Im Juli hätte eigentlich ein dreitägiges großes Fest gefeiert werden sollen. Drei Tage für 30 Jahre Villa Lampe. Doch das Jubiläumsfest musste aufgrund steigender Corona-Zahle leider ausfallen. Die Einrichtung ist der größte Träger im Bereich der offenen Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit im Landkreis Eichsfeld. Bis heute arbeiten alle in der Villa Lampe Engagierten, Ehrenamtliche ebenso wie Hauptberufliche, in der Tradition des heiligen Don Johannes Boscos. Der Gründer des Salesianerordens trat als Priester und Pädagoge Jugendarbeitslosigkeit, Analphabetismus, Kinderarbeit und Ausbeutung junger Menschen entgegen. Geprägt durch eine positive Grundhaltung und der bedingungslosen Annahme der jungen Menschen, folgen die Einrichtungen in Trägerschaft der Salesianer auch heute dieser Philosophie. So auch die Villa Lampe, deren Träger neben dem Bistum Erfurt die Salesianer Don Boscos sind. Seit 30 Jahren ist die Villa Lampe ein Ort zum Da-Sein, zum So-Sein-Wie-Ich-Bin, zum Wohlfühlen, zum Freunde treffen, zum Sich-Ausprobieren und zum Erfahrung sammeln. Man könnte auch sagen: Seit 30 Jahren ein zweites Zuhause für junge Menschen. So erging es auch Maik Herwig, dem damals jugendlichen Besucher der Villa und heutigem Leiter der Einrichtung, berichtet er im Interview mit den „Jugendsozialarbeit News“.
Etwas zurück geben, von dem was ich erfahren durfte
„Jugendsozialarbeit News“: Herr Herwig, Sie sind selbst als Jugendlicher Besucher der Villa Lampe gewesen. Was hat Sie so geprägt, dass Sie sich für eine Laufbahn als Sozialarbeiter entschieden haben? Und wie blicken Sie heute auf die Entwicklungen zurück?
Maik Herwig: Damals um die Wendezeit, gab es hier vor Ort nur wenige Angebote für uns Jugendliche. Wir haben uns zwar öfter im Park oder auf der Straße getroffen, aber in einem Kurort ist das nicht gerne gesehen, wenn sich Jugendliche im Kurpark tummeln.
Getragen vom Enthusiasmus dieser Wendezeit hatten sich damals Caritasleiterin Renate Huke, Jugendseelsorger Wolfgang Kirchner und Diakon Bernd Dettenbach zusammengeschlossen, um nach neuen Möglichkeiten des Aufbaus Offener Jugend- und Jugendsozialarbeit in freier kirchlicher Trägerschaft zu suchen. Unterstützt vom damaligen Bürgermeister Bernd Beck (CDU), der Ersten Beigeordneten Heidemarie Borm und dem neuen Schulrat Dieter Althaus (Thüringer Ministerpräsident a.D.) nahmen im April1991 Kontakt mit den Salesianern Don Boscos auf. Daraus wurde das Projekt „Villa Lampe“ geboren. Interessierte Jugendliche wurden von Beginn an in die Planung einbezogen.
Das unter dem Namen „Villa Lampe“ bekannte Haus diente nach dem 2. Weltkrieg zunächst als sowjetrussische Kommandantur, dann als Jugendheim der FDJ, bevor es zum Ende der DDR als staatlicher Kindergarten genutzt wurde. In die 1877/78 erbaute Villa der Familie Lampe zog nach Vereinsgründung im Mai 1991 der Verein „Katholische Jugendsozialarbeit im Eichsfeld e. V.“ als Vorgänger der heutigen Villa Lampe gGmbH im August in das Gebäude ein. Im Mittelpunkt stand die persönliche Begleitung jedes einzelnen Jugendlichen – und das ist heute noch genauso wie vor 30 Jahren.
Ich habe hier sein dürfen, egal, was ich an Gedanken, Gefühlen, Begeisterung oder auch Sorgen mitbrachte. Und als 15-Jähriger war das eine Menge. Ich wurde ernst genommen. Das war mir wichtig. Dieses Gefühl von angenommen sein, jemandem etwas zu bedeuten hat mich beeinflusst. Von diesem Geschenk möchte ich heute etwas zurückgeben. Ich möchte für die Jugendlichen von Heute ein Ermöglicher sein, jemand, der sie dabei unterstützt, ihre Potentiale zu entdecken und zu verwirklichen. So, wie ich es selbst auch erfahren durfte. Auch wenn mein beruflicher Weg zunächst in eine andere Richtung verlief und ich mich zunächst nur ehrenamtlich in der Jugend(sozial)arbeit engagiert habe.
Die Villa hat viele Entwicklungen durchlaufen
„Jugendsozialarbeit News“: Früher waren es eine Hand voll Mitarbeiter*innen. Heute wirkt in der Villa Lampe ein Team von mehr als 40 hauptberuflichen Sozialarbeiter*innen. Hinzu kommen die Ordensmitglieder, die in der Villa Lampe arbeiten, und ehrenamtliche Helfer*innen. Ihre Einrichtung ist heute der größte freie Jugendhilfeträger im Eichsfeld. Welche Entwicklungen hat die Villa durchlaufen?
Maik Herwig: Mit dem „Villa-Mobil“ fand das Angebot der Villa eine mobile Ergänzung – anfangs mit einem umgebauten und mit Sport- und Spielmaterial ausgestatten Ikarus-Bus. Ihm folgte später ein längerer MAN-Gelenkbus, ausgestattet mit Fußball-Tischkicker, Sitzgelegenheiten und einem Computer-Arbeitsplatz mit Drucker sowie einem kleinen Thekenbereich.
In immer mehr Dörfern und Gemeinden entstanden im Laufe der Zeit darauf aufbauend feste Jugendräume und -clubs, die von der Villa pädagogisch betreut wurden. Das ist bis heute so erfolgreich, dass über 20 Jugendclubs dazuzählen. Die ländliche Jugendarbeit ist ein wichtiges niedrigschwelliges Angebot der Jugendhilfe.
Jährlich werden verschiedene Programme, Ausflüge und Freizeitfahrten unternommen. Mit Hilfe der Jugendleiterschulung „JuLeiCa“ können Jugendliche ab 15 Jahre ehrenamtlich in ihrem Jugendclub arbeiten und ihn gemeinsam mit den Pädagog*innen betreuen. Daneben gibt es die aufsuchende Arbeit. Die Mitarbeiter*innen der Villa fahren in die Dörfer und halten Kontakt, wo es keinen betreuten Jugendclub gibt.
Projekte und Angebote der arbeitsweltbezogenen Jugendsozialarbeit, des Jugendgemeinschaftswerkes/Jugendmigrationsdienstes, des Kinder- und Jugendschutzdienstes Eichsfeld, der Schulsozialarbeit und zahlreiche Projekte mit Kooperationspartner*innen sind über die Jahre hinzugekommen.
Gerade in der Corona-Pandemie galt es neue Wege auszuprobieren. So entstand eine „hybride Jugendarbeit“. Darunter muss man sich eine Kombination von Online-Angeboten, aufsuchender Arbeit und der Arbeit in den Jugendclubs vor Ort. Die pädagogischen Mitarbeiter*innen sind für die jungen Menschen wichtige Bezugspersonen – auch bei Problemen zu Hause oder in der Schule, bei Mobbing-Erfahrungen oder Liebeskummer.
Seit September 2018 machen wir auch im Programm „Respekt Coaches“ mit. Im Heilbad Heiligenstadt findet das an der Bergschule und der Berufsbildenden Schule in Leinefelde statt. Mit Workshops und Aktivitäten wird Demokratie für junge Menschen erfahrbar gemacht; gegenseitiger Respekt und die Wertschätzung anderer Sichtweisen und Gedanken wird eingeübt. Dieses Angebot soll dieses Jahr noch auf weitere benachbarte Landkreise ausgeweitet werden.
In der Pandemie mussten kontaktlose Methoden entwickelt werden. Das jüngste Projekt „JMD digital“ wird seit April 2021 etabliert. Es geht um den Ausbau digitaler Anbindungsstrukturen, Kontaktaufnahme, Beratung und Orientierung für Zugewanderte im ländlichen Bereich.
Welche Herausforderungen sind zu meistern?
„Jugendsozialarbeit News“: Was sind die größten Herausforderungen, die die Villa Lampe in Zukunft zu meistern haben wird? Die Villa ist ja mit ihrem breiten Angebot ein Multi-Hilfs-Angebot. Wird sich an dieser Ausrichtung etwas verändern müssen?
Maik Herwig: Nein, denn gerade, dass wir so breit aufgestellt sind, zeichnet uns aus.
Nicht nur die Offene Jugend- und Jugendsozialarbeit der Villa Lampe, sondern auch die Integration zugewanderter Menschen und die Schulsozialarbeit stellt ein großes sozialarbeiterisches Tätigkeitsfeld dar. Eng damit verbunden ist auch der Kampf gegen rechtsextremistisches Gedankengut. Rassismus und Ausgrenzung sind hier in unserer Region Herausforderungen, denen wir uns immer wieder zu stellen haben. Björn Höcke (AfD) oder Thorsten Heise (NPD) haben hier ihre „Heimat“ und wirken vor allem über die Stammtisch-Politik in die Alltagseinstellung vieler Menschen hinein. Auch bei den Jugendlichen in der Region ist das problematisch. Sie äußern sich nicht offen und direkt rassistisch, aber subtil und in Stammtisch-Sprüchen hören wir das immer wieder. Dem gilt es entgegenzuwirken. Denn da, wo es keine offene Jugendarbeit gibt, wo neben Räumen auch Menschen fehlen, werden diese Lücken von den Rechten besetzt.
Eine andere Herausforderung ist die Zunahme von Gewalt und Mobbing. Die Corona-Krise hat, wie so Vieles andere auch, die Problematik befeuert. Heutzutage ist es vergleichsweise einfach, andere zu diskeditieren, zu beschimpfen und Bildmaterial zu verbreiten, das Schaden anrichtet. Plattformen wie Tellonym oder auch WhatsApp begünstigen Cybermobbing oder die Verbreitung von Bildmaterial. So tauchen schnell mal peinliche Bilder in sozialen Netzwerken auf. Bei diesen und vielen anderen Themen ist der KJSD, der Kinder- und Jugendschutzdienst Eichsfeld in der Villa Lampe seit über 25 Jahren ansprechbar und versucht zu helfen, einen gemeinsamen Weg aus der belastenden Situation zu finden, auch wenn die Situation manchmal aussichtslos erscheint. Außerdem versuchen wir die Jugendlichen mit Hilfe eines medienpädagogischen Projektes zu sensibilisieren. Eigentlich muss man ja nicht überall mitmachen, aber wenn man nicht mitmacht, ist man kein Teil davon/ von dieser Gruppe und wird dadurch schnell zum Außenseiter oder zur Außenseiterin. Also machen viele mit, auch wenn es gar nicht ihr Ding ist, anderen Schaden zuzufügen.
Wie katholisch ist die Villa Lampe?
„Jugendsozialarbeit News“: Die Villa Lampe wird getragen von einem katholischen Orden und dem Bistum Erfurt. Wie muss ich mir diesen Einfluss in der Praxis vorstellen, Herr Herwig?
Maik Herwig: Also bei uns laufen nicht die Pater im Ornat rum und führen Regie. Ja, wir sind ein katholisches Haus. Das katholisch sein zeichnet sich dadurch aus, dass wir jeden jungen Menschen bedingungslos annehmen, willkommen heißen und wertschätzen. Wir verstehen uns als Anwalt der jungen Menschen in der heutigen Gesellschaft, als ihr Sprachrohr gegenüber Politik und Verwaltung. Wenn es um das Wohl, die Interessen und Anliegen der Jugendlichen geht, machen wir uns da für sie stark, wo sie es selber nicht können.
Und wir sind da, wenn es nötig ist. Denn Not kennt keine Uhrzeit. Und so agieren auch alle Mitarbeiter*innen. Niemand muss getauft oder katholisch sein, um als pädagogische Fachkraft in der Villa Lampe arbeiten zu können. Ausschlaggebend ist die Nähe zu Don Boscos Grundhaltung. Und das funktioniert seit nunmehr 30 Jahren. Eine vielfältige Dienstgemeinschaft engagiert sich für und zum Wohl der jungen Menschen. Das verbindet uns.
„Jugendsozialarbeit News“: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin gutes Gelingen und herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum.
Quelle: BAG KJS – Das Gespräch führte Silke Starke-Uekermann (Redaktion)