Wie sichern junge Arbeitslose ihre Existenz ab, wenn ihnen Leistungen gestrichen werden? Wie versuchen sie, ihren Alltag etwa in Hinblick auf Ernährung und Wohnen zu meistern? Welche sozialen und psychischen Folgen hat es für sie, wenn sie zeitweise unter dem soziokulturellen Existenzminimum leben müssen?
Aufschluss darüber gibt eine qualitativ angelegte Untersuchung des IAB zum Sanktionsgeschehen im SGB II. Diese stützt sich auf ausführliche Interviews mit 15 jungen Arbeitslosen und auf Beratungsvermerke eines Jobcenters. Die Ergebnisse sind nicht statistisch repräsentativ, gewähren aber tiefe Einblicke in Lebensumstände junger sanktionierter Arbeitsloser.
Auszüge aus der IAB-Publikation „Sanktionen bei jungen Arbeitslosen im SGB II – Wenn das Licht ausgeht“ aus IAB-Forum 2/2013 von Franziska Schreyer, Franz Zahradnik und Susanne Götz:
“ … Zwischen Januar 2007 und August 2010 wurden gegen arbeitslose Jugendliche und junge Erwachsene gut 285.000 Sanktionen wegen Meldeversäumnissen und knapp 194.000 Sanktionen wegen Pflichtverletzungen verhängt. Gerade bei den unter 25-Jährigen geht also mehr als die Hälfte der Sanktionen auf Meldeversäumnisse zurück. Zu Totalsanktionen liegen nur näherungsweise Daten vor: Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit wurden zwischen Januar 2008 und August 2010 bei knapp 51.800 unter 25-jährigen Arbeitslosen Sanktionen verhängt, die zu einer völligen Streichung der Leistungen führten. …
Ernährung
Sanktionierte, die mit ihren Angehörigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, werden von diesen meist mitversorgt. Das bedeutet familiäre Solidarität, aber auch, dass selbst nicht Sanktionierte ebenfalls betroffen sind … Sanktionierte, die allein leben, berichten von Einschränkungen gerade bei gesünderen Lebensmitteln oder davon, dass sie die Mildtätigkeit von „Tafeln“ und Suppenküchen in Anspruch nehmen. …
Strom und Heizung
Gerade bei Totalsanktionen kann es zu Zahlungsrückständen kommen und infolgedessen der Strom abgestellt werden. Daten dazu, wie oft dies vorkommt, gibt es nicht. Die Bundesagentur für Arbeit versucht in ihren fachlichen Hinweisen und Weisungen an die Jobcenter darauf hinzuwirken, dass es nicht dazu kommt. … Die Betroffenen müssen sich teils über Wochen bei der täglichen Hygiene einschränken, können viele Lebensmittel nicht aufbewahren und zubereiten und sind auch anderweitig in ihrem Tagesablauf stark beeinträchtigt.
Dies kann zu hohen psychischen Belastungen führen, wie die Schilderung einer Sanktionierten zeigt:
„Ich war total depressiv. Alleine, weil der Strom [abgestellt wurde]. Wenn jetzt ein Mensch aufsteht und weiß, das warme Wasser geht nicht. Keine Musik, kein Fernsehen, das macht schon was. Das macht schon was. Wirklich. So eine ganze Woche und man hat nicht geduscht. Man kann nichts Warmes zu essen machen. Irgendwann mal kommt das Dunkle. Bei mir war das zwischen Ende des Sommers und Herbst. Da war es immer schnell dunkel. Das war eine Katastrophe.“ …
Verschuldung
Vielfach haben sich sanktionierte Personen bereits vorher während langer Arbeitslosigkeit verschuldet. Infolge von Sanktionen kommen häufig neue Schulden hinzu, etwa wenn Telefonrechnungen nicht mehr beglichen werden können. Einige Fachkräfte beklagen, dass dies noch Monate nach der Sanktion Probleme bereiten kann, mit denen sich sowohl die sanktionierten Arbeitslosen als auch die Jobcenter und Beratungsstellen herumschlagen müssen – etwa dann, wenn die Betroffenen schwarzgefahren sind oder ihr Bankkonto gekündigt wurde. Sanktionen reichen also in ihren Folgen vielfach über den Zeitraum des Leistungsentzugs hinaus. …
Erwerbsquellen
Wenn Sanktionen verhängt oder auch nur angedroht werden, kann dies dazu führen, dass Arbeitslose in unqualifizierte und prekäre Erwerbsarbeit gedrängt werden. … Aus Sicht einiger Fachkräfte steht dies einer nachhaltigen Qualifizierung und Erwerbsintegration, die gerade bei jungen Arbeitslosen Priorität haben müsse, entgegen. Teils arbeiten junge Sanktionierte schwarz. Im Einzelfall wird schon vor der Sanktion vorhandenes straffälliges Verhalten wie etwa Drogendealen intensiviert. …
Fazit
Härtere Sanktionen sollen junge Arbeitslose davon abhalten, sich in der Langzeitarbeitslosigkeit und im Hilfebezug einzurichten. … Bei Sanktionen in der Grundsicherung sollte mit bedacht werden, was diese für den Lebensalltag der Sanktionierten und ihrer Familien bedeuten. Die qualitativen Interviews mit jungen Sanktionierten und mit Fachkräften zeigen, dass Sanktionen gravierende Folgen nach sich ziehen können. … Die Folgen einer Sanktion reichen häufig über den eigentlichen Sanktionszeitraum hinaus und prägen den Alltag der Sanktionierten und ihrer Angehörigen unter Umständen über längere Zeit. …
Aus den Interviews wird ferner sichtbar, dass Sanktionierte in ihrem jungen Leben oft bereits einer Vielzahl an massiven Problemen ausgesetzt waren und sind. Sanktionen können existenzielle Ängste, soziale Exklusion und Überforderung verstärken. Dies kann den im SGB II festgelegten Zielen der Aktivierung und der Erwerbsintegration gerade entgegenstehen. Jedenfalls scheint es eine Teilgruppe lebenslang benachteiligter junger Arbeitsloser zu geben, bei denen das Konzept des „Förderns und Forderns“ in lähmende Überforderung umzuschlagen droht. … „
Der Aufsatz wurde in IAB-Forum 02/2013 „Richtfest. Zehn Jahre Agenda 2010 – ein Besuch auf der Reformbaustelle“ veröffentlicht und ist über aufgeführte Links zu erwerben.
http://www.wbv.de/-/journals/iab-forum/detailansicht/shop/detail/obj_sortyear%3A1/_/0/1/IFO1302W/special/jahrgang/2013.html#single-8f181924817ea4a5
http://www.iab.de/389/section.aspx/Publikation/k131212j06
Quelle: IAB Forum 2/2013