Auszüge aus der Berufsausbildung junger Menschen mit Behinderungen der Bertelsmannstiftung von Ruth Enggruber und Josef Rützel:
“ „Inklusion darf sich nicht auf Kindergarten und Schule beschränken. Jugendliche mit Behinderung brauchen nach der Schule eine Perspektive und bessere Chancen auf einen Berufseinstieg“, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.
Stärkere staatliche Unterstützung gewünscht
… Die Unternehmen wünschen sich stärkere staatliche Unterstützung. Mehr als die Hälfte der Betriebe, die bereits Jugendliche mit Behinderung ausbilden, und rund ein Drittel der übrigen Betriebe sagen, sie würden mehr dieser Jugendlichen ausbilden, wenn sie überhaupt oder besser vom Staat gefördert würden. Umgekehrt nimmt allerdings lediglich ein Viertel der Unternehmen, die Jugendliche mit Behinderung ausbilden, die bereits bestehenden staatlichen Förderungen in Anspruch.
Ein Grund dafür ist ein Informationsdefizit. Die einzelnen Unterstützungsangebote (zum Beispiel Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung und Kostenübernahme für die notwendige Umgestaltung eines Ausbildungsplatzes) kennt jeweils weniger als die Hälfte der Betriebe, die Jugendliche mit Behinderung ausbilden. Die meisten Unternehmen (81,7 Prozent) wünschen sich mehr Transparenz darüber, wo diese beantragt werden können, und über 70 Prozent fordern weniger Bürokratie bei der Beantragung. „Unsere Untersuchung belegt eine generelle Offenheit der Unternehmen, Jugendliche mit Behinderung auszubilden. Die derzeitigen Unterstützungsleistungen des Staates kommen allerdings zu selten in den Betrieben an“, sagt Dräger.
Große Betriebe bilden mehr aus
… Es wurden insgesamt 1.011 ausbildungsberechtigte Betriebe befragt, die bezogen auf die Kriterien der Betriebsgröße und der Region (Ost/West) repräsentativ zusammengesetzt sind. Etwa ein Viertel (24,1 Prozent) dieser Betriebe bildet aktuell Jugendliche mit Behinderungen aus oder hat dies in den letzten fünf Jahren getan. Weitere 45 Prozent der befragten Betriebe haben aktuelle oder weniger als fünf Jahre zurückliegende Ausbildungserfahrung, aber nicht mit Jugendlichen mit Behinderungen. Die Ausbildungserfahrung von Jugendlichen mit Behinderungen variiert stark mit der Betriebsgröße. Während von den Unternehmen mit maximal neun Mitarbeitern lediglich etwa 21 Prozent Erfahrung in der Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderungen haben, sind es bei Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern 85 Prozent. Als Gründe dafür, dass sie keine Jugendlichen mit Behinderungen ausbilden, gibt eine große Mehrheit (87 Prozent) der Betriebe an, sie bekämen keine entsprechenden Bewerbungen für Ausbildungsplätze. Eine weitere Hürde sieht eine Mehrzahl der Betriebe (67 Prozent) in den hohen Anforderungen des Berufes oder der Arbeitstätigkeit. …
Veränderungen des Ausbildungssystems
Neben dem Thema der staatlichen Unterstützungsleistungen wurden die Unternehmen auch zu Vorschlägen für eine strukturelle Veränderung des Ausbildungssystems befragt. Hier wünscht sich eine Mehrheit der Unternehmen eine flexiblere Gestaltung der Berufsausbildung für Jugendliche mit Behinderungen. Zwei Drittel (66 Prozent) etwa stimmen dem Vorschlag zu, dass die zeitliche Gliederung der Berufsausbildung auf die Situation des Auszubildenden individuell ausgerichtet sein sollte. 53 Prozent stimmen dem Vorschlag zu, dass die Ausbildung in Ausbildungsbausteine gegliedert sein sollte.
Mehr Flexibilität
Die Befragung zeigt auch: Es könnten mehr Jugendliche mit Förderbedarf einen Ausbildungsplatz finden, wäre das Ausbildungssystem flexibler. Rund zwei Drittel der Unternehmen (65,6 Prozent), die Jugendliche mit Behinderung ausbilden, befürworten, dass der zeitliche Verlauf der Berufsausbildung die individuelle Situation des Auszubildenden stärker berücksichtigen sollte. Mehr als die Hälfte halten eine Aufteilung der Ausbildung in Einzelbausteine für sinnvoll. Dräger: „Das duale Ausbildungssystem ist ein Garant für die Wirtschaftskraft Deutschlands. Damit das so bleibt, können wir es uns nicht länger leisten, dass jährlich mehr als 250.000 Jugendliche im Übergangssystem landen und keinen Einstieg in eine qualifizierte Berufsausbildung finden. Von einem flexibleren Ausbildungssystem könnten gerade die Schulabgänger mit Förderbedarf sehr profitieren.“ ….
Bildungspolitische Empfehlungen
Ausgehend von den Befragungsergebnissen haben die Autoren die folgenden bildungspolitischen Empfehlungen formuliert:
haben. Teilweise kann die „Gleichsetzung“ von Behinderung mit körperlichen Behinderungen und Sinnesbeeinträchtigungen beobachtet werden, wenn die Unternehmen offen dazu befragt werden. Im Gegensatz dazu werden bei der Vorgabe der Behinderungsarten in einer geschlossenen Frage Lern- und psychische Behinderungen und Verhaltensauffälligkeiten am häufigsten genannt. Dieses diskrepante Antwortverhalten verweist auf Unsicherheiten der Betriebe, welche ihrer Auszubildenden als behindert zu bezeichnen sind, wenn nicht direkt beobachtbare oder in entsprechenden Ausweisen nachgewiesene Behinderungen vorliegen. Hier besteht zweifelsohne Aufklärungs- und Informationsbedarf dazu, was gegenwärtig in den relevanten Schul- und Sozialgesetzen und Verordnungen als Behinderung verstanden wird. …
## Förder- und Unterstützungsstruktur verändern: Möglicherweise ist es auch den unklaren Verständnissen von Behinderungen und deren Feststellung bei einzelnen Auszubildenden geschuldet, dass die Ergebnisse zur Kenntnis der Unterstützungsangebote und deren Nutzung ebenfalls indifferent ausfallen. Zwar ist die Kenntnis dieser Möglichkeiten bei den Betrieben, die Jugendliche mit Behinderungen ausbilden, signifikant höher als bei den anderen, dennoch liegt diese Quote bei einigen Angeboten nur bei ca. 40 %, bei einigen Unterstützungsleistungen sogar deutlich unter 30 %. Ihre Nutzung liegt trotz Kenntnis davon in der Regel bei unter 5 %. Lediglich die Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung werden von knapp 17 % und jene zu den Kosten der Berufsausbildung von knapp 10 % genutzt. Nur 23,5 % der Unternehmen mit Auszubildenden mit Behinderungen nehmen externe Unterstützung in Anspruch, vor allem von der Agentur für Arbeit (16 %), von Vereinen/sozialen Trägern/Bildungsträgern (12,6 %) und psychologische/ärztliche Betreuung (11,1 %).
Zugleich fehlt es aus Sicht der Unternehmen insbesondere an finanzieller Unterstützung und Förderung (16,9 %) und an Unterstützung durch die Berufsschule (11 %). Jedoch liegt die Quote der Betriebe, die angeben, dass ihnen Unterstützungsangebote fehlen, nur bei 20,5 %.
Wiederum stimmen fast 82 % der Betriebe der Aussage zu, dass transparenter sein sollte, wo die Mittel beantragt werden können. Weniger Bürokratie bei der Beantragung möchten ca. 73 % und ca. 68 % sind der Meinung, die individuelle Unterstützung der Betriebe und Auszubildenden müsste größer sein. Werden diese Befunde in der Gesamtschau gesehen, kann geschlussfolgert werden, dass eine Intensivierung der Information und der beratenden Unterstützung erforderlich ist. Diese müsste jedoch mit einer veränderten Förder- und Unterstützungsstruktur einhergehen. Die Förderstruktur sollte weniger kleinteilig sein. …
## Zusätzliche Ausbildungsstellen schaffen: Der prognostizierte Fachkräftemangel und Probleme bei der Besetzung von Ausbildungsstellen sind eher für die Unternehmen bedeutsam, die Jugendliche mit Behinderungen ausbilden. Rund ein Viertel dieser Betriebe konnte zuletzt nicht alle Ausbildungsplätze besetzen, 54 % von ihnen erwarten zukünftig Probleme bei der Vergabe ihrer Lehrstellen. … Der erwartete Fachkräftemangel und Probleme bei der Besetzung von Ausbildungsstellen können also durchaus als ein Ansatzpunkt gesehen werden, mehr Ausbildungsstellen für Jugendliche mit Behinderungen zu erzielen. …
## Sicht auf Potenziale lenken: Die Auswahl- und Einstellungskriterien der Unternehmen sind besonders für die Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderungen bedeutsam. … Damit mehr Jugendliche mit Behinderungen eine betriebliche Ausbildung absolvieren können, müssen Betriebe davon überzeugt werden, dass diese jungen Menschen ein Potenzial darstellen, das vielfach aufgrund eingeengter Rekrutierungsstrategien unentdeckt bleibt. Diese Potenziale müssen jedoch ebenso wie geeignete Rekrutierungsstrategien konkreter als bisher herausgearbeitet werden. Dabei sind insbesondere auch die Erfahrungen der ausbildenden Betriebe zu berücksichtigen.
## Betriebe durchgängig unterstützen: Die Dauer der Ausbildungserfahrungen hat sich als der entscheidende Einflussfaktor für die Berufsausbildung Jugendlicher mit Behinderungen herausgestellt. Als positive Erfahrung wurden explizit die Motiviertheit und ein besonderes Engagement der Auszubildenden mit Behinderungen hervorgehoben. Allerdings konstatiert ein hoher Anteil der Betriebe auch einen erhöhten Zeit- und Betreuungsaufwand sowie eine Beschränkung der Aufgabenbereiche, die Jugendliche mit Behinderungen übernehmen können. Um die Stärken der jungen Menschen besser nutzen zu können sowie den Schwierigkeiten zu begegnen und so auch Unternehmen zu gewinnen, die bisher die Zielgruppe nicht ausbilden, sind die Empfehlungen zu den Unterstützungsangeboten umzusetzen und ist eine durchgängige Unterstützung der Betriebe zum Beispiel durch kontinuierliche, angepasste Formen der Ausbildungsbegleitung zu gewährleisten. …
## Kleinere Betriebe gewinnen: Die Betriebsgröße hat einen signifikanten Einfluss auf die Ausbildungserfahrung der Unternehmen mit Jugendlichen mit Behinderungen. Mit der Unternehmensgröße steigt sie erheblich an. Dies lässt sich mit unterschiedlichen Ausbildungsstrukturen begründen. Während Großbetriebe über besondere Ausbildungsstätten, über hauptamtliche Ausbilderinnen und Ausbilder sowie über Ausbildungsleitbilder verfügen, ist das in Kleinbetrieben, teilweise auch in mittleren Betrieben, nicht der Fall. Um auch sie für die Berufsausbildung von jungen Menschen mit Behinderungen zu öffnen, sollten sie gezielt über kooperative Ausbildungsmodelle mit außerbetrieblichen Bildungsträgern informiert werden. … „
Quelle: Bertelsmann-Stiftung ; www.bildungsklick.de
Dokumente: Befragung_Bertelsmann.pdf