Rassismus in Deutschland ist in den letzten Jahren in der Politischen Bildung und in der Sozialen Arbeit zu einem zentralen Thema geworden. Er hat auch im gesamtgesellschaftlichen Diskurs an Sichtbarkeit gewonnen. Zugleich werden rassistische Übergriffe und Straftaten im Alltag häufiger gemeldet. Trotzdem bleibt die Dunkelziffer hoch und die Datenlage hierzu ausbaufähig. Zum Beispiel, weil es noch immer nicht genügend Anlaufstellen für von Rassismus betroffene Menschen gibt. Das und mehr beschreibt der Lagebericht Rassismus in Deutschland, den Reem Alabali-Radovan als Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus sowie für Migration, Flüchtlinge und Integration kürzlich vorgelegt hat. Maryam Tiouri und Michael Scholl von der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. kommentieren den Bericht aus Sicht der Jugendsozialarbeit und ordnen ihn fachlich ein.
Rassismus richtet sich laut Lagebericht auch gegen Kinder und Jugendliche mit (familiärer) Einwanderungsgeschichte bzw. Migrationshintergrund. Sie wachsen laut zahlreicher Studien überproportional häufig mit sozialen, finanziellen oder bildungsbezogenen Risikolagen auf. Statt Unterstützung erfahren viele Ausgrenzung und Benachteiligung. Als Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit arbeiten wir dagegen an – in der Schulsozialarbeit, in der Ausbildungsförderung oder mit dem Programm „Respekt Coaches“, das primärpräventiv Anti-Diskriminierungsarbeit und Demokratiebildung an Schulen als Schwerpunkt hat.
Struktureller Rassismus auch an Schulen
Dass Rassismus schon lange nicht mehr nur in der Nische des Extremismus verortet werden kann und darf, spiegelt sich auch im Lagebericht, der zum ersten Mal strukturellen Rassismus aus Sicht der Bundesregierung klar benennt und definiert.
Der Lagebericht beschreibt strukturellen Rassismus zum Beispiel bei der Polizei, bei Behörden, im Gesundheitswesen, in der Politik. Er beschreibt ihn außerdem in Feldern, in denen wir als Jugendsozialarbeit stärker Einfluss ausüben können: In Schule und Ausbildung sowie Beruf.
Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird in Schulen weniger zugetraut. Lehr- und Lernmaterial enthalten stellenweise weiter stereotype und diskriminierende Darstellungen. Bei der überwiegenden Mehrheit gemeldeter Fälle im Kontext Schule ging die Diskriminierung von schulischem Personal aus: Schulleitungen, Lehrkräfte und leider auch Schulsozialarbeiter*innen. Dagegen helfen diskriminierungskritische Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte sowie Demokratiebildung und Menschenrechtsbildung für Schüler*innen als unverzichtbare Lerninhalte. Also das, was das Programm Respekt Coaches leistet.
Respekt Coaches als Lösungsansatz
Spätestens seit der thematischen Erweiterung des Programms, die nach dem Kabinettsbeschluss zum Maßnahmenkatalog gegen Rassismus und Rechtsextremismus erfolgte, stehen ebenfalls strukturelle Diskriminierungsformen im Fokus der Zusammenarbeit der Respekt Coaches mit Schulen. Ein zentrales Ziel des Programms ist, diskriminierungskritischer Ansätze für alle Akteure nachhaltig im System Schule zu etablieren -obgleich die Fachkräfte vorrangig und gezielt mit den Schüler*innen in Form von Gruppenangeboten arbeiten.
Auch bei der Suche nach Ausbildungsplätzen und nach Beschäftigung erfahren junge Menschen mit zugeschriebener oder tatsächlicher Einwanderungsgeschichte Rassismus. Sie werden bei Bewerbungen zurückgestellt und benachteiligt; das belegen zahlreiche Untersuchungen, auf die der Lagebericht verweist. Im Arbeitsleben besonders stark von Diskriminierung betroffen sind Musliminnen, die ein Kopftuch tragen. Sie müssen sich laut Studie viereinhalb Mal so oft bewerben, um überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.
Langfristige Förderung auf gesetzlicher Grundlage
Projekte und zeitlich befristete Programme helfen auf lange Sicht nicht, um im Kontext Schule, Ausbildung und Beruf auf struktureller Ebene betroffene Jugendliche zu unterstützen und auch Nicht-Betroffene mehr in die Verantwortung für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu nehmen. Unter den Maßnahmen, die der Lagebericht aufzählt, gehören bereits bestehende Förderprogramme wie „Demokratie leben!“ und das neue Demokratiefördergesetz, das Ende 2022 als Entwurf vom Bundeskabinett beschlossen wurde. In diesem Gesetz wird als Ziel die längerfristige, altersunabhängige und bedarfsgerechtere Förderung von Maßnahmen zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen Bildung formuliert mit dem Zusatz: „auch jenseits von Modellprojekten“.
Der Lagebericht Rassismus in Deutschland untermauert nun zu einem richtigen Zeitpunkt die Relevanz eines solchen Gesetzes. Um Programme wie „Respekt Coaches“ dauerhaft abzusichern, bedarf es einer rechtlichen Grundlage wie das Demokratiefördergesetz. Die Bundesregierung muss deswegen die Themen Demokratiebildung und Anti-Rassismus zusammenzudenken. Denn Rassismus und Diskriminierung sind am Ende enorm demokratiegefährdend: Hass und Hetze verursachen nicht nur Verletzungen bei den Betroffenen. Sie führen dazu, dass sich rassistisch angefeindete Menschen aus öffentlichen Diskursen zurückziehen. Das schwächt die freie, plurale und demokratische Gesellschaft in ihrem Kern.
Quelle: Es kommentierten Maryam Tiouri, Referentin und Programmkoordination Respekt Coaches, und Michael Scholl, Grundlagenreferent; beide BAG KJS. Es handelt sich um eine persönliche Stellungnahme der Autor*innen, die nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln muss.