Konrad-Adenauer-Stiftung setzt sich für Reform des Übergangssysstems ein

Die berufliche Bildung in Deutschland hat – jenseits der engagierten Fachkreise – wenig öffentliche Lobby. Dieser Mangel an öffentlicher Aufmerksamkeit mag auch mit dem Erfolg der dualen Berufsausbildung zu tun haben. Für die jungen Menschen, die diesen Ausbildungsweg anstreben, bietet das System die Chance zum Einstieg in den Arbeitsmarkt und in ein gelingendes Berufsleben. Für die Gesellschaft ist die duale Berufsbildung ein Integrationsmotor und für die Volkswirtschaft ein Garant für qualifizierten Fachkräfte-Nachwuchs. Das alles gilt für die weit überwiegende Mehrheit jedes Jahrgangs, aber nicht für alle. Im Jahr 2010 mündeten noch 323.700 Neuzugänge in das Übergangssystem ein, das sich allzu oft als Sackgasse erweist.

Neue Strategien sind in diesem Bereich erforderlich. Die Bundesregierung hat mit ihren Initiativen z.B. für die Etablierung von Bildungsketten, für eine frühzeitige Berufsorientierung und für den Einsatz von Ausbildungsbausteinen gemeinsam mit Ländern und Sozialpartnern neue Instrumente geschaffen. Daran will die Konrad-Adenauer-Stiftung anknüpfen und mit dieser Publikation konkrete Beiträge zur Diskussion um eine systematische Neugestaltung des sog. Übergangssystems leisten.

Was brauchen Jugendliche (in multiplen Risikolagen) zum erfolgreichen Berufsabschluss?
Über achtzig Prozent der Jugendlichen machen in Deutschland einen qualifizierten Berufsabschluss. Siebzehn Prozent der 20- bis 30-Jährigen verfügt über keinen beruflichen Bildungsabschluss. Unter den Personen mit Migrationshintergrund sind es sogar 31 Prozent. Jugendliche, denen kein Bildungsaufstieg gelingt, erkennen ihre geringen Chancen, beurteilen ihre Chancen negativer als die übrigen Jugendlichen und entwickeln keine Perspektive, mit der Konsequenz einer sinkenden Lebenszufriedenheit.

Wie fördern wir die Jugendlichen für einen erfolgreichen Berufsabschluss? ## Motivation fördern, Lern- und Leistungsbereitschaft aktivieren durch größere Praxisnähe in Regelschulen
## Perspektiven geben durch frühe Berufsorientierung
## Fordern der Jugendlichen durch Verbetrieblichung mit einer Neuausrichtung des Übergangs: Schule-Beruf
## Fördern durch Assistierte Berufsausbildung am Arbeitsmarkt
## Keinen alleine lassen durch vernetzte Organisationsformen
## Ein verantwortlicher Ansprechpartner
Auszüge aus den Reformvorschlägen der KAS-Expertise
„Verlässliche Regelstrukturen in risikoreichen Lebenssituationen für den Weg in ein „gutes Leben”:
Die Möglichkeit, durch eigene Leistung sein Leben zu gestalten, gilt in der Forschung über die Voraussetzungen eines „guten Lebens” als ein wichtiges Element. Die Begründerin des Konzeptes von einem „guten Leben”, die amerikanische Ethik- und Rechtsprofessorin Martha Nussbaum, sieht die Bedingungen für ein „gutes Leben” in einem kulturübergreifenden Konsens. Hieraus erwächst für sie die Verantwortung von Politik, die menschliche Befähigung zur Teilhabe und eigener Lebensgestaltung zu fördern.

Derzeit stellen sich Staat und Politik dieser Aufgabe, mit hohem finanziellem und personellem Aufwand. Die aber ungeachtet des Einsatzes beträchtlicher Ressourcen nach wie vor hohe Anzahl von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ohne Schul- und Ausbildungsabschluss, zeigt, dass möglicherweise bei den aktuell geförderten Konzepten etwas Grundlegendes übersehen wurde.


Der vorliegende Reformansatz stellt einen bisher unterschätzten Aspekt für das Gelingen von Schul- und Berufswegen in den Mittelpunkt: Es ist die Motivation, berufsrelevante Ziele mit Einsatzbereitschaft und Durchhaltevermögen zu verfolgen. …

Aus diesem Grund fußen diese Reformvorschläge auf praxiserprobte Methoden, bei leistungsschwachen Kindern und Jugendlichen aus prekären Milieus Motivation zu wecken und zu verstetigen. Kernelemente hierfür sind früh einsetzende, kontinuierliche Förderung von social and personal skills, lebens- und berufsnahe Aufgaben in der Schule zum Aufbau der Selbstwirksamkeit und konsequente Betrieblichkeit des Berufsweges als zentrale Motivationsquelle.

Herausforderung: Intervention
Lebenswirklichkeiten als Ausgangspunkt
Die Chancen auch risikobehafteter Heranwachsender, gegenwärtig einen Ausbildungsplatz zu erhalten, stehen gut, da bei den für die Zielgruppe besonders relevanten praktisch ausgerichteten Berufen aufgrund abnehmender Kohortenstärken derzeit ein deutlicher Mangel an Bewerbern entstanden ist. Für mehr als zwei Drittel der kleinen und mittleren Unternehmen gestaltete sich die Besetzung offener Stellen in den letzten Jahren als schwierig, wie die bundesweite IHK-Unternehmensbefragung „Ausbildung 2011” zeigt. Hieraus folgt die Notwendigkeit, die Ressourcen und Talente aller Jugendlichen, auch der schulisch leistungsschwachen, in den Blick zu nehmen, mit dem Ziel „alle jungen Menschen zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung und einem Berufsabschluss zu führen”.

Das Fenster der Möglichkeiten hinsichtlich der beruflichen Integration chancenarmer Jugendlicher in den Beruf gilt es zu nutzen, solange es noch geöffnet ist. Das geöffnete Fenster ist der Ausgangspunkt der Reformvorschläge, die sich nicht primär auf Systeme, sondern auf die Lebenswirklichkeiten von Heranwachsenden in prekären Milieus, auf die Lebenswirklichkeiten der Betriebe und auch der pädagogischen Fachkräfte beziehen.

Angebot für Jugendliche und für Betriebe

Die vorliegenden Reformvorschläge reagieren auf die Zwickmühle, in der sich zahlreiche Betriebe befinden: Entweder verzichten sie auf dringend benötigten Fachnachwuchs oder sie wagen die Ausbildung leistungsschwacher Jugendlicher, mit deren mangelnder persönlicher und kognitiven Reife Betriebe sich (nicht ganz unrealistisch) überfordert sehen. Sie sehen, dass es schwierig wird, Jugendliche auszubilden, deren Entwicklung weder im sozial-familiären Umfeld, noch in den Institutionen der Bildung und Jugendhilfe erfolgreich in Richtung Berufsfähigkeit gelenkt werden konnte. Es gilt, Betrieben ein Angebot zu machen, bevor sie auf die Situation mit Ausweichreaktionen antworten (z.B. Verzicht auf Ausbildung). Zugleich sind Betriebe der ideale Ort, um schulmüde Jugendliche zu motivieren, ihnen positive Selbstwirksamkeitserfahrungen zu vermitteln und Nachreifungsprozesse anzuleiten, wie Praxiserfahrung und Forschung übereinstimmend belegen. Hieraus ergibt sich eine „konsequente Verbetrieblichung” als leitendes Prinzip der Reformvorschläge, …

## 1. „Assistierte Ausbildung” in die Fläche bringen

Die geforderte Betrieblichkeit wird in unserem Reformvorschlag zum einen ermöglicht durch die Assistierte Ausbildung in Betrieben. Zielgruppe sind die Jugendlichen mit Defiziten, deren Qualität eine Ausbildungsbegleitung notwendig aber auch zugleich erfolgversprechend sein lässt. Das Konzept einer persönlich begleiteten Ausbildung bei kritischen Ausbildungssituationen gehört sowohl bei befragten Jugendlichen als auch bei der Expertenschaft zu den Spitzenreitern für die Reform des derzeitigen Übergangssystems. Betriebe und Jugendliche erhalten im Rahmen einer verbindlichen und nachhaltig ausgestalteten Infrastruktur die Möglichkeit einer „Assistierten Ausbildung”, die gewährleistet, dass die Jugendlichen (und auch die Betriebe) während der gesamten Ausbildungszeit durch professionelle Fachkräfte begleitet und betreut werden. …
## 2. Maximale Betriebsnähe

Es wird jedoch eine Gruppe von Jugendlichen bleiben, die (zumindest zeitweise) nicht in der Lage sind, eine betriebliche Ausbildung zu absolvieren. Für den allergrößten Teil von ihnen sind aber die primär schulischen Maßnahmen des gegenwärtigen Übergangssystems ebenfalls nicht geeignet, da die Jugendlichen (nur unter verschlechterten Rahmenbedingungen) wieder in schulischen Strukturen lernen sollen, mit denen sie über Jahre massive Scheiternserfahrungen gemacht haben. Professionelle Ausbildungs- und Qualifizierungsunternehmen, die am ersten Arbeitsmarkt in Kooperation mit Unternehmen tätig sind, bieten eine anrechenbare Berufsausbildung, die, sobald die nötigen Reifeprozesse nachgeholt sind, im regulären Betrieb fortgesetzt wird.
## 3. Zentrale Anlaufstelle

… Die Schaffung „zuverlässiger Verantwortungsstrukturen” auf regionaler Ebene: Hierfür schlagen wir die Einrichtung „einer zentralen Anlaufstelle” vor, die als „Kommunale „Jugendagentur” bezeichnet werden könnte. Dort würden alle Akteure mit ihren unterschiedlichen Verantwortungsschwerpunkten unter einem Dach zusammenarbeiten wobei sie finanziell ihren Herkunftsbehörden verbunden blieben. Die Jugendagentur wäre die Antwort auf die einstimmig von Praxis und Wissenschaft erhobene Forderung einer zuverlässigen Koordinations-, Steuerungs- und Verantwortungsebene für die Vorbereitung und Gewährleistung des Übergangs von der Schule in den Beruf. … Leitprinzipien: Qualität und Wirksamkeit
Wesentlich für den Erfolg der neugestalteten „betrieblichen Übergangszone” wird die Schaffung eines flächendeckenden und verbindlichen Rahmens mit Qualitätsstandards sein, deren Wirksamkeit kontinuierlich überprüft und kontrolliert werden muss.

Ein Kernelement hoher Qualitätsstandards muss die Professionalisierung der Arbeitsbedingungen der pädagogischen Fachkräfte sein, die gegenwärtig gekennzeichnet sind durch befristete Verträge, das Fehlen qualitativ hochwertiger (Aus-) und Weiterbildung und eine sehr niedrige Bezahlung.

Herausforderung: Prävention
Frühzeitige Förderung von Risikogruppen ## 1. Familiär bedingte Defizite bereits im Vorschulalter kompensieren

Da es nicht in erster Linie kognitive Defizite, sondern Entwicklungsverzögerungen im Bereich persönlicher und sozialer Fähigkeiten sind, die sowohl schulischen als auch beruflichen Erfolg verhindern, muss die allseits geforderte Berufsorientierung in Institutionen der Bildung desto früher und umfassender ansetzen, je risikobehafteter Kinder und Jugendliche sind. Für den vorschulischen Bereich ist das „Perry Preschool Programme” im internationalen Vergleich die effektivste Methode der gezielten frühen Förderung von Kindern aus prekären Milieus. Obwohl das Programm den Intelligenzquotienten nicht dauerhaft erhöht, bewirkt es über den Zuwachs an persönlichen Qualitäten deutlich erfolgreichere Berufs- und Lebenswege: …
## 2. Training von „soft-skills” in der Grundschule

Für die Grundschule muss auf das international am erfolgreichsten evaluierte Programm „Incredible Years” der amerikanischen Professorin für Klinische Psychologie, Carolyn H . Webster-Stratton, verwiesen werden. Die evidenzbasierten Trainingsprogramme für Eltern, Lehrer und für den Regelunterricht sowie außerunterrichtliche Aktivitäten in der Grundschule wenden sich gezielt an die Förderung von persönlichen und sozialen Fähigkeiten. …
## 3. Angebot der Regelschule für „school-dropouts”: Berufsnähe und Praxisbezug

Die traditionellen, punktuellen Konzepte der Berufsorientierung in Schulen (z.B. Arbeitslehre, Kurzzeitpraktika, „Girls oder Boys Day”) bereiten aus Praxissicht weder ausreichend auf eine Berufsausbildung vor, noch können sie Heranwachsende dazu motivieren, sich ernsthaft um einen erfolgreichen Schulabschluss zu bemühen. … Frühzeitige und qualitativ hochwertige Berufsorientierung in der Schule hat so einen doppelt positiven Effekt. Notwendig ist ein umfassendes Verständnis von Berufsorientierung als (jahrelanger) Prozess, der nur gelingen kann, wenn er möglichst früh gefördert wird. Regelschulen, unter der Voraussetzung verbesserter Rahmenbedingungen, können dies leisten, indem sie neue und motivierende Lernorte und -anlässe (z.B. Berufswelt) mit einbeziehen. … Insbesondere für Heranwachsende, die mit dem Normalmodell Schule nicht mehr erreichbar sind, ist es wichtig, wenn Regelschulen ihnen ein Angebot machen können, beispielsweise in Form eines integrierten praktischen Zweigs nach Vorbild moderner Konzepte der sog. Produktionsschulen. So werden Berufsorientierung und Schulmotivation gleichermaßen unterstützt.
Ausgehend von Erfolgserfahrungen aus der Praxis, brauchen wir ein umfassendes, für Schulen bundesweit abrufbares Konzept der Berufsorientierung in der Schule, beginnend mit den Schulformen, die einen erhöhten Anteil an Risikoschülern aufweisen.
Hinsichtlich der steigenden und hohen Zahl von Studienabbrechern bedürfte auch das Gymnasium eines verbesserten Konzeptes der Berufsorientierung. …“

Damit nicht nur immer über Maßnahmen gesprochen wird, hat die Konrad-Adenauer-Stiftung unter dem Titel „Aufstieg durch (Aus-) Bildung – Der schwierige Weg zum Azubi“ gleichzeitig einen zweiten Band vorgelegt. Hier rücken die Jugendlichen selber in den Mittelpunkt. Betroffene stellen zehn erfolgreiche Modelle zur Berufsbefähigung aus Schule und Ausbildung detailliert vor.

Beide Publikationen stehen im vollen Textumfang zum Download im Anhang bereit.

http://www.kas.de/wf/de/33.29302/
http://www.kas.de/wf/de/33.29301/

Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung

Dokumente: kas_29302_544_1_30.pdf

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