Auszüge aus den Handlungserfordernisse und Handlungsoptionen:
Die AGJ sieht einen dringenden sozial- und fachpolitischen Handlungsbedarf
in Deutschland. Dazu formuliert sie folgende Ansatzpunkte und Forderungen:
Perspektivisch muss den jungen Volljährigen im § 41 SGB VIII ein zwingender individueller Rechtsanspruch auf notwendige und geeignete Hilfen zuerkannt werden. Dabei könnte überlegt werden, diesen Rechtsanspruch bis zum 23. Lebensjahr einzuräumen und erst danach die Weiterführung der Hilfe bis zum 27. Lebensjahr von einer besonderen Begründung im Einzelfall abhängig zu machen. Dies ist auch notwendig, um die Nachhaltigkeit des Erfolges der bereits geleisteten Hilfe nicht zu gefährden. (…) Zudem sind die jungen Menschen in der Durchsetzung ihrer Rechte durch unabhängige Stellen wie bspw. Ombuds- und Beschwerdestellen zu unterstützen.
## Kinder- und Jugendhilfe muss auch nach dem Ende einer stationären Maßnahme zuständig bleiben
Junge Menschen mit Jugendhilfeerfahrungen müssen ihre Ansprüche gegenwärtig bei verschiedenen Stellen geltend machen. Lange Überleitungsprozesse und eine Tendenz der Sozialleistungsträger, sich im Zweifelsfall für unzuständig zu erklären, führen zu Lücken in der Finanzierung ihres Lebensunterhalts. Diese Verwaltungspraxis verschärft existentielle Risiken wie z.B. Ausbildungsabbrüche oder Wohnungslosigkeit. Über eine Vorleistungsregelung ist sicherzustellen, dass immer der zuerst kontaktierte Träger Hilfe zu leisten hat. Die Leistungen der Träger müssen koordiniert werden, sowohl bezogen auf den Einzelfall wie auch auf übergeordneter Ebene. Die Kinder- und Jugendhilfe muss den gesamten Prozess des Übergangs in das (Erwerbs-)Leben in den Blick nehmen und begleiten, eine Verpflichtung, die
ihr mit § 41 Abs. 3 SGB VIII im Prinzip ohnehin auferlegt ist, deren Umsetzung aber oft nicht konsequent erfolgt. Die Jugendhilfeplanung hat hier die Verantwortung der kommunalen Bedarfsklärung sowie der Gestaltung einer lokalen Infrastruktur.
## Kooperationsverpflichtungen auch für andere Leistungsträger
Beim Übergang in andere Leistungssysteme geraten Care Leaver in ein Zuständigkeitsgerangel der Leistungsträger („Verschiebebahnhöfe“). Die geltenden Zuständigkeitsbestimmungen in den jeweiligen Leistungssystemen bewirken keine strukturelle Zusammenarbeit. Es gilt daher, verbindliche Kooperationsverpflichtungen einzuführen.
## Niedrigschwellige nachgehende Angebote und Orte des zeitweiligen Zurückkommens
Care Leaver benötigen verfügbare und verlässliche Orte und Personen in der Übergangsbegleitung. Es bedarf einer größeren Durchlässigkeit des Kinder- und Jugendhilfesystems. Niedrigschwellige nachgehende Angebote sind strukturell zu verankern und auch Rückkehrmöglichkeiten in Erziehungshilfesettings oder andere Hilfeformen wie z. B. das betreute Wohnen im Rahmen des § 13 SGB VIII. Bislang bestehen meist gering ausgestattete Nachbetreuungsangebote, die zudem durch ehrenamtliches Engagement ehemaliger Betreuerinnen und Betreuer oder Pflegeeltern gestützt werden – insbesondere unmittelbar nach dem endgültigen Ende der Erziehungshilfe. Die Betreuungslücke könnte mit professionellen nachgehenden Angeboten oder über Mentorinnen und Mentoren oder Patinnen und Paten geschlossen werden. Eine flexible Anpassung des Stundenkontingents für nachgehende Betreuung würde dazu beitragen, Brüche zu verhindern. (…)
## Sichtbarwerden und Enttabuisierung der biografischen Erfahrungen – Unterstützung der Selbstorganisation und Positionierungen junger Menschen
Die Vernetzung und Selbstorganisation muss gefördert werden, z.B. durch logistische Unterstützung und Lobbyarbeit. Die Lobbyarbeit muss politisch gefördert werden. Es müssen Strukturen auf allen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) geschaffen werden, in denen junge Menschen mit Jugendhilfeerfahrungen sich selbst vertreten können und gehört werden.
## Bildungschancen sichern
Care Leaver unterliegen einer besonderen Bildungsbenachteiligung. Sie sollten systematisch in ihren Fähigkeiten und bei der Erlangung des höchstmöglichen Abschlusses unterstützt werden. Berufliche Ausbildungsmöglichkeiten in Verbindung mit Wohnangeboten sind zu stärken.
## (Unbegleitete) Minderjährige Flüchtlinge
Insbesondere dieser Zielgruppe sollte eine gut ausgebaute Infrastrutkur an Beratungsangeboten, wie beispielsweise zu ausländerrechtlichen Fragestellungen, zur Verfügung stehen. Wichtig ist hierbei auch die Beratung, Förderung und Unterstützung im Hinblick auf Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, um den jungen Menschen echte Teilhabechancen zu eröffnen. „
Quelle: AGJ
Dokumente: Care_Leaver.pdf