Kompetenzerwerb durch Auslandserfahrung bei benachteiligten Jugendlichen

Während bei Studierenden das Auslandssemester mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden ist, findet ein Auslandsaufenthalt im Bereich der beruflichen Ausbildung nach wie vor nur vergleichsweise selten statt. Dieser Befund überrascht vor dem Hintergrund zahlreicher Erkenntnisse, dass Auslandsaufenthalte nicht nur die Berufschancen von Jugendlichen verbessern, sondern auch für ihre persönliche Entwicklung hilfreich sein können.

Wenngleich die Übertragbarkeit dieses Nutzens auf benachteiligte Jugendliche noch teilweise in Frage gestellt wird, gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Auslandsaufenthalte auch in dieser Zielgruppe einen Nutzen für die persönliche Entwicklung und für die Vermittelbarkeit in Arbeit haben können. Daher hat die Nationale Agentur beim Bundesinstitut für Berufsbildung im Oktober 2010 eine Studie zu grenzüberschreitender Mobilität bei sozial benachteiligten Jugendlichen und zum Kompetenzerwerb und dem besonderen Nutzen der Auslandserfahrung für diese Jugendlichen ausgeschrieben. Der vorliegende Endbericht stellt die Ergebnisse dieser Studie vor, die von der GIB Gesellschaft für Innovationsforschung und Beratung mbH in Berlin durchgeführt wurde.

Die Beschreibung der Zielgruppe benachteiligter Jugendlicher erfolgt vor allem durch die für die Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe relevanten Rechtsbereiche SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) und SGB III (Arbeitsförderungsrecht). In den Geschäftsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit sind Berufsausbildungen in außerbetrieblichen Einrichtungen für Jugendliche vorgesehen, die lernbeeinträchtigt oder sozial benachteiligt sind. Sozialbenachteiligte Jugendliche finden seltener als andere Jugendliche einen betrieblichen Ausbildungsplatz, da sie in geringerem Umfang in soziale Netzwerke integriert sind, die das berufliche Vorankommen fördern könnten, sich häufig in familiär prekären Situationen befinden oder von anderen Benachteiligungen betroffen sind.

Können diese Jugendlichen als Alternative eine außerbetriebliche Berufsausbildung absolvieren, konkurrieren sie nach Beendigung ihrer Ausbildung auf dem Bewerbermarkt mit Absolventen betrieblicher Ausbildungen. Sie müssen dann versuchen, Vorbehalte gegenüber der Wertigkeit ihrer Ausbildung zu widerlegen. Alle Maßnahmen, die eine Erweiterung ihrer Kompetenzen und damit verbunden eine Stabilisierung ihres Selbstwertgefühls und ihrer Selbstständigkeit fördern, erhöhen die Chance von sozial benachteiligten Jugendlichen, nach der Beendigung ihrer Ausbildung eine Anstellung auf dem regulären Arbeitsmarkt zu erlangen. Ein Auslandspraktikum, so die dieser Studie zugrunde liegende Ausgangsthese, kann unter bestimmten Rahmenbedingungen die Selbstkompetenzen und die Sozialkompetenzen von benachteiligten Jugendlichen verbessern. Somit kann es zum „Stabilisator“ werden, der die Konkurrenzfähigkeit der Jugendlichen erhöht.

Ein Auslandspraktikum könnte somit auch die außerbetriebliche Berufsausbildung aufwerten und die Anschlussfähigkeit sozial benachteiligter Jugendlicher auf dem Arbeitsmarkt steigern. Die Teilnahme an einem Auslandsaufenthalt stellt allerdings gerade für benachteiligte Jugendliche eine große Herausforderung dar. Es muss mit einer neuen Lebens- und Arbeitsumgebung umgegangen werden und nicht zuletzt die Sprachbarriere gemeistert werden. Den Auszubildenden wird also einiges an Selbständigkeit abverlangt, was wiederum hohe Anforderungen an die Vorbereitung und Begleitung von Auslandsaufenthalten stellt.

Auszüge aus den Kernergebnissen und Handlungsempfehlungen der Studie „Grenzüberschreitende Mobilität bei sozial benachteiligten Jugendlichen in der Berufsausbildung“
“ … Ergebnisse zum Punkt „Kompetenzzuwächse“
Ausgangspunkt der Untersuchungen zur Frage, inwieweit Auslandspraktika zur Kompetenzentwicklung von sozial benachteiligten Jugendlichen beitragen können, war die Vermutung, dass diese Jugendlichen durch ein solches Praktikum auch deutlich überfordert sein könnten. Damit war fraglich, ob sozial benachteiligte Jugendliche überhaupt von einem Auslandspraktikum profitieren können. Die Ergebnisse zeigen aber deutlich, dass in der Regel von einer Überforderung nicht die Rede sein kann, sondern dass sich die Kompetenzen der Jugendlichen während der Auslandspraktika überaus positiv entwickeln. …

In Bezug auf einige Einzelkompetenzen im Bereich der nicht-fachlichen Kompetenzfelder berichteten die befragten Jugendlichen, die ein Auslandspraktikum absolviert hatten, sogar von höheren Kompetenzzuwächsen als die Jugendlichen, die zu einem Inlandspraktikum befragt wurden. Besonders auffällig und statistisch signifikant waren diesbezüglich Kompetenzzuwächse hinsichtlich der Teamfähigkeit der Jugendlichen. Die Entwicklung dieser Kompetenz wird durch die besonderen Bedingungen und Herausforderungen eines Auslandspraktikums offenbar besonders gefördert. Die Inhaltsanalyse der von den Jugendlichen beschriebenen Erlebnisse hat zudem ergeben, dass diese durch die Auslandspraktika auch internationale Berufskompetenzen erwerben konnten, also Fremdsprachenkenntnisse, internationale Fachkenntnisse sowie interkulturelle Kenntnisse und Dispositionen.

Zudem wurde deutlich, dass Kompetenzzuwächse offenbar weitaus häufiger durch positive als durch negative Erlebnisse entstehen. Hieraus lässt sich ableiten, dass Projektträger, die Mobilitätsmaßnahmen für benachteiligte Jugendliche durchführen, ein verstärktes Augenmerk auf die Herbeiführung positiver und die Verhinderung negativer Erlebnisse legen sollten. In den qualitativen Interviews mit Projektträgern zeigte sich, dass diese dieses Prinzip bereits größtenteils berücksichtigen. Ihr pädagogisches Handeln zeichnet sich u.a. durch das Sichtbarmachen von Kompetenzen, durch viel positive Bestätigung und durch Geduld aus. …

Insgesamt lassen sich aus diesen Befunden die folgenden Handlungsempfehlungen ableiten: ## Die Projektträger sollten weiterhin insbesondere das Erfahren positiver Erlebnisse während der Auslandspraktika fördern, da diese umfassender zu Kompetenzentwicklungen beitragen als negative Erlebnisse. In Einzelfällen könnte es sogar Sinn machen, positive Erlebnisse noch gezielter herbeizuführen.
## Damit sich das in den relativ kurzen Auslandspraktika bei den Jugendlichen Gelernte auch festigen kann, ist offenbar eine besonders strukturierte, intensive und längerfristige Nachbereitung der Auslandserfahrungen nötig. Um die erreichten Lernerfolge aufrecht zu erhalten sind daher noch umfassendere Nachbereitungskonzepte nötig, als sie zurzeit zum Einsatz kommen.
Ergebnisse zu den Punkten „Beschäftigungsfähigkeit“ und „Vermittelbarkeit“
Die Ergebnisse zu den Punkten Beschäftigungsfähigkeit und Vermittelbarkeit sind ebenso wie in der Fachliteratur eher ambivalent.

Da die durch das Auslandspraktikum erhöhten Kompetenzen der sozial benachteiligten Jugendlichen auch einen Teil ihrer Beschäftigungsfähigkeit ausmachen, kann auch von einer verbesserten Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmenden ausgegangen werden. …

Die mit Sozialpädagogen/-innen und Ausbildern/-innen sowie Betrieben geführten Interviews ergaben jedoch auch, dass nicht von einer regelmäßig erhöhten Vermittelbarkeit der an einem Auslandspraktikum Teilnehmenden ausgegangen werden kann. Dies ist auf einen ganzen Komplex von Gründen zurück zu führen. Zunächst sind die Auslandspraktika aus Sicht der befragten Betriebe in der Regel zu kurz, um einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Auch die Experten bei den Projektträgern bestätigten, dass kurze Auslandsaufenthalte kaum „vermarktungsfähig“ sind. Insbesondere die Betriebe, für die fachliche Kompetenzen ein sehr wichtiges Einstellungskriterium darstellen, bezweifelten, dass im Auslandspraktikum entsprechende Fortschritte gemacht werden konnten. Zudem spielen Auslandserfahrungen als Solche für die Mehrheit der befragten Betriebe keine große oder überhaupt keine Rolle. Dies ist darauf zurück zu führen, dass die Projektträger in der Regel mit sehr kleinen, ausschließlich regional agierenden Betrieben kooperieren, zu denen enge Kontakte bestehen.

Doch auch den Betrieben, die im Interview die Bedeutung von nicht-fachlichen Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Disziplin usw. für Einstellungsentscheidungen betonten, war der diesbezügliche Nutzen der Auslandspraktika häufig nicht bewusst. …

Letztendlich war auch festzustellen, dass die Auslandspraktika nur selten einen ganz expliziten Bestandteil des Vermittlungskonzeptes bilden. Häufig werden die Praktika nur schriftlich und in teilweise standardisierter Form in den Bewerbungsunterlagen dokumentiert. Der aktive Einsatz des Auslandspraktikums zu „Werbezwecken“, entweder indem der Projektträger Betriebe selbst hierüber informiert oder indem die Jugendlichen daraufhin trainiert werden, das Praktikum positiv darzustellen, ist dagegen seltener. Hieraus leiten sich die folgenden Handlungsempfehlungen ab: ## In der Nachbereitung der Praktika sollte ganz intensiv daran gearbeitet werden, wie das Gelernte für die spätere Arbeitsplatzsuche nutzbar gemacht werden kann. Zum einen muss den Jugendlichen deutlich sein, was genau sie geleistet und gelernt haben, zum anderen sollte auch häufiger trainiert werden, dies gegenüber einem Arbeitgeber darzustellen. Die schriftliche Dokumentation des Praktikums ist alleine nicht ausreichend.
## Dennoch sind auch qualifizierte Zeugnisse über die Auslandspraktika von großer Bedeutung: Hier muss detailliert dokumentiert werden, was die Jugendlichen erfüllen mussten, um am Praktikum teilnehmen zu können, was sie dort eigenständig geleistet haben und was sie gelernt haben.
## Nicht zuletzt wäre es sinnvoll, wenn entweder längere Auslandspraktika oder die Wiederholung von Auslandspraktika ermöglicht würden. Beide Varianten könnten dazu beitragen, die Lernerfolge der Jugendlichen zu vertiefen und für Arbeitgeber sichtbarer zu machen.

Ergebnisse zum Punkt „erfolgssteuernde Rahmenbedingungen von Auslandspraktika“
Grundsätzlich kann ein Auslandspraktikum für alle benachteiligten Jugendlichen sinnvoll sein. Einschränkend ist hier aber anzumerken, dass die Jugendlichen aus Sicht der Projektträger in ihrer Persönlichkeit gefestigt sein sollten, bereits ein Mindestmaß an sozialen Kompetenzen mitbringen sollten und keine besonders schwierigen Ausgangsbedingungen wie starke gesundheitliche Einschränkungen, Suchterkrankungen oder aktuell besonders schwierige persönliche Lebensbedingungen vorliegen sollten. …

Allerdings gibt es bestimmte Berufe oder Berufsgruppen, für die Auslandspraktika einen zusätzlichen Nutzen haben, weil auch die spätere Berufstätigkeit internationale Bezüge haben wird. Hier sind an erster Stelle Berufe im Bereich der Gastronomie zu nennen, doch die Interviewpartner nahmen auch mehrfach auf europaweite bzw. regionenumspannende Montagetätigkeiten im handwerklichen Bereich Bezug.

… Im Vorfeld ist die Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur oder dem Jobcenter manchmal schwierig, da den Ansprechpartnern der Jugendlichen in diesen Behörden der Sinn eines Auslandspraktikums nicht immer deutlich ist. Auch die Motivation der Jugendlichen selbst ist manchmal schwierig, doch hat sich gezeigt, dass an dieser Stelle auch Eigeninitiative der Jugendlichen wichtig ist: Wenn der oder die Jugendliche sich selbst um das Auslandspraktikum bewerben und Motivation hierfür zeigen musste, ist das Praktikum für Betriebe eher von Interesse. Zudem müssen auch Vorbehalte mancher Eltern im Vorfeld ausgeräumt werden.

Darüber hinaus wird eine intensive Vorbereitung und Betreuung der benachteiligten Jugendlichen von den Projektträgern als grundsätzliche Voraussetzung dafür gesehen, dass der Auslandsaufenthalt erfolgreich verläuft und mit einem Nutzen für die Jugendlichen verbunden ist. Neben einer guten Logistik ist eine intensive Betreuung der Jugendlichen im Vorfeld und vor Ort nötig, um ihnen einen Gefühl der Sicherheit zu geben. Dies ist allerdings mit einem hohen personellen Aufwand verbunden.

Aus den genannten Punkten ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen: ## Die Ziele des Auslandspraktikums sollten den Jugendlichen deutlich kommuniziert werden, um ihre Motivation zu erhöhen und auch ihre Eigeninitiative in der Vorbereitungsphase zu stärken.
## Zudem sollten sowohl die Jugendlichen als auch ihre Eltern frühzeitig über das Praktikum und seine Vorteile informiert werden. Es gilt, Vorbehalte und Ängste abzubauen und Sicherheit zu vermitteln.
## Sinnvoll wäre es, wenn die Projektträger, sofern sie dies noch nicht tun, die Arbeitsagenturen und Jobcenter regelmäßig und nicht nur in Bezug auf einzelne Jugendliche über von ihnen organisierte Auslandspraktika und deren Nutzen informieren würden. Darüber hinaus wäre es auch hilfreich, wenn die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit zu einer Stellungnahme zum Thema Auslandspraktika für sozial benachteiligte Jugendliche/Jugendliche in BaE kommen und letztere an ihre Mitarbeiter/-innen entsprechend kommunizieren würde.
## Nicht zuletzt sollte sichergestellt sein, dass ausreichend Mittel für die intensive Arbeit mit den Jugendlichen zur Verfügung steht. Dass Auslandspraktika auch für sozial benachteiligte Jugendliche sinnvoll sind, hat diese Studie gezeigt; damit die Praktika auch langfristig nutzbar sind, ist jedoch ein erheblicher personeller Aufwand nötig.

Die vollständige Studie kann auf der Website der NA beim BIBB nachgelesen werden.

http://www.foraus.de/html/3550.php

Quelle: Nationale Agentur beim BiBB

Dokumente: leo_mob_Endbericht_Mobilitaet_Online_vorlage_Veroeffentlichung_03_02_2012.pdf

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