Auszüge aus der Expertise „Schulbezogene Unterstützungsnetzwerke“ von Heiner Brülle, Gerhard Christe, Ragna Melzer, Lutz Wende im Auftrag des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS). Die Expertise wurde im Rahmen der AWO-ISS-Armutsstudie „Kinder- und Jugendarmut IV“ erstellt.
“ Die vorliegende Expertise entwickelt, ausgehend von den Ausgrenzungsrisiken herkunftsbenachteiligter, insbesondere armer junger Menschen in der Sekundarstufe I und im Übergang Schule – Beruf, konkrete Gestaltungsansätze, die eine kompensatorische Förderung dieser jungen Menschen ermöglichen und auf den Abbau institutionell bedingter Ausgrenzungsrisiken zielen.
Die programmatische Herkunft dieser Ansätze weist ebenso wie die konzeptionelle und fachliche Orientierung der Autoren einen starken Jugendhilfebezug auf. Die vorliegenden Gestaltungsansätze folgen einem impliziten Leitbild, welche wir in vier Punkten zusammenfassen können:
## Junge Menschen benötigen individualisierte institutionenübergreifende Eingliederungswege zwischen Schule, Berufsbildung und Erwerbsarbeit: Individuelle Integrationsstrategie
## Zur Verbesserung der Integrationserfolge und zur Ausschöpfung der Bildungspotentiale ist eine institutionelle Vernetzung und Integration der Strategien der Institutionen und Akteure im Übergang von der Schule in das Erwerbsarbeitssystem erforderlich: Systemkopplung
## Stadt und Gemeinde sind der natürliche Ort, an dem diese Eckpunkte konkret und verbindlich geplant, gesteuert und umgesetzt werden müssen (Berichtswesen, Zielvereinbarungen etc.): Lokalisierung“.
Dieser Expertise liegen folgende Annahmen zu Grunde:
bzw. eine Entscheidung über den weiteren schulischen und/oder beruflichen Bildungsweg und damit auch über individuelle Lebensperpektiven zu treffen.
## Die für den Lebensweg der Schulabgänger1 wesentliche bildungsbiografische Phase des Übergangs Schule – Beruf beginnt nicht nach der allgemeinbildenden Schulzeit, sondern ist eine Kernaufgabe in der Schulzeit des jungen Menschen. Sie tritt (außerhalb der Gymnasien)
spätestens in der 7. Klasse zunehmend in den Mittelpunkt und wird zur Quelle oder auch zum Hemmschuh von Lernmotivation und Leistungsvermögen der jungen Menschen.
## Die Förderung der beruflichen Orientierung ist keineswegs allein Aufgabe der Institution Schule, sondern ein Ko-Produkt des jungen Menschen und seines sozialen Umfeldes, der Schule, der Agentur für Arbeit, der Institutionen der Wirtschaft sowie der Jugendhilfe mit Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. Fehlende berufliche Orientierung und eine mit pessimistischen Chancenerwartungen belegte biographische Schwelle des Übergangs Schule – Beruf mindert das schulische Bildungsengagement der jungen Menschen, fördert „school drop out“ und gefährdet den Erwerb von Bildungszertifikaten mit chancenreichen Berufswegeoptionen.
## Die allgemeinbildende Schule – für den Personenkreis armer Jugendlicher sind das insbesondere die Haupt-, Realschulen sowie die Integrierten Gesamtschulen – kann als „Ort“ identifiziert werden, in dem der weitere schulische bzw. berufliche Bildungsweg und damit zentrale persönliche Aspektes des „Lebensentwurfs“ des jungen Menschen verhandelt werden. Diese Ortsbestimmung „Schule“ darf aber weder mit der zentralen schulischen Veranstaltungsform „Unterricht“ noch mit dem schulischen Lehrpersonal gleichgesetzt werden. Sie bezieht sich also nicht auf die Institution Schule, sondern auf die �bildungsbiografische
Phase‘ des Übergangs junger Menschen von der Schule in den Beruf.
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Schulbezogene Unterstützungsnetzwerke zur Förderung
herkunftsbenachteiligter Jugendlicher im Übergang Schule – Beruf
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Netzwerke in diesem Sinne können als Akteursbeziehungen mit unterschiedlichen wechselseitigen Interessen verstanden werden, die auf ein gemeinsames Problem bzw. eine gemeinsame Aufgabe fokussieren. Sie streben ein „Kollektivgut“ an. Die Akteure in Netzwerken agieren unter Beibehaltung ihrer Autonomie. …
Funktionierende Netzwerke:
## gewährleisten eine überorganisationale Handlungsfähigkeit;
##haben eine eigene Identität, eigene Rationalitäten und eine eigene Handlungsfähigkeit;
## haben eine Koordination, ohne diese als hierarchische Leitung auszugestalten;
## bilden insgesamt einen kollektiven Akteur.
## Konkurrenz zwischen den Netzwerkbeteiligten;
## Netzwerke, die nur auf operativer oder nur auf Entscheidungsebene angesiedelt sind;
## fehlendes Wissen um Regelungsbedarfe und -möglichkeiten.
Was brauchen Netzwerke im Handlungsfeld Übergang Schule – Beruf mit besonderem Blick auf die Kompensation herkunftsbedingter Bildungsungleichheit von armen jungen Menschen? …
Institutionelle Vernetzung
Die Unterstützungsnetzwerke im hier entwickelten Ansatz basieren auf einer verbindlichen übergreifenden Gestaltung der Zusammenarbeit rund um den Lernort Schule und speziell am Übergang Schule – Beruf.
Dies erfordert, dass die institutionellen Aufträge – nicht selten sind dies gesetzlich festgelegte Leistungen und Regularien – an alle Akteure des Unterstützungsnetzwerkes für den Bereich der Bildungsförderung und insbesondere der Übergangsgestaltung aufeinander abgestimmt werden. Damit geben die beteiligten Akteure im Rahmen der hier angestrebten Kooperation freiwillig einen Teil ihrer Autonomie ab und binden sich verbindlich in einen übergreifenden Arbeitsprozess ein. Nicht selten wird diese Vernetzung durch gesetzliche Kooperationsgebote (SGB II §§ 17 u. 18, SGB III § 9 Abs. 3 oder SGB VIII § 13 Abs. 4 u. § 81) formal unterstützt.
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Eindeutiger Auftrag und Ressourcenausstattung
Das Unterstützungsnetzwerk erhält oder entwickelt für sich seinen Leistungsauftrag, der auf möglichst hoher Ebene legitimiert bzw. beschlossen wird. Eine gemeinsame, qualifizierte Zielgruppen- und Bedarfsanalyse ist Voraussetzung für eine konkrete Zielentwicklung und
Zielplanung. Insbesondere die auf der Basis von rechtlichen Leistungsvorgaben im Feld tätigen Akteure (Schule, Berufsberatung der Agentur für Arbeit, Jobcenter und öffentliche Jugendhilfe) müssen eindeutig und klar festlegen, welche ihrer Aufgaben sie in das Auftragsund Aufgabenportfolio des Unterstützungsnetzwerkes einbringen. Ebenso ist mit der Auftragsbeschreibung verbindlich die Menge und Qualität der einzubringenden Ressourcen der Netzwerkakteure festzulegen. Es sollte weitgehend zweifelsfrei geklärt sein, welche Leistungen und welche Leistungsprozesse für welche Zielgruppen durch das Unterstützungsnetzwerk und ggf. welche Leistungen weiterhin isoliert durch die Akteure außerhalb des Unterstützungsnetzwerkes erbracht werden. Die Auftragsbeschreibung enthält ferner einen Planungs- und Steuerungsauftrag, der in einer Kooperationsvereinbarung festgeschrieben wurde und die Kompetenzen sowie die einzubringenden Ressourcen aller Akteure festlegt. Ebenso werden Arbeitsziele und in der Regel jährliche Arbeitsprogramme vereinbart.
Verbindliche Verfahrensweisen
Die oben genannte Kooperationsvereinbarung beinhaltet einen internen Geschäfts- und Aufgabenplan sowie eine grundsätzliche Vereinbarung über Verhandlungs- und Entscheidungsverfahren ebenso wie für die Regelung von Konflikten. Die Kernprozesse der Leistungen des Netzwerkes und die Schnittstellen zu den weiterhin außerhalb des Netzwerkes zu erbringenden Leistungen sollten geklärt und kontinuierlich auf Änderungs- und Anpassungsbedarfe hin thematisiert werden. Grundlage für die Gestaltung der Arbeitsprozesse und der Schwerpunktsetzungen ist eine einheitliche Datengrundlage, die gemeinsam bewertet wird und aus der Ziele sowie unmittelbare Arbeitsanforderungen abgeleitet werden. Die Datengrundlage ist regelmäßig zu überprüfen und zu aktualisieren.
Professionelles Netzwerkmanagement
Es empfiehlt sich, ein professionelles Netzwerkmanagement zu etablieren, das mittels einer verbindlichen Moderation in der Lage ist, zwischen den unterschiedlichen Interessen und Arbeitsformen(/-logiken) zu vermitteln. In der Regel ist hierfür eine zusätzliche personelle Ressource erforderlich. Dies sichert eine höchstmögliche Transparenz in Bezug auf interne Verhandlung und Entscheidungen im Rahmen der vereinbarten Arbeitsprozesse. Das Unterstützungsnetzwerk in diesem Sinne stellt eine neue Qualität des Aushandelns dar, die über die konventionellen Formen (hoheitliche Vergabe bzw. Zuwendung usw.) hinaus weist.
Eindeutige Steuerungsformen
Über die oben genannten formalen Vereinbarungen zur Steuerung und Kooperation werden für das Unterstützungsnetzwerk eigenständige Controlling- und Steuerungsformen entwickelt, die die angestrebten übergreifenden Arbeitsprozesse regulieren. Die oben dargestellte sehr lange und im konkreten Einzelfall sicherlich noch erweiterbare Liste der möglichen Akteure als Netzwerkpartner macht deutlich, dass eine differenzierte Steuerungsstruktur des Netzwerkes mit unterschiedlichen Beteiligungstiefen der unterschiedlichen Akteure ausgestaltet werden muss. Die verbindlichen Beiträge der Netzwerkakteure (z. B. Berufsberatung, Berufswahltest, Förderunterricht, Begleitung betrieblicher Praktika, Mentoring einzelner Personen oder Gruppen, ergänzende berufliche Grundbildungsangebote etc.) müssen präzise benannt werden und sind z. B. über ein Jahresarbeitsprogramm zu aktualisieren und zu terminieren.
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Schulbezogene Unterstützungsnetzwerke im Übergang Schule – Beruf zur Prävention von Armutsfolgen und anderen herkunftsbezogenen Benachteiligungen
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Die im schulbezogenen Unterstützungsnetzwerk systematisch abgestimmten Lern- und Förderangebote in Schule, Alltagsbildung und vorberuflicher Grundqualifizierung tragen ebenso wie die flankierenden, individuellen Unterstützungsangebote zur frühzeitigen und nachhaltigen Verbesserung der Kompetenzentwicklung armer Jugendlicher bei. Besonders wichtig ist es, den Schülern bereits während ihres Sekundar-I-Schulbesuches alle notwendigen Förderangebote zu unterbreiten, so dass der Eintritt in das Übergangssystem nur noch für wenige Jugendliche erforderlich ist und ihnen ein (nicht gerade motivationsförderndes) Scheitern an der �ersten Schwelle‘ erspart bleibt. Der notwendige zeitliche und organisatorische Rahmen für entsprechende Aktivitäten eines schulbezogenen Netzwerks könnte durch die Ganztagsschule und – eine aus unserer Sicht anzustrebende – einheitliche 10-jährige Schulzeit gewährleistet werden.
Für die Jugendlichen, deren „berufliche und gesellschaftliche Integration gefährdet ist“, bietet sich das vom Paritätischen Gesamtverband entwickelte Modell einer verbindlichen und professionellen Jugendsozialarbeit gemäß SGB VIII §1 3 an, das zu einem �harten‘ Rechtsanspruch auf Leistungen im SGB VIII kodifiziert werden soll. Demnach wäre im Einzelfall zu entscheiden, ob der junge Mensch ergänzend oder ersetzend zum Schulbesuch oder in dessen Anschluss ein passgenaues Leistungsangebot der Jugendsozialarbeit erhält, um die individuellen Integrationsziele zu erreichen.
Abschließend ist festzustellen, dass die hier beschriebenen Ansätze zur Gestaltung bzw. Steuerung schulbezogener Unterstützungsnetzwerke im Übergang Schule – Beruf vielfältige Perspektiven eröffnen, um die Bildungs- und berufliche Integrationschancen von jungen Menschen aus armen Familien oder mit anderen herkunftsbezogenen Benachteiligungen frühzeitig und nachhaltig zu verbessern. Es ist offensichtlich geworden, das die Kommune und insbesondere die kommunale Jugendhilfe eine zentrale Rolle sowohl bei der schulbezogenen als auch bei der schulübergreifenden Netzwerkbildung übernehmen muss. … Um diese künftig noch zielgerichteter für die Bildungsförderung armer Jugendlicher zu nutzen, bedarf es neben dem abgestimmten Vorgehen vor Ort auch einer entsprechenden gesetzlichen bzw. förderrechtlichen ahmensetzungen auf Landes- bzw. Bundesebene sowie neuer Formen der Zusammenarbeit dieser Ebenen mit der lokalen Ebene. „
Die Expertise in vollem Textumfang beziehen Sie beim Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS).
Quelle: AWO Bundesverband