Weitere Zunahme der Niedriglohnbeschäftigung: 2006 bereits rund 6,5 Millionen Beschäftigte betroffen

AKTUELLE FORSCHUNGSERGEBNISSE ZUR BESCHÄFTIGUNGSLANDSCHAFT IN DEUTSCHLAND Während Deutschland lange für seine ausgeglichene Einkommensstruktur bekannt war, ist der Anteil der Niedriglohnbeschäftigung seit Mitte der neunziger Jahre deutlich gestiegen, wie mehrere Studien in den vergangenen Jahren deutlich gemacht haben. Dieser Report von Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf veröffentlicht erstmals Ergebnisse zur Niedriglohnbeschäftigung für 2006. Die Berechnungen beziehen sich auf alle abhängig Beschäftigten (einschließlich sozialver-sicherungspflichtiger Teilzeitarbeit und Minijobs). Um die Entwicklung der Niedriglohnbeschäftigung im Zeitverlauf darstellen zu können, werden die Ergebnisse für 2006 im Vergleich zu ausgewählten früheren Jahren dargestellt. Die Analyse zeigt, dass die sich die Zunahme der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland auch 2006 fortgesetzt hat. Außerdem gibt es vermehrt Hinweise darauf, dass das Lohnspektrum in Deutschland zunehmend nach unten „ausfranst“. Datengrundlage der Längsschnittauswertungen ist das sozio-ökonomische Panel des DIW (SOEP) mit den Wellen A bis F, das die Möglichkeit bietet, auch Teilzeitbeschäftigte und Minijobs einzubeziehen, derzeit bis zum Jahr 2006. “ UMFANG DER NIEDRIGLOHNBESCHÄFTIGUNG Bestimmte Kategorien von Beschäftigten, für die sich keine sinnvollen Stundenlöhne berechnen lassen oder für die spezielle Entlohnungsregelungen gelten, wurden aus der Analyse ausgeklammert (Selbständige und Freiberufler/innen, mithelfende Familienangehörige, Auszubildende, Praktikant/innen, Personen in Umschulung und Rehabilitation, Personen in Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen, Beschäftigte in Behindertenwerkstätten, Wehr- und Zivildienstleistende sowie Beschäftigte in Altersteilzeit). Ebenfalls ausgeschlossen wurden Schüler/innen, Studierende und Rentner/innen, weil diese Gruppen üblicherweise nur einer Nebenbeschäftigung nachgehen. Diese Vorgehensweise führt dazu, dass unsere Ergebnisse zum Umfang des Niedriglohnsektors in Deutschland diesen eher unter- als überschätzen. Als Niedriglohnschwelle wird der OECD-Standard von zwei Drittel des Medianlohns verwendet. Für Deutschland stellt sich bezogen auf dieses Maß die Frage, ob aufgrund der erheblichen Lohnunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland … zwei getrennte oder eine einheitliche Niedriglohnschwelle berechnet werden soll. … Die differenzierten Niedriglohnschwellen im Jahre 2006 lagen in Westdeutschland bei 9,61 € und in Ostdeutschland bei 6,81 € pro Stunde. In Westdeutschland verdienten 22,2% und in Ostdeutschland 22,1% der Beschäftigten im Jahre 2006 weniger. Als Mittelwert für Gesamtdeutschland ergibt sich ein Niedriglohnanteil von 22,2%. Absolut entspricht dies etwa 5,44 Millionen Beschäftigten in West- und 1,03 Millionen Beschäftigten in Ostdeutschland, also insgesamt 6,47 Millionen Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland. Berechnet man hingegen eine bundeseinheitliche Niedriglohnschwelle, so liegt diese bei 9,13 € pro Stunde und der Niedriglohnanteil für Deutschland insgesamt bei 22,6%. … Allein zwischen 2004 und 2006 stieg die Niedriglohnbeschäftigung um über 10%. Dies ist umso beachtlicher, als die Niedriglohnschwellen im Jahr 2006 im Vergleich zu 2005 erstmals gesunken sind und zudem auch unter den Werten für 2004 liegen … STRUKTUR DER NIEDRIGLOHNBESCHÄFTIGUNG IM ZEITVERLAUF … Vom Anstieg der Niedriglohnbeschäftigung zwischen 1995 und 2006 sind Vollzeitbeschäftigte, sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigte betroffen. Allerdings liegen die Niedriglohnanteile innerhalb dieser Beschäftigtengruppen unterschiedlich hoch: Unter den Vollzeitbeschäftigten arbeitet inzwischen jede/r siebte für einen Niedriglohn, während es bei den sozialversicherungspflichtig Teilzeitbeschäftigten immerhin fast jede/r vierte ist. Den weitaus höchsten Anteil von Niedriglöhnen weisen Minijobs auf: Mit fast 92% im Jahre 2006 arbeitet die große Mehrheit der Minijobber/innen zu Stundenlöhnen, die unterhalb der Niedriglohnschwelle liegen. … Innerhalb des Niedriglohnsektors haben sich die Anteile der unterschiedlichen Beschäftigungsformen zwischen 1995 und 2006 deutlich verschoben … Die Auswertung nach Beschäftigtengruppen zeigt besonders hohe Niedriglohnanteile unter gering Qualifizierten (45,6%), Frauen (30,5%), Jüngeren (56,3%) und Ausländer/innen (38,9%). Im Zeitverlauf ist der Niedriglohnanteil in den vergangenen elf Jahren in fast allen Beschäftigtengruppen gestiegen, wobei auf Jüngere (bis 34 Jahre), Männer und Ausländer/innen die höchsten Steigerungsraten entfielen. Ein deutlicher Anstieg ist auch bei den Beschäftigten mit abgeschlossener Berufsausbildung erkennbar … TRIEBKRÄFTE DES NIEDRIGLOHNENTWICKLUNG UND IHRE AUSWIRKUNGEN Der Niedriglohnsektor hat in Deutschland im letzten Jahrzehnt (1995-2006) deutlich an Bedeutung gewonnen – inzwischen arbeitet mehr als jede/r fünfte Beschäftigte für Stundenlöhne unterhalb der Niedriglohnschwelle. Insgesamt liegt die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten im Jahr 2006 damit bei rund 6,5 Millionen Beschäftigten. Im Durchschnitt verdienten die Niedriglohnbeschäftigten 2006 in Westdeutschland 6,89 € und in Ostdeutschland 4,86 € brutto pro Stunde und damit sogar etwas weniger als in den beiden Vorjahren. Dies deutet darauf hin, dass der Anstieg der Niedriglohnbeschäftigung in jüngster Zeit mit einer weiteren Ausdifferenzierung der Löhne nach unten einhergeht. … Der Anteil der Niedriglöhne ist in den vergangenen Jahren besonders stark in den Bereichen gewachsen ist, in denen das Lohnniveau ohnehin bereits unterdurchschnittlich war bzw. der Niedriglohnanteil über dem Durchschnitt lag. Tarifliche Standards sind hier häufig gering, entfalten in der Praxis immer weniger Wirkung oder sind gar nicht (mehr) vorhanden. Outsourcing, Zeitarbeit und Lohnabschläge bei Minijobs verstärken diese Tendenzen häufig noch. Der Niedriglohnsektor ist in Unordnung geraten und zieht immer weitere Kreise. Die Politik hat mit der umfassenden Deregulierung der Zeitarbeit und veränderten Rahmenbedingungen bei den Minijobs, die deren Ausweitung begünstigt haben, im Jahre 2003 sogar weitere Schleusen geöffnet, die das Lohnniveau weiter unter Druck gesetzt haben. … Der Vergleich mit anderen … Ländern zeigt, dass Deutschland inzwischen den höchsten Niedriglohnanteil unter den kontinental-europäischen Ländern (Dänemark, Frankreich, Niederlande) hat und recht nahe bei den Werten für Großbritannien liegt. … Im internationalen Vergleich ist weiterhin auffällig, dass in Deutschland ein hoher Anteil der Niedriglohnbeschäftigten nicht aus dem Kreis der gering Qualifizierten stammt. Rund drei Viertel aller Niedriglohnbeschäftigten haben eine abgeschlossene Berufsausbildung oder sogar einen akademischen Abschluss. Dies ist umso gravierender, als die Chance, aus einem Niedriglohnjob in besser bezahlte Beschäftigung zu kommen, hierzulande besonders gering ist. Im europäischen Vergleich ist diese so genannte Aufstiegsmobilität aus dem Niedriglohnbereich nur in Großbritannien ähnlich niedrig. “ Den Bericht im Volltext entnehmen Sie bitte dem Anhang.

http://www.iaq.uni-due.de

Quelle: IAQ-Report 2008-01

Dokumente: Zunahme_Niedriglohnbeschaeftigung_report2008_01.pdf

Ähnliche Artikel

Gold- und-silberfarbene Euro-Münzen, die aus einem umgekippten Glas herausfallen.

Warnung vor Kürzungen bei den Jobcentern

Der Entwurf des Bundeshaushaltes für 2025 sieht Kürzungen bei den Eingliederungshilfen der Jobcenter vor. Nach einer ersten Einschätzung von Fachverbänden der Jugendhilfe sowie der Jugendsozialarbeit

Skip to content