Über ein zweites Haushaltsfinanzierungsgesetz will die Bundesregierung Sanktionen im SGB II verschärfen. Laut Gesetzentwurf soll denjenigen erwerbsfähigen Bürgergeld-Beziehenden, die eine zumutbare Arbeit wiederholt verweigern, zwei Monate der Regelbedarf nicht gezahlt werden. Bundesminister Hubertus Heil will seinen Etat durch die Strafmaßnahme entlasten. Abgesehen von der Frage nach Sinnhaftigkeit und Zulässigkeit fehlt dem Plan die wissenschaftliche Grundlage und die notwendige Sorgfalt in Formulierungen. Michael Scholl, Grundlagenreferent der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V., bewertet den Vorschlag.
Die Sanktionen sind aus verschiedenen Gründen überflüssig, stigmatisierend, ungerecht und sie verstoßen gegen die Verfassung. Der Bundesminister räumt in einem ZDF-Interview ein , dass die Zahl der erwerbsfähigen Totalverweigernden in einem sehr niedrigen einstelligen Prozentbereich aller Empfänger*innen des Bürgergeldes liegt. Diese wenigen jedoch bringen laut Hubertus Heil alle anderen in Misskredit. Die „wenige Böse gegen viele Gute“-Argumentation ist nicht nur in diesem Fall populistisch.
Konkrete und statistisch prüfbare Zahlen werden nicht genannt. Im Gesetzentwurf steht lediglich: „Aus den Jobcentern gibt es Praxisberichte, dass einige wenige Beziehende von Bürgergeld zumutbare Arbeitsaufnahmen beharrlich verweigern und somit bewusst ihre Hilfebedürftigkeit aufrechterhalten beziehungsweise nicht vermindern“. Unbegründet ist, warum diese „einige wenige“ den Staat jährlich 170 Millionen Euro kosten sollen. Diese Summe will der Bundesminister durch die Sanktionen einsparen.
Ungenaue Kriterien
Zwei Monate sollen Jobcenter die Regelbedarfe den Totalverweigernden verweigern können. Wie oft oder in welcher Frequenz (Kettensanktion) wird per Gesetz allerdings nicht geregelt. Außerdem wird das Kriterium „zumutbare Arbeit“ nicht definiert. Die Bundesregierung hat zudem an dieser Stelle das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2019 wenig sorgfältig gelesen, das sie zur Begründung für die Sanktionen heranzieht. Das Gericht erlaubt in seinem Urteil (1 BvL 7/16) zwar Sanktionen bei Totalverweigernden. Es sagt aber klar: Eine Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme muss tatsächlich und unmittelbar bestehen und die Arbeit muss zumutbar und existenzsichernd sein. „Existenzsichernd“ taucht jedoch im Gesetzentwurf nicht als Kriterium auf – obwohl entscheidend ist, dass die zumutbare Arbeit existenzsichernd ist.
Diese vielen Unklarheiten und der Spardruck von 170 Millionen können im schlimmsten Fall als Faktoren die vorgeschriebenen Einzelfallprüfungen beeinflussen und die Zahl der Sanktionierten in die Höhe treiben; und damit die Zahl von Menschen, deren Vertrauen in den gerechten und solidarischen Sozialstaat ohnehin strapaziert wird. In einer Bedarfsgemeinschaft haben die Sanktionen erhebliche existenzielle Folgen für Kinder und Jugendliche. Denn die Sanktionen bedeutet unter anderem: Es fehlt Geld für Lebensmittel, Strom, Medikamente oder den ÖPNV.
Abschaffung Bürgergeldbonus
Im gleichen Haushaltsfinanzierungsgesetz wird auch der Bürgergeldbonus kassiert, der im Juni 2023 erst eingeführt wurde. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten diesen Bonus in Höhe von 75 Euro für jeden Monat bei Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung von mindestens acht Wochen, für die kein Weiterbildungsgeld gezahlt wird; oder für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, Maßnahmen in der Vorphase der Assistierten Ausbildung sowie für Maßnahmen zur Förderung schwer zu erreichender junger Menschen. Leidtragende der Sparpolitik hier einmal mehr: Junge Menschen.
Motivation wecken
Die BAG KJS erwartet, dass Sanktionen als sozialpolitisches Instrument äußerst zurückhaltend oder gar nicht erwogen und wenn doch, ihre Folgen und die Verhältnismäßigkeit sorgfältig geprüft werden. Für junge Menschen unter 25 lehnt die BAG KJKS Sanktionen grundsätzlich ab.
Nicht jede*r muss jede zumutbare Arbeit annehmen. Die Qualifikation eines Menschen – non-formal erworbene Kompetenzen zählen explizit dazu – muss unbedingt berücksichtigt werden. Gelingt es, Potentiale und Motivation mit existenzsichernden Perspektiven zu wecken, bringt das einen Menschen und den Sozialstaat voran. Existenzsichernde und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entlastet nämlich den Staatshaushalt und reduziert den Spardruck.
Autor: Michael Scholl, Grundlagenreferent BAG KJS; Quellen: Bundestag, ZDF, Bundesverfassungsgericht, BAG KJS