Alle vereint bei der Arbeitsagentur? Warum der geplante Zuständigkeitswechsel für unter 25-Jährige mehr Inklusion verhindern wird

Im Projekt „Ausbildung garantiert!?“ hat IN VIA Deutschland im Netzwerk der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. erfolgreiche Praxisansätze der Jugendberufshilfe untersucht, die einen inklusiven Ansatz verfolgen. Sieben Inklusionskriterien sind abgeleitet worden: Niedrigschwellige Zugänge, verlässliche Beziehungen, Flexibilität, Kompetenzorientierung, Nähe zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, Multiprofessionalität sowie Freiwilligkeit.[1] Vor dem Hintergrund dieser Inklusionskriterien ist der durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales angekündigte Zuständigkeitswechsel in der Betreuung von unter 25-Jährigen äußerst kritisch zu sehen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will junge Menschen unter 25 Jahre (U25) im Bürgergeld-Bezug künftig allein von der Bundesagentur für Arbeit (BA) betreuen lassen. Damit würde er den Haushalt seines Ministeriums ab 2025 massiv entlasten. Susanne Nowak und Mareike Krebs, Projektreferentinnen bei „Ausbildung garantiert“, kritisieren den Systemwechsel, der in erster Linie eine Sparmaßnahme ist. Vor allem aber verhindere er Inklusion.

Systemwechsel verhindert Inklusion

Nach aktuellem Stand wären über 700.000 junge Menschen betroffen, die ab Anfang 2025 weiterhin Bürgergeld von den Jobcentern beziehen, aber Beratung oder Angebote zur beruflichen Vorbereitung und Integration – so wie alle anderen jungen Menschen auch – von den Arbeitsagenturen erhalten. Damit sollen im Bundeshaushalt SGB II-Mittel in Höhe von 900 Mio. Euro eingespart werden.

Mit Blick auf Inklusion ist die Förderung aller junger Menschen durch eine einheitliche Anlaufstelle grundsätzlich zu begrüßen und würde zur Entstigmatisierung der Zielgruppe beitragen. Warum der inklusive Schein des Vorhabens jedoch trügt, zeigt folgende Einordnung mit Bezug auf einige der Inklusionskriterien:

Niedrigschwellige Zugänge

  • Die Jobcenter bieten aufgrund ihrer dezentralen Aufstellung und sozialraumorientierten Ausrichtung in den Kommunen niedrigschwellige Zugänge. Die Arbeitsagenturen, die für räumlich größere Bezirke zuständig sind, können dies weder konzeptionell noch personell leisten. Es steht zu befürchten, dass die intendierte niedrigschwellige und bedarfsorientierte Ausrichtung der Angebote verloren geht.
  • Durch das Vorhaben wird das Prinzip „Hilfen aus einer Hand“ aufgegeben und eine zusätzliche Schnittstelle geschaffen. Es ist davon auszugehen, dass durch die Trennung von Geld- und Förderleistungen viele junge Menschen (noch) schlechter erreicht werden als bisher

Verlässliche Beziehungen

  • Zum Teil bestehen schon während der Schulzeit intensive Kontakte mit Ansprechpersonen in den Jobcentern. Die frühzeitige individuelle Förderung und eine verlässliche Beziehung sind unerlässlich, um die Jugendlichen bestmöglich zu begleiten mit dem Ziel der eigenständigen Lebensgestaltung und gesellschaftlichen Teilhabe.
  • Mit dem geplanten Wechsel wird die ganzheitliche Betreuung der Bedarfsgemeinschaft durch die Jobcenter aufgegeben. Die Zusammenarbeit mit den Eltern kann jedoch für die Stabilisierung eines Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses junger Menschen von großer Bedeutung sein.

Multiprofessionalität

  • Die Arbeit der Jobcenter beginnt oft nicht mit der Vermittlung einer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle, sondern mit anderen Herausforderungen wie Verschuldung, Suchtproblemen oder Krankheit. Die Mitarbeiter*innen der Jobcenter kooperieren in der Regel eng mit Angeboten in kommunaler Zuständigkeit (z.B. Jugendsozialarbeit, Hilfen für junge Volljährige, Wohnungslosenhilfe). Auf vergleichbare multiprofessionelle Netzwerke können die Berufsberater*innen der Arbeitsagenturen (bisher) nicht zurückgreifen.
  • Die bedeutsame Rolle der Jobcenter in der rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit der Jugendberufsagenturen würde durch den Zuständigkeitswechsel geschwächt.

Flexibilität

  • Für junge Menschen mit besonderen Beratungsbedarfen wurden im SGB II spezifische Förderinstrumente eingerichtet. Dazu gehört der §16h, der sich explizit an schwer zu erreichende junge Menschen unter 25 Jahren richtet, sowie der dieses Jahr in Kraft getretene §16k, bei dem im Sinne einer ganzheitlichen Betreuung an individuellen Problemlagen gearbeitet wird. Die Instrumente ermöglichen eine flexible, bedarfsorientierte und an regionale Gegebenheiten angepasste Förderung.
  • Die Angebote zur Berufswahl und Berufsausbildung im SGB III zielen auf die direkte berufliche Eingliederung durch standardisierte Einzelmaßnahmen ab und bieten weniger Flexibilität.

Die inklusive Ausgestaltung des Übergangs Schule – Beruf ist eine immense Herausforderung. Dafür braucht es funktionierende Strukturen, gut durchdachte Lösungen und die Einbeziehung aller relevanten Akteur*innen. Die Jugendsozialarbeit muss aufgrund ihrer Nähe zu den jungen Menschen gestärkt und ihre Angebote ausgebaut sowie finanziell abgesichert werden. Zu befürchten ist jedoch, dass die Arbeitsagenturen in der neuen Struktur die Angebote zulasten der betroffenen jungen Menschen zurückfahren. Dies gilt es zu verhindern.

Quelle: IN VIA Deutschland im Netzwerk der BAG KJS; Autorinnen: Susanne Nowak (Bundesreferentin bei IN VIA Deutschland) und Mareike Krebs (Referentin Projekt „Ausbildung garangitert!“)

[1] https://www.bagkjs.de/wp-content/uploads/2023/07/Inklusionskriterien-fuer-wirksame-Unterstuetzungsangebote-am-Uebergang-Schule-Beruf.pdf

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