gesetz befürworten, gibt es nur wenig Unterstützung für diesen Vorschlag aus den Reihen der Arbeitgeber und Betriebe. Arbeitgeber- und Kammervertreterinnen und -vertreter sprechen sich klar für eine Anpassung bestehender Gesetze aus dem Bereich der formalen Bildung aus, Betriebe vor allem für eine Ausweitung des BQFG auf Inländer.

Die Erwartungen an ein Anerkennungssystem informell und non-formal erworbener Kompetenzen in Deutschland sind extrem hoch. Ob es gelingt, die Kompetenzpotenziale vieler Menschen auszuschöpfen und somit dem Fachkräftemangel zu begegnen, bleibt abzuwarten. Über 70% der Teilnehmenden dieser Expertenmonitorbefragung zweifeln allerdings daran, dass die Etablierung eines Anerkennungssystems in Deutschland bis 2018 gelingen wird.“

Die Ergebnisse des BIBB-Expertenmonitors in vollem Textumfang können Sie unter www.bibb.de/bibb-expertenmonitor abrufen.

Quelle: BIBB

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