Auszüge aus den „Fachpolitische Forderungen zur aktuellen Situation der Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland“:
“ … Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) sind qua Gesetz eine reguläre Zielgruppe des Kinder- und Jugendhilfesystems. Diese banale Erkenntnis wird noch immer im täglichen Umgang mit den Kindern und Jugendlichen in zahlreichen Kommunen und Bundesländern nicht ausreichend berücksichtigt. Statt einer jugendgerechten Unterbringung und Versorgung der schutzsuchenden Minderjährigen stehen ausländerrechtliche Regelungen im Vordergrund, die den Jugendlichen den Aufnahmeprozess massiv erschweren.
Vor dem Hintergrund bestehender internationaler Übereinkommen wie der UN-Kinderrechtskonvention, dem Internationalen Kinderschutzübereinkommen, dem Haager Minderjährigen Schutzabkommen oder auch der Brüssel-IIa-Verordnung und aufgrund der klaren Rechtsnorm in § 6 (2) SGB VIII kann kein Zweifel daran bestehen, dass Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge eine der Zielgruppen der Jugendhilfe sind. Daraus leitet sich nach Meinung der IGfH und des EREV ein Primat der Jugendhilfe ab: Jugendhilfe muss die zentrale Instanz in der Betreuung und Versorgung von UMF sein. Hinsichtlich der bestehenden Regelungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht bedeutet das Primat, dieses unter der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls (sowohl generell als auch im jeweiligen Einzelfall) zu überprüfen – unter Einbeziehung und Federführung durch die örtlich zuständigen Jugendämter.
IGfH und EREV fordern, Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge müssen im Rahmen der Jugendhilfe wie alle Kinder und Jugendlichen qua Gesetz erstversorgt sowie sicher und jugendgerecht untergebracht werden. Viele Bundesländer haben in den letzten Jahren Inobhutnahme-Stellen und Clearinghäuser für UMF geschaffen bzw. ausgebaut, nur bei einigen verbliebenen Ländern fehlt bislang der politische Wille und die Einsicht, dass alle Minderjährigen, auch die 16-17-jährigen Jungen, im Rahmen der Jugendhilfe versorgt werden müssen, ganz gleich welcher Nationalität sie angehören.
Das Primat der Jugendhilfe muss dabei sowohl innerhalb Deutschlands als auch bei der Bundespolizei an den deutschen Grenzen gelten, ob am Flughafen oder bei Kontrollen an den Landesgrenzen.
Inobhutnahmen nur in Einrichtungen mit kontrollierter Betriebserlaubnis.
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IGfH und EREV fordern, dass die Inobhutnahme von Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen nur in Einrichtungen durchgeführt wird, die eine Betriebserlaubnis i.S.v. § 45 SGB VIII für Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII haben. Idealerweise handelt es sich um Einrichtungen, in denen eine strukturierte Clearingphase gewährleistet wird.
Kinderschutz vor Grenzschutz.
Noch immer werden Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge an den bundesdeutschen Grenzen zurückgewiesen, ohne dass das örtlich zuständige Jugendamt sie in Obhut nehmen konnte, bzw. über ihren Aufenthalt informiert wurde. …
Die Regelung des § 42 SGB VIII wird dabei vielfach ignoriert. …
Hinzukommt, dass die Bundespolizei aufgrund der Regelungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht nur UMF unter 16 Jahren als minderjährig klassifiziert. Es ist davon auszugehen, dass eine wesentlich größere Anzahl von 16-17-jährigen UMF ebenfalls direkt im Grenzverfahren zurückgeschoben wird.
An den internationalen Flughäfen wird in Deutschland ein so genanntes Flughafenverfahren (das Asylverfahren findet hierbei vor der Einreise im Transitbereich des Flughafens statt, soweit der Ausländer dort untergebracht werden kann) durchgeführt. Dieses Verfahren findet im Wesentlichen in Frankfurt/Main und zukünftig auch am neuen Berliner Flughafen statt. Es wird auf alle Personen ab dem 16. Lebensjahr angewendet.
IGfH und EREV fordern die Bundesregierung auf, die Regelungen des § 42 SGB VIII sowohl in den entsprechenden Gesetzen als auch in den entsprechenden Weisungen an die Bundespolizei als vorrangig zu verankern. UMF dürfen im Sinne des Kindeswohls nicht an den Grenzen zurückgewiesen werden. Auch vom Flughafenverfahren sind UMF ohne Einschränkungen auszunehmen, da dieses nicht mit dem Kindeswohl vereinbar ist.
Kinderschutz geht vor Grenzschutz.
Asyl- und Aufenthaltsrecht am Kindeswohl ausrichten.
Die Aufenthaltssicherung ist für viele UMF von herausragender Bedeutung. Die Entwicklung einer Lebensperspektive jenseits der Angst vor drohender Abschiebung ist zentrales Ziel sozialpädagogischer Arbeit. Demgegenüber stehen die (oftmals) restriktiven Regelungen des Asylund Aufenthaltsrechts, die ein Einleben erschweren. Nimmt man die Zielsetzung des SGB VIII und den Kerngedanken der UN-Kinderrechtskonvention ernst, so müssen sich auch ausländerrechtliche Regelungen am Kindeswohl messen lassen. …
IGfH und EREV fordern eindringlich die Rücküberstellungen von UMF im Rahmen der Dublin-II-Verordnung von Minderjährigen zu stoppen, solange dies bedeuten kann, dass die jungen Menschen nicht in originären Einrichtungen der Jugendhilfe (mit strukturierter Clearingphase zur Feststellung des Jugendhilfebedarfes, Betriebserlaubnis im Sinne von § 45 SGB VIII) leben können. Die Überprüfung einer möglichen Kindeswohlgefährdung ist zudem immer vom jeweils zuständigen Jugendamt durchzuführen.
Anhebung der Altersgrenze im Asyl- und Aufenthaltsrecht.
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IGfH und EREV fordern die Handlungsfähigkeit im Asyl- und Aufenthaltsrecht von 16 auf 18 Jahre anzuheben. Gleichzeitig ist analog der Regelungen in § 159 FamFG eine Pflicht zur Anhörung von UMF in allen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren ab dem 14. Lebensjahr einzuführen, um den jungen Menschen eine adäquate Möglichkeit zu verschaffen, selbst an den sie betreffenden Prozessen mitzuwirken.
Jungen Flüchtlingen Gehör verschaffen.
Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge haben auf ihren Wegen nach Deutschland viele Erfahrungen gemacht, die sich nicht mit einer Kindheit in Deutschland decken. Um diese Lücken, Irritationen und Traumata zu überwinden, ist die Frage der Beteiligung der jungen Flüchtlinge an den sie betreffenden Prozessen zentral. Die Nicht-Einbindung ihrer Erfahrungen kann vor dem Hintergrund unterschiedlicher Wahrnehmungsweisen der jeweiligen Situation die Erfolge der Jugendhilfe gefährden. …
IGfH und EREV fordern einen offenen Dialog mit UMF und jungen Menschen, die als UMF
nach Deutschland gekommen sind. Ziel muss es sein, die Angebote der Jugendhilfe auf die jungen Menschen abzustimmen, ihren Stimmen und Erfahrungen Gehör zu verschaffen und ihre Expertise in den Fachdiskurs mit aufzunehmen. Dies richtet sich insbesondere auch an die Träger der Einrichtungen; Partizipation ist das zentrale Qualitätskriterium für ein gelingendes Ankommen von Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen. … „
Die fachpolitischen Forderungen in vollem Umfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.
Quelle: Evangelischer Erziehungsverband (EREV)
Dokumente: Fachpolitische_Forderungen_Unbegleitete_Minderjaehrige_Fluechtlinge__2_.pdf