Für wen macht ein sozialer Arbeitsmarkt Sinn?

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat im nordrhein-westfälischen Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales eine Stellungnahme zum sozialen Arbeitsmarkt abgegeben. Zwischen den Jahren 2006 und 2012 ist die Langzeitarbeitslosigkeit im gesamten Bundesgebiet deutlich zurückgegangen. Seit 2012 stagnieren die Zahlen. Diese Stagnation ist auch dadurch beeinflusst, dass die Eintritte in verschiedene Fördermaßnahmen und in öffentlich geförderte Beschäftigung seitdem massiv zurückgegangen sind. Während die Langzeitarbeitslosigkeit stagniert, hat sich allerdings das Beschäftigungswachstum in Deutschland fortgesetzt. Das bedeutet, dass die Langzeitarbeitslosen vom jüngsten Beschäftigungswachstum weniger stark profitiert haben als in der Vergangenheit. Gleichzeitig hat der Anteil von Langzeitarbeitslosen mit Merkmalen, die eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt erschweren, zugenommen. Öffentlich geförderte Beschäftigung wirkt, wenn sie die Teilhabedefizite kompensiert. Da die Lebenslagen der Geförderten problematisch sein können, wäre eine sozialpädagogische Begleitung sinnvoll. Die Geförderten haben von der Erfahrung regelmäßiger, als sinnvoll empfundender Arbeit profitiert. Die längere Förderdauer und eine Distanz zum Jobcenter habe Normalisierungseffekte.

Auszüge aus der IAB-Stellungnahme „Sozialer Arbeitsmarkt“ von Frank Bauer:

„(…) Merkmale, die die Wahrscheinlichkeit einer Integration in den ersten Arbeitsmarkt erschweren

(…) Es ist von großer Bedeutung, die Heterogenität der Integrationshemmnisse zur Kenntnis zu nehmen, wenn man über die Möglichkeiten, Übergänge aus der Langzeitarbeitslosigkeit in den Arbeitsmarkt zu fördern, nachdenkt. Grob klassifiziert kann man zwischen personenbezogenen, qualifikatorischen und in der Haushaltskonstellation der Langzeitarbeitslosen begründeten Integrationshemmnissen unterscheiden. (…)

Zudem ist die statistische Gruppe der Langzeitarbeitslosen sehr heterogen: Es gibt eine große Zahl unterschiedlicher Vermittlungshemmnisse und gleichzeitig liegen häufig auf individueller Ebene komplexe Problemlagen vor, weil gleich mehrere Vermittlungshemmnisse zusammenkommen. Lange Arbeitslosigkeit, gesundheitliche Einschränkungen und fortgeschrittenes Alter gehen zum Beispiel häufig Hand in Hand. Nur acht Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten weisen keine Vermittlungshemmnisse, 22 Prozent nur ein Vermittlungshemmnis auf. Bei mehr als zwei Drittel aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten liegen dagegen mehrere Vermittlungshemmnisse vor. (…) Das macht es für arbeitsmarktpolitische Interventionen entsprechend schwer, den komplexen Problemlagen gerecht zu werden. (…)

Zielgruppe und Wirkungen des sozialen Arbeitsmarktes

Versteht man den sozialen Arbeitsmarkt als ein Zielgruppenprogramm, bedeutet das (…) bei Adressaten anzusetzen, bei denen die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt mittel- oder langfristig aussichtslos ist. Dementsprechend ist die Wiedereingliederung der Geförderten in den ersten Arbeitsmarkt nicht das vorrangige Ziel des sozialen Arbeitsmarkts, wenngleich der Übergang in reguläre Beschäftigung weiterhin im Blick zu behalten ist. Im Vordergrund steht vielmehr die Verbesserung sozialer Teilhabe, die gerade durch langandauernde Arbeitslosigkeit beeinträchtigt werden kann. (…)

Der soziale Arbeitsmarkt ist folglich ein nachrangiges Programm, wenn alles „Fördern und Fordern“ sich als vergeblich erwiesen hat. Der soziale Arbeitsmarkt stellt daher besondere Anforderungen an eine sorgfältige Auswahl der Zielgruppe. Die Förderung von Personen, die realistische Chancen am ersten Arbeitsmarkt haben, ist zu vermeiden, weil damit Förderkapazitäten für solche Personen, deren einzige Chance in der öffentlich geförderten Beschäftigung liegt, verloren gehen. (…)

Ziel der deutschen Gesetzgebung ist die Integration möglichst aller Erwerbsfähigen in Erwerbsarbeit oder zumindest die Verminderung des individuellen Leistungsbezugs. Daraus folgt, dass die Arbeitsmarktintegration von Personen mit so schwierigen Problemlagen wie chronischen körperlichen und/oder psychischen Erkrankungen sowie von Personen mit akuten oder überwundenen Suchtproblemen, die zwar durch Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und der faktischen Beschäftigungsfähigkeit belastet, aber faktisch und formell als erwerbsfähig gelten, in den Aufgabenbereich der Arbeitsmarktpolitik fallen. Ziel der Gesetzgebung ist es also, auch solche Personen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die, wenn überhaupt, höchstens verminderte Zugangschancen haben. Auch dies verweist auf den Bedarf an einem sozialen Arbeitsmarkt als speziellem Zielgruppenprogramm.

Unter Berücksichtigung verschiedener Indikatoren und Datenquellen hat das IAB für das Jahr 2011 einen Bedarf für einen sozialen Arbeitsmarkt für eine Anzahl von zwischen 100.000 und 200.000 Personen mit schwerwiegenden individuellen Vermittlungshemmnissen geschätzt. (…)

Da die Zielsetzung des sozialen Arbeitsmarkts nicht primär die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern die Verbesserung der materiellen, kulturellen und sozialen Teilhabe ist, soll dargestellt werden, welche Teilhabe-Effekte die Teilnahme an Maßnahmen hat. (…) Die teilhabefördernden Effekte des Beschäftigungszuschuss wurden im Rahmen einer vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales finanzierten Evaluationsstudie untersucht (ISG/IAB/RWI 2011). Hier zeigte sich auf Basis einer repräsentativen Panelerhebung, „dass Personen, die mit dem Beschäftigungszuschuss gefördert werden, ihre gesellschaftliche Teilhabe deutlich besser bewerten als eine Kontrollgruppe erwerbsfähiger Grundsicherungsbezieher, die keine derartige Förderung erhalten“.

Übereinstimmend kamen die qualitativen Untersuchungen im Rahmen der bundesweiten Evaluation und der Evaluation der „JobPerspektive“ in NRW zum Resultat, dass die „Normalitätssuggestion“ des sozialen Arbeitsmarkts eine relevante Rolle spielt und eine Normalisierung der eigenen Lebensumstände für die Geförderten bewirken kann. Zentral für die Normalisierungseffekte war es, dass die Geförderten sich nicht länger als „Almosenempfänger“ betrachten mussten. (…)

Weitere zentrale Wirkungsdimensionen bestanden in der Dauer der Förderung, die ebenso wie die Erfahrung der Unabhängigkeit vom Jobcenter zu einer Veralltäglichung der Situation der Erwerbsarbeit führte. Allerdings kamen beide Studien ebenfalls übereinstimmend zu dem Resultat, dass gegen Ende der Vertragslaufzeit die Angst vor erneuter Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von Grundsicherung die Effekte der Förderung erheblich überlagerten und Aussichtslosigkeit wieder dominierte.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geeignet ist, die Teilhabedefizite von Personen, die sehr lange arbeitslos waren und keine realistische Aussicht auf Integration in den ersten Arbeitsmarkt haben, zu kompensieren. Dafür ist insbesondere die Erfahrung regelmäßiger, als sinnvoll empfundener Arbeit für einen eigenen Lohn, die trotz Subventionierung als wertvoll erfahren wird, ausschlaggebend. Die Langfristigkeit der Förderung und die Unabhängigkeit beziehungsweise Distanz zum Jobcenter haben ebenfalls Normalisierungseffekte. (…)“

Quelle: IAB

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