Erstaunliche Korrekturen bei der Kinderarmutsrate vorgenommen

Die Bundesrepublik Deutschland gehört jetzt zu den OECD-Mitgliedsstaaten, in denen die Frage „Poorer pensioners or poorer Children?“ mit „Poorer Pensioners“ beantwortet wird. Die in der Öffentlichkeit bisher wahrgenommene Altersstruktur der Armut (Armutsraten) wurde durch eine „verbesserte Methodik“, die „innovative Methode der Fehlerbereinigung“ durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geradezu auf den Kopf gestellt. Bisher galt für die Bundesrepublik Deutschland, weitestgehend unbestritten, die Kinderarmut sei weitaus größer als die der älteren Generation.

Die „Financial Times Deutschland“ berichtete, dass die Statistiken des DIW massiv nach unten korrigiert wurden. Statt bei 16,3 Prozent, wie 2009 von der Industrieländerorganisation OECD aufgrund von DIW-Daten vermeldet, lag sie nur bei zehn Prozent. Aktuell liege sie bei 8,3 Prozent.

Die Kinderarmut war demnach nie höher als der OECD-Schnitt von 12,3 Prozent, sagte der zuständige DIW-Experte Markus Grabka der FTD. Die Zahl 16,3 Prozent veröffentlichte die OECD laut Zeitung 2009 in ihrem Bericht „Doing Better for Families“ drei Wochen vor der Bundestagswahl. Sie sorgte für enormes Aufsehen und führte zu neuen Diskussionen und Versprechen im Wahlkampf. Nach der Wahl drehte sich die erste Debatte der schwarz-gelben Regierung um ein Plus beim Kindergeld. Geplant war zunächst eine Erhöhung von 164 auf 200 Euro, beschlossen wurden dann 20 Euro mehr pro Kind und Monat. Die Anhebung kostet den Staat jedes Jahr 4 Milliarden Euro.

Das DIW habe „seine Erhebungsmethoden für die Einkommensstatistik verändert, sie der sinkenden Antwortbereitschaft der Bevölkerung angepasst und die Zahlen massiv verbessert.“ Der Vorstandsvorsitzende des DIW: „Unsere Zahlen wurden durch die neuen Methoden genauer und gehören damit zu den besten, die zur Verfügung stehen“.

Das DIW führt mit dem Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) eine der landesweit wichtigsten Untersuchungen für soziale Aussagen durch. Dafür werden regelmäßig Tausende Haushalte ausführlich befragt. Die SOEP-Daten sind die Grundlage für die Berichte der OECD. Als arm gilt eine Familie demnach, wenn ihr Haushaltseinkommen weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens beträgt.

Die Korrekturen waren laut Grabka notwendig, weil immer mehr Befragte Auskünfte verweigern. „In den 11.000 befragten Haushalten hat sich die Zahl derjenigen, die nicht antworten, vergrößert. Die Bereitschaft der Teilnehmer mitzumachen sinkt seit 2000.“ Vor allem bei Familien mit mehreren Verdienern aber haben die Statistiker große Schätzprobleme, wenn Einkommensangaben unvollständig sind. „Diesen Messfehler haben wir behoben“, sagte Grabka. Das DIW hat die Hochrechnung fehlender Daten sowie die Gewichtung verändert.

Nichts desto Trotz behauptet der Leiter des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP/DIW): „Am substantiellen Ergebnis unseres Armutsberichtes … hat sich durch die neuen Methoden nichts geändert: Kinder und Jugendliche sind die in Deutschland am stärksten von Armut betroffene Bevölkerungsgruppe.“

Die Bundestagsfraktion der Linken sieht in der Zahlenkorrektur die Relativierung des Bildungspakets Flops. Dem DIW wirft die Abgeordnete Diana Golze vor, nach dem Prinzip ‚Wes Brot ich ess, des Lied ich sing‘ zu arbeiten. Mit der überaus fragwürdigen Korrektur der Kinderarmutsquote von 16,3 Prozent auf 8,3 Prozent mache das Institut einmal mehr deutlich, für welche Politik es bereitwillig Schmiere stehe. „Als empirisches Meisterstück kann man eine telefonische Befragung nach dem Prinzip ‚Guten Tag, ist ihr Kind arm?‘ wohl kaum bezeichnen, findet die Kinder- und Jugendpolitische Sprecherin der Fraktion. Golze ist der Ansicht, dass eine Feldstudie zur Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in der Bundesrepublik – zum Beispiel an Kitas und Schulen – würde dem DIW zu etwas mehr Realitätssinn verhelfen würde. Steuerpolitisches Fachwissen um die Verrechnung des Kindergelds mit dem Hartz IV-Regelsatz hätte uns zudem die peinliche Mär von der angeblich viel zu teuren Kindergelderhöhung erspart. Denn Fakt ist: Nur Haushalten, die über ein zu versteuerndes Erwerbseinkommen verfügen, kommt die Kindergelderhöhung in vollem Umfang zugute. Haushalte im Hartz IV-Bezug profitieren von der Erhöhung hingegen überhaupt nicht. “

Quelle: Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe; KNA; Bundestagsfraktion Die Linke

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