Innerhalb der Bundesregierung attackiert die FDP das Bürgergeld und die Menschen, die es beziehen. Die CDU lehnt das Bürgergeld in einer aktuellen Position des Parteivorstandes entschieden ab und bekommt Unterstützung von der CSU. An den Forderungen und Äußerungen der drei Parteien lässt sich ein Bild von Menschen im Bürgergeldbezug erkennen, dass stigmatisiert: Selbst schuld, faul und kriminell.
Wenige müssen für Mehrheit herhalten
Die CDU konstatiert zwar, dass die große Mehrheit der betroffenen Menschen arbeiten wolle und versuche, das System der staatlichen Hilfe zu verlassen. Zugleich reicht ihr eine diffuse und unbezifferte Minderheit im Sozialsystem, um drastische Strafen mit einer Totalkürzung zu fordern, das Schonvermögen abzusenken und gegen Sozialbetrug einen vollständigen Datenaustausch zwischen Finanzamt, Sozialamt, Banken und Sicherheitsbehörden zu ermöglich – für alle Menschen im Bürgergeldbezug.
Immerhin: Kinder und Partner von sogenannten „Totalverweigerern“ sollen nicht unter den Sanktionen leiden. Die Frage bleibt offen, wie das gelingen soll, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft ein Elternteil keine Unterstützung mehr erhält – auch unbefristet. Ein Regelsatz „Null“ sieht zudem das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil als Unrecht an. Darüber hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit in den Jugendsozialarbeit News berichtet, bevor die Regierungskoalition die SGB II-Sanktionen beschloss.
Fakten in der Debatte
„Fakten statt Polemik zum Bürgergeld“ hat die Caritas ihren aktuellen Faktencheck genannt und liefert die entsprechenden Zahlen: „Insgesamt waren im Juli 2023 5.503.000 Menschen regelleistungsberechtigt und erhielten Bürgergeld nach dem SGB II. Davon waren 1.557.000 Personen nicht erwerbsfähig (vor allem Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren). Von den 3.946.000 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten waren rund 1,7 Mio. Menschen im SGB II arbeitslos gemeldet. Damit erhielten ca. 2,2 Mio. erwerbsfähige Menschen Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ohne arbeitslos zu sein. Dies waren insbesondere Personen, die kleine Kinder betreuten bzw. Angehörige pflegten oder noch zur Schule gingen bzw. studierten. Andere waren nicht arbeitslos, weil sie einer ungeförderten Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Wochenstunden nachgingen, an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilgenommen haben oder arbeitsunfähig erkrankt waren.“ Weitere Zahlen und Erklärungen sind mit Quellen hinterlegt und dokumentiert.
Noch zu früh für ein Urteil über die Bürgergeldreform 2023?
Im Forum des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) setzt sich Bernd Fitzenberger in einem Beitrag vom 11. März 2024 ebenfalls mit der Debatte auseinander. „Warum die aktuelle Bürgergelddebatte nicht die richtigen Schwerpunkte setzt“ heißt sein Beitrag. Er bezeichnet die Debattenbeiträge als verengt und teilweise unzutreffend, die Vielschichtigkeit der Problemlagen würden verkannt. Er räumt unter anderem mit dem Vorurteil auf, dass sich Arbeit infolge der Reform nicht mehr lohne und widerspricht der These, dass der Bezug von Bürgergeld generell attraktiver ist als der Verbleib in Beschäftigung.
Es sei problematisch, die Wirkung der Bürgergeldreform im Jahr 2023 isoliert von anderen Entwicklungen zu betrachten. Eine Entwicklung mit Einfluss auf steigende Arbeitslosigkeit und Anstieg der Bürgergeld-Beziehenden ist die Rezession der Wirtschaft: Es fallen schlicht Arbeitsplätze weg.
Bei der überwiegenden Mehrheit der Betroffenen bestehen zudem multiple Arbeitsmarkthemmnisse. Es gibt viele, die als erwerbsfähig gelten, aus gesundheitlichen Gründen jedoch nur eingeschränkt erwerbsfähig sind. „Als weitere individuelle Arbeitsmarkthemmnisse erweisen sich ein höheres Lebensalter, Langzeitleistungsbezug, fehlende Berufsabschlüsse sowie schlechte Deutschkenntnisse – sowie für Frauen die Betreuung von Kindern“, schreibt Bernd Fitzenberg und bilanziert: „Bei 79 Prozent der Männer und 89 Prozent der Frauen liegen multiple Arbeitsmarkthemmnisse vor, welche die Chancen auf einen Übergang in Erwerbstätigkeit deutlich mindern“.
Sanktionen als Mittel schließt Fitzenberger nicht aus, sieht darin jedoch kein Allheilmittel. Für ein Ende der Bürgergeldreform sieht er zugleich noch keine Gründe: „Für ein evidenzbasiertes Urteil darüber, wie sich die Bürgergeldreform 2023 insgesamt ausgewirkt hat, ist es aus verschiedenen Gründen zu früh“.
Quellen: Tagesschau, CDU, BAG KJS, Caritas, IAB