Auszüge aus der Stellungnahme des IAB „Sanktionen im SGB II und ihre Wirkungen“ von Joachim Wolff:
“ … Sanktionen sollen einen (finanziellen) Anreiz für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld (ALG) II darstellen, damit diese ihren im SGB II geregelten gesetzlichen Pflichten nachkommen. Insbesondere sollen sie sicherstellen, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte sich um die Aufnahme von Arbeit oder Ausbildung bemühen und mit den Fachkräften ihres Jobcenters kooperieren, was dazu beitragen soll, ihre Chancen im Wettbewerb um Stellenangebote oder Ausbildungsangebote zu erhöhen. Im Ergebnis soll dies dazu führen, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte schneller eine Arbeit oder Ausbildung aufnehmen. …
Diese Anreizwirkungen können schon durch die Möglichkeit einer Sanktionierung oder die Unterrichtung über eine bevorstehende Sanktionierung erzielt werden – und damit bereits bevor es überhaupt zu einer Leistungsminderung kommt (Ex-ante-Wirkung). Das tatsächliche Eintreten der Leistungsminderung wegen eines Pflichtverstoßes kann die Wirkungen weiter verstärken (Ex-post-Wirkung). … Sanktionen können mit einigen nicht intendierten beziehungsweise nachteiligen Wirkungen verbunden sein. …
Nicht intendierte Nebenwirkungen von Sanktionen können dann auftreten, wenn die Leistungsminderung sehr hoch ausfällt. Dies ist beispielsweise bei unter 25-Jährigen der Fall, die bei bestimmten Pflichtverletzungen zunächst für drei Monate keinen Regelsatz erhalten und denen bei einer wiederholten gleichartigen Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres zusätzlich die Kosten der Unterkunft nicht erstattet werden. Sehr hohe Sanktionen könnten nicht intendierte Wirkungen wie beispielsweise Wohnungslosigkeit, verstärkte Verschuldung, eingeschränkte Ernährung oder seelische Probleme bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auslösen. Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn eine hohe Leistungsminderung nicht durch die Ausübung/Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder auf anderem Wege – zum Beispiel durch die Unterstützung durch Familienmitglieder – wenigstens teilweise entschärft werden kann: Hohe Leistungsminderungen könnten dann bewirken, dass ein Teil der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten Schwarzarbeit verrichtet oder dass für sie mangels anderer Optionen Kleinkriminalität in Frage kommt.
Studien zu Sanktionswirkungen
Die bislang vorliegenden quantitativen Studien erlauben vor allem Aussagen über die Wirkungen tatsächlich ausgesprochener Sanktionen auf das Verhalten der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Zum Teil finden sich aber Indizien dafür, dass schon allein die Möglichkeit einer Sanktionierung bewirkt, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit den Fachkräften in den Jobcentern kooperieren. Die vorliegenden quantitativen Wirkungsanalysen haben sich mit Auswirkungen der Sanktionierung auf die Arbeitssuchintensität und Anspruchslöhne, auf den Abgang aus Arbeitslosigkeit und aus dem Leistungsbezug sowie auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit befasst.
## Boockmann/Thomsen/Walter (2009) und Walter (2012) untersuchen mit Hilfe einer Personenbefragung (im Rahmen der Evaluation der Experimentierklausel nach § 6c SGB II, Untersuchungsfeld III), die mit administrativen Personendaten verknüpft wurde, und einem Instrumentalvariablenansatz Sanktionswirkungen. Sie betrachten … den Sanktionseffekt für diejenigen Hilfebedürftigen, die in einer Grundsicherungsstelle mit moderater Sanktionspolitik nicht sanktioniert werden, aber eine Leistungskürzung hinnehmen müssten, wenn sich die Grundsicherungsstelle entscheiden würde, Sanktionen häufiger einzusetzen. … Sie kommen zu folgendem Ergebnis und folgender Interpretation: „Eine Leistungskürzung erhöht die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von acht Monaten nach der Sanktion aus dem Leistungsbezug abzugehen, um etwa 70 Prozentpunkte. Ebenso steigt die Wahrscheinlichkeit, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finden, um mehr als 50 Prozentpunkte. …
## Hillmann/Hohenleitner (2012) untersuchen den Effekt der ersten Sanktion auf Abgangsraten von Arbeitslosengeld-II-Beziehern in Beschäftigung und auf den Rückzug aus dem Erwerbsleben. Sie stützen ihre Analysen auf eine Stichprobe von Personen, die sowohl bei der ersten Welle als auch der zweiten Welle der Personenbefragung „Panel Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung“ (PASS) befragt wurden. … Hauptergebnis der Studie ist, dass Sanktionen die Abgangswahrscheinlichkeit von arbeitslosen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus Arbeitslosigkeit sowohl in Beschäftigung als auch durch einen Rückzug vom Arbeitsmarkt erhöht. …
## Im Gegensatz zu den bereits genannten Studien betrachten van den Berg/Uhlendorff/Wolff (2014) speziell die Gruppe der unter 25-jährigen arbeitssuchenden erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Sie analysieren die Wirkungen einer ersten Sanktion aufgrund von Meldeversäumnissen und einer ersten Sanktion aufgrund anderer Pflichtverletzungen auf die Abgangsraten aus Arbeitslosigkeit in ungeförderte versicherungspflichtige Beschäftigung (ohne betriebliche Ausbildung) für unter 25-jährige Männer in Westdeutschland. … Die Ergebnisse sprechen dafür, dass infolge von Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen, die eine Leistungskürzung in Höhe von zehn Prozent des Regelbedarfs für drei Monate nach sich ziehen, die Übergangsraten in Beschäftigung um knapp 37 Prozent steigen. Für eine erste Sanktion wegen anderer Pflichtverletzungen, die dazu führen, dass die Leistungen auf die Kosten der Unterkunft und Heizung beschränkt werden, sind es knapp 119 Prozent. Daher sind höhere Kürzungen mit stärkeren Wirkungen verbunden. Allerdings muss das nicht allein an den höheren Sanktionsbeträgen liegen, sondern kann auch mit der Pflichtverletzung selbst und einer veränderten Betreuung, aber womöglich auch Überwachung der sanktionierten Leistungsberechtigten durch Fachkräfte der Jobcenter zusammenhängen. …
## Eine Studie zu den Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II und nach dem SGB III in Nordrhein-Westfalen wurde vom Institut für Sozial- und Gesellschaftspolitik (ISG) im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Hier wird ausschließlich auf die Erkenntnisse zu Sanktionen im SGB II eingegangen. … In den Auswertungen werden die Sanktionierten nicht mit statistischen Zwillingen verglichen, die nicht von Sanktionen betroffen waren und sich bezüglich persönlicher Merkmale von den Sanktionierten nicht wesentlich unterscheiden. Insofern ermittelt die Studie zwar keine kausalen Wirkungen und ist somit von beschreibender Natur; sie liefert aber wichtige Befunde und Hinweise im Hinblick auf (potentielle) Wirkungen von Sanktionen. Aus den Auswertungen des ISG (2013) geht hervor, dass ein großer Teil der Befragten sich seit der Sanktionierung mehr Sorgen um die eigene Situation macht. Diese Einschätzung findet sich besonders häufig bei von hohen Leistungsminderungen betroffenen Personen. Der Aussage stimmen von den unter 25-Jährigen mit einer 100-Prozent-Minderung beinahe 80 Prozent der Männer und mehr als 80 Prozent der Frauen zu, ebenso wie fast 80 Prozent der befragten Männer im Alter von mindestens 25 Jahren, die von einer Minderung von 60 Prozent oder mehr betroffen waren. Es finden sich auch Hinweise, dass sich bei den Sanktionierten seit der Kürzung seelische Probleme wie Angst oder Niedergeschlagenheit verstärkt haben. …
… Die Befunde weisen eher darauf hin, dass die Anreizwirkung der Sanktionen dazu beiträgt, dass Bezieher von Arbeitslosengeld-II-Leistungen ihren im SGB II geregelten gesetzlichen Pflichten nachkommen und mit den Fachkräften ihres Jobcenters kooperieren. Allerdings zeigen die Befunde, dass teils besondere Einschränkungen der Lebensbedingungen der von Sanktionen Betroffenen auftreten. Sehr hohe Sanktionen können sich zudem kontraproduktiv auf die Chancen einer Erwerbsintegration der von der Leistungsminderung Betroffenen auswirken, wenn dadurch einige erwerbsfähige Leistungsberechtigte in Situationen wie Obdachlosigkeit geraten oder den Kontakt zum Jobcenter abbrechen.
Aus den Ergebnissen ließe sich ableiten, dass es darum gehen sollte, sehr starke Einschränkungen der Lebensbedingungen durch Sanktionen zu vermeiden und gleichzeitig eine Anreizwirkung der Sanktionen im Blick zu behalten. Folglich sollte die Sanktionierung nicht zu hoch ausfallen, was beispielsweise gegen die Sonderregelungen für unter 25-Jährige und gegen den Wegfall des Arbeitslosengeldes II bei wiederholten Pflichtverletzungen spräche. Zudem könnte eine angemessene monatliche Obergrenze für die Summe aller Leistungsminderungen festgelegt werden, von denen eine sanktionierte Person betroffen ist. Diese Obergrenze könnte so gewählt werden, dass im Regelfall besonders schwerwiegende Folgen einer Sanktionierung vermieden werden wie der Verlust der Wohnung, weil die Betroffenen ihre Miete nicht zahlen können. Denkbar wäre zusätzlich, dass härtere Sanktionen bei wiederholten Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres nicht durch einen (viel) höheren Sanktionsbetrag, sondern durch eine längere Dauer der Sanktion im Vergleich zur Sanktion wegen der ersten Pflichtverletzung gewährleistet werden. … „
Die IAB-Stellungnahme entstand im Kontext eines Auftrags der Fraktion der Piraten im Landtag NRW. Die Fraktion der Piraten fordert die Aussetzung der Sanktionen im ALG II-Bezug. Der Antrag unterstellt eine Vergeudung von Mitteln und gibt an, die Effekte von Sanktionen seien nicht bewiesen. Das IAB beschreibt in seiner Stellungnahme potentielle Wirkungen von Sanktionen und stellt zentrale Ergebenisse der Wirkungsforschung vor.
Die Stellungnahme in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Dokumente: IABStellungnahme__Sanktionen_im_SGB_II_und_ihre_Wirkungen_SN0214.pdf