In Deutschland gibt es rund 580.000 Bedarfsgemeinschaften mit Kindern, die Leistungen eines Jobcenters nach SGB II beziehen und in denen kein Elternteil erwerbstätig ist. Die Kinder in diesen Bedarfsgemeinschaften sind besonders von Armut bedroht, da Arbeitslosigkeit weiterhin das größte Armutsrisiko darstellt. Rund 640.000 unter 15-Jährige sind bereits vier Jahre oder länger auf SGB-II-Leistungen angewiesen. Neben der finanziellen Bedürftigkeit haben Kinder aus Haushalten mit verfestigter Arbeitslosigkeit oft schlechtere Bildungschancen und weisen eine geringere soziale Teilhabe auf. Gerade die für soziale Teilhabe wichtigen Bildungschancen und damit verbunden soziale Aufstiegschancen hängen in unserem Land immer noch viel zu stark von der Herkunftsfamilie ab. Wir laufen Gefahr, dass sich Arbeitslosigkeit, Bedürftigkeit und Bildungsarmut verfestigen und diese Form der (Kinder-)Armut an nachfolgende Generationen „vererbt“ wird. Es fehlt weiterhin ein übergreifender Aktionsplan, der alle relevanten Politikfelder und die verschiedenen staatlichen Ebenen integriert und zugleich Akteure der Zivilgesellschaft mit einbindet. Maßgebliche Verbesserungen der Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern auch aus sozial schwachen Familien setzen voraus, dass jeder gesellschaftliche Akteur seiner Verantwortung gerecht wird. Gerade die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Finanzierungsmöglichkeiten im föderalen System erschweren oft ein koordiniertes Vorgehen. Vor diesem Hintergrund schlagen DGB und BDA eine gesellschaftliche Initiative mit dem Ziel vor, arbeitslose Arbeitslosengeld-II-Bezieher/-innen mit Kindern zügig in den Arbeitsmarkt zu integrieren, um Kindern die schädliche Erfahrung von lang andauernder Arbeitslosigkeit in ihrer Familie zu ersparen.
Aus dem gemeinsamen Vorschlag von DGB und BDA für einen Aktionsplan: „Zukunft für Kinder – Perspektiven für Eltern im SGB II“:
„(…) Grundidee und Adressatenkreis des Aktionsplans
(…) Die Initiative geht davon aus, dass Eltern ihren Kindern Vorbild sein wollen und ein starkes Interesse daran haben, ihre Kinder vor Armut und Perspektivlosigkeit zu schützen. Die Gründe, die dazu geführt haben, dass dies bisher nicht ausreichend möglich ist, sollen im Einzelfall gründlich analysiert werden. Darauf aufbauend soll mit den Jobcentern ein Eingliederungsplan verabredet werden, der die gesamte Familie in den Blick nimmt, ggfs. mit ihren sozialen Problemen. Die Initiative setzt auf Freiwilligkeit der Teilnahme. Mit dem Fokus auf (…) die Vorbildfunktion der Eltern soll an vorhandene Motivationen angeknüpft werden. Der Aktionsplan richtet sich im Wesentlichen an Familien, die sich bereits seit längerer Zeit im Arbeitslosengeld-II Bezug befinden und in denen keiner der Eltern Arbeitseinkommen erzielt. Die Jobcenter sind somit die Hauptakteure auf der institutionellen Seite und Ausgangspunkt für alle weiteren Aktivitäten. Jobcenter, die sich an dem vorgeschlagenen Aktionsplan beteiligen, sollen dies ebenfalls freiwillig tun. (…) Weitere Akteure sollten dafür gewonnen werden, in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich aktiv mitzuwirken. Ziel sind lokale Bündnisse, in denen die örtlichen Partner ihre Kompetenzen und Ressourcen einbringen und so für die betroffenen Familien ein Netzwerk an Unterstützung zu organisieren. Dieses ist erforderlich, um bei der Vielschichtigkeit der Problemlagen schnell die passenden Hilfeleistungen anbieten zu können.
Das Ziel ist: Kein Kind soll in einer Familie aufwachsen, in der kein Elternteil erwerbstätig ist und die dauerhaft auf Leistungen des Jobcenters angewiesen ist. Daher soll mindestens ein Elternteil in eine Vollzeit- oder vollzeitnahe Tätigkeit gebracht und so die Abhängigkeit der gesamten Familie von der Fürsorgeleistung beendet bzw. so weit wie möglich reduziert werden. (…)
Der potentielle Adressatenkreis für diesen Aktionsplan liegt bei rund 112.000 Familien. Dabei handelt es sich um SGB-II-Bedarfsgemeinschaften mit zwei Erwachsenen und mindestens einem Kind. Beide Erwachsenen üben keinerlei Erwerbstätigkeit aus, auch keine geringfügige Tätigkeit. Das (…) jüngste Kind ist mindestens sechs Jahre alt. (…) Mit dieser Zielgruppe werden sog. Aufstocker ausgeklammert, auch Personen, die etwa wegen Kleinkindbetreuung nicht arbeitslos sind. (…)
Das (…) Aktionsprogramm ist eine zielgerichtete Ergänzung zum Regelgeschäft der Jobcenter mit Blick auf Familien mit zwei Elternteilen bzw. Erwachsenen. Die Notwendigkeit, für Alleinerziehende mit ihrer relativ hohen Betroffenheit von SGB-II-Leistungsbezug besondere Anstrengungen zu unternehmen, wird damit nicht tangiert.
Der Aktionsplan sollte zunächst drei Jahre laufen und wissenschaftlich begleitet werden. Bei einem erfolgreichen Verlauf sollte das Programm verlängert bzw. eine Integration in die reguläre SGB-II-Zielsteuerung geprüft werden.
Kosten und Finanzierung
Die insgesamt haushaltswirksam werdende finanzielle Größenordnung der vorgeschlagenen Initiative hängt davon ab, wie viele Jobcenter sich aktiv beteiligen wollen und in welcher Größenordnung Einspareffekte bei den passiven Leistungen (Regelbedarfe und Kosten der Unterkunft inkl. Heizung) für den Bund und die Kommunen aus der Integration zusätzlicher Personen in Beschäftigung realisiert werden. Für zusätzliche Aktivitäten der Jobcenter im Rahmen des (…) Aktionsplans „Zukunft für Kinder – Perspektiven für Eltern im SGB II“ sollte der Bund mittels eines Sonderprogramms zusätzlich zum regulären Eingliederungsbudget (EGT) ein Finanzvolumen von ca. 280 Mio. Euro zur Verfügung stellen. Die zusätzlichen Aktivitäten der Jobcenter im Rahmen dieser Initiative können realistisch nicht durch vorhandene Haushaltsreste der Jobcenter finanziert werden. Zusätzliche finanzielle Mittel aus dem Sonderprogramm erhalten nur jene Jobcenter, die zusätzliche Anstrengungen gegen Kinderarmut unternehmen. (…)
Inhaltliche Umsetzung
(…) Die zuständigen Fallmanager/innen oder Vermittler/innen brauchen flexible Handlungsmöglichkeiten im Rahmen eines Budgets, um den Elternteilen sinnvolle Angebote machen zu können. Wir schlagen eine Ausweitung der Möglichkeiten vor, die § 44 f. SGB III (Vermittlungsbudget, Aktivierungs- und Eingliederungsmaßnahmen) den Vermittler/innen einräumt. So könnte Langzeitarbeitslosen ein Coach an die Seite gestellt werden, der die Jobsuche und den Beginn einer neuen Erwerbstätigkeit begleitend unterstützt. (…)
Es ist davon auszugehen, dass sich im Rahmen der intensiven Betreuung vielfach Problemlagen zeigen, für die das Jobcenter nur im Verbund mit anderen Partnern sinnvolle Lösungsansätze bieten kann. Zu den wichtigsten Partnern gehören die Kommunen. Sie sind zuständig für die kommunalen Eingliederungsleistungen Sucht- und Drogenberatung, Schuldnerberatung, psychosoziale Betreuung sowie Kinderbetreuung. Diese sozialintegrativen Leistungen müssen eng mit den arbeitsmarktbezogenen Hilfen verzahnt werden, um den Integrationsprozess von Eltern mit entsprechendem Förderbedarf zu ermöglichen. Weiterhin bietet es sich an, von Kommunen bereitgestellte niedrigschwellige Beratungsstrukturen wie Mehrgenerationenhäuser in den Lebensräumen der Familien zu nutzen, um diese besser mit den Angeboten zu erreichen. Gleiches gilt für Kindertageseinrichtungen bzw. Familienzentren, in denen die Eltern beim Bringen und Abholen der Kinder erreichbar sind für Beratungsangebote. (…)
Gesundheitliche Einschränkungen können nicht nur zu Arbeitslosigkeit führen, sondern länger andauernde Arbeitslosigkeit bewirkt ihrerseits oftmals Krankheit. Arbeitslose weisen im Vergleich zu Beschäftigten einen deutlich schlechteren Gesundheitszustand auf. Dies trifft auch auf deren Kinder zu: der Krankenstand der Kinder von Arbeitslosen ist tendenziell höher als der Krankenstand der Kinder von Beschäftigten. Wenn die Fallmanager/innen bzw. Vermittler/innen auf Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme stoßen, ist es wichtig, dass dann zügig in Absprache mit der Krankenkasse konkrete Schritte zur Überwindung dieser Probleme eingeleitet werden. (…) Präventionsangebote für Eltern und Kinder sowie ausreichend Therapieplätze sind erforderlich, um den Gesundheitszustand der arbeitslosen Eltern und deren Kinder zu verbessern und damit wichtige Voraussetzungen für die soziale und berufliche Integration zu schaffen. (…)
In Familien mit besonders schwierigen Konstellationen kann es erforderlich sein, eine familienbegleitende Betreuung durch eine/n Familiencoach/in bereitzustellen. Diese/r Familiencoach/in kann je nach Problemlage bei Fragen der Kinderbetreuung, bei partnerschaftlichen Problemen, der Suche nach geeigneten Beratungsstellen oder bei sprachlichen bzw. kulturellen Barrieren vermitteln und familienbezogene Hilfeleistungen koordinieren. (…)
Gelingt es innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z.B. ein Jahr) nicht, zumindest ein Elternteil zu integrieren, wird – ultima ratio – eine zeitlich befristete öffentlich geförderte Beschäftigung in sozialversicherungspflichtiger Form im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Fördermöglichkeiten angestrebt. (…)
Der vorgeschlagene Aktionsplan lässt sich sinnvoll mit dem Bundesprogramm „Soziale Teilhabe“ kombinieren, das in der zweiten Jahreshälfte 2015 startet. Hierbei handelt es sich um öffentlich geförderte Beschäftigung für Eltern oder gesundheitlich Beeinträchtigte, die bereits vier Jahre oder länger im Bezug von SGB-II-Leistungen stehen. (…)“
Quelle: DGB