Abschied von der Willkommenskultur

Das Projekt „ZuGleich“ geht den Fragen auf den Grund ## Was heißt es, Einwanderungsland zu sein?
##Wie stehen Personen in Deutschland zu den Themen Integration und Willkommenskultur?
##Welche Vorstellungen haben die Bürger von Integration?
##In welchem Verhältnis stehen der Wille zu Toleranz und Integrationsbereitschaft zur tatsächlich gelebten Integration?
Auszüge aus den Studienergebnissen:
Einstellung gegenüber Flüchtlingen
Die Einstellung gegenüber Flüchtlingen in der deutschen Gesellschaft ist zwiegespalten – zwar stimmen zwei Drittel der Befragten der Aussage zu, dass die Religionszugehörigkeit bei der Aufnahme keine Rolle spielen solle. Fast ebenso viele Menschen gestehen Flüchtlingen zu, auch in Deutschland das Recht auf eine bessere Zukunft zu haben. Jedoch fürchtet sich auch annähernd jeder Zweite davor, dass mit dem Zuzug von Flüchtlingen die Terrorgefahr steigt. Jeder Dritte sieht durch die hohen Flüchtlingszahlen die Zukunft Deutschlands gefährdet. 30,8 Prozent der Befragten nehmen an, dass Flüchtlinge in ihrem Heimatland gar nicht verfolgt werden – sie also unrechtmäßig Asyl bekommen wollen. (…)

Betonung von Vorrechten
Die Betonung von Vorrechten jener, die �schon immer hier waren‘, und der Appell zur Rückkehr alter Ordnungen nimmt zu – Migration erzeugt Konflikte. Ein wesentlicher Konflikt kann entbrennen, wenn Menschen glauben, ihre Identität und Ressourcen würden durch Migration gefährdet. 2013/14 hat ZuGleich die neu erstarkte Betonung von Etabliertenvorrechten und Forderungen, alte Ordnungen wiederherzustellen, gemessen. Unter den Befragten hat sich die Mahnung von Etabliertenvorrechten verdreifacht. Zwar bleibt die grundsätzliche Anerkennung gleicher Rechte unberührt, doch sinkt die Zustimmung stark. Auch der Appell zur Rückeroberung alter Ordnungen gewinnt an Zustimmung. Dabei zeigt sich, dass es nicht nur der Erhalt von Traditionen und Werten ist, der von den Befragten ohne Migrationshintergrund eingefordert wird, sondern vor allem der öffentliche Raum und die alte Dominanz gegenüber
Migrantinnen und Migranten.

Auch fordern mittlerweile 44,5 % ein stärkeres Selbstbewusstsein gegenüber Migranten (2013/14: 33,5 %) und 41 %, dass vor allem jüngeren Migranten ihre Grenzen stärker aufgezeigt werden müssten (2013/14: 26,1 %). (…)

Willkommen auf Zeit
Geflüchtete sind willkommen, aber nur solange, bis sich die Lage im Heimatland wieder verbessert hat (…) 72,9 % sind der Meinung: „Jeder Flüchtling hat das Recht auf eine bessere Zukunft – auch in Deutschland“, und drei Viertel aller Befragten sprechen sich für die religionsunabhängige Aufnahme von Geflüchteten aus. Allerdings fordert auch mehr als die Hälfte, dass Geflüchtete in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden sollen, sobald sich die Lage dort verbessert hat. (…)

Wann gehört jemand zu Deutschland?
Sowohl Befragte mit als auch ohne Migrationshintergrund sind sich weiterhin einig in den Kriterien der Zugehörigkeit: Die Beherrschung der deutschen Sprache sowie Achtung politischer Institutionen sind für über 90 Prozent wichtig. Damit haben sich die �Mitgliedschaftsbedingungen‘ der deutschen Gesellschaft noch einmal deutlich verschärft. Die Bedeutung des Geburtslandes oder eine christliche Konfessionszugehörigkeit nimmt hingegen ab. Jede*r Zweite teilt mittlerweile auch die Meinung, dass es wichtig sei, sich als Deutsche bzw. Deutscher zu fühlen. Ebenfalls hohe Zustimmungen erhält die Anerkennung deutscher Werte und Traditionen. (…)

Zwischen Akzeptanz und Forderung nach Rückkehr
(…) Der Großteil der Befragten befürwortet das prinzipielle Recht eines jeden Menschen auf eine bessere Zukunft und die unabhängige Prüfung des Asyls. Rund zwei Drittel würde darüber hinaus Geflüchtete als Nachbarn genauso wie andere Menschen akzeptieren. Allerdings prägen auch Ressentiments und Ablehnung die Haltungen: Jede*r Zweite ist für eine Rückführung, sobald sich die Lage der Geflüchteten in den Herkunftsländern verbessert hat. Weiterhin teilt fast die Hälfte aller Befragten die Meinung, die Terrorismusgefahr steige mit der Fluchtbewegung und mehr als ein Drittel sieht Deutschlands allgemeine Zukunft gefährdet. (…)

Integration, Ankommens- und Anerkennungskultur
Der Anteil der Befragten, die das Integrationskonzept befürworten, ist weiterhin hoch. Zwar ist der Anteil zurückgegangen, zugleich ist aber auch die Zahl der „Unentschiedenen“ leicht gestiegen. Sie könnten durch eine klare Vermittlung, was Integration im Alltag bedeutet, gewonnen werden. (…)

Die Befürwortung einer Willkommenskultur ist ebenfalls zurückgegangen, das Konzept selbst hat sich jedoch als Leit- wie eben auch Zerrbild etabliert. Das ist für eine Einwanderungsgesellschaft eine Chance: Mit Willkommen können die Befragten mühelos etwas anfangen. Dies wird aber nicht reichen. Um den Rückgang in der positiven Haltung aufzuhalten, sollten zwei Integrationskulturen gefördert werden, die als Werte- und Normgerüst wie auch Praxis zu verstehen sind. Es braucht eine Ankommenskultur, das zivilgesellschaftliche Engagement und die Akzeptanz von Migration. Die Ergebnisse von ZuGleich zeigen deutlich, wie hilfreich die Befürwortung einer Willkommenskultur ist. Sie ist eine neue Chance, das Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft Deutschland zu gestalten. Mit dem Rückgang der Fluchtmigration besteht nicht nur die Möglichkeit, die freien Kapazitäten des Engagements in eine Anerkennungskultur für Geflüchtete zu überführen. Eine Anerkennung und Akzeptanz von Migration wird auch die �alten‘ Einwanderungsgenerationen einbeziehen, die in diesem Rahmen bisher nur wenig Beachtung erhielten. (…)“

In ZuGleich 13/14 wurden 2.006 volljährige Personen, in ZuGleich 15/16 1.505 Personen ab 16 Jahren befragt. Das Projekt wird von Prof. Dr. Andreas Zick sowie Madlen Preuß, MA am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld durchgeführt.

Link: www.stiftung-mercator.de/zugleich

Link: www.stiftung-mercator.de/de/presse/mitteilungen/nachrichten/zwischen-willkommenskultur-und-rueckkehrwuenschen-zu-alten-vorrechten-der-integrationswille-der-deu/

Quelle: Mercartor Stiftung; Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung Universität Bielefeld

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