ABSCHLUSSTAGUNG DES PROJEKTS DEMOKRATIE LEBEN LERNEN 17. – 18. SEPTEMBER 2008 IN PASEWALK Die Tagung des Projekts „Demokratie Leben Lernen“ der BAG KJS in Kooperation mit dem Modellvorhaben zur Gestaltung des demografischen Wandels „Regionen schaffen Zukunft“ des Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer befasste sich mit den sich wandelnden Herausforderungen und Chancen der Jugendsozialarbeit in ländlichen Räumen. Besonders berücksichtigt wurden Erfahrungen aus der Modellregion Stettiner Haff. Die Tagung setzte den Schlusspunkt einer Veranstaltungsreihe des Projekts „Demokratie Leben Lernen“. Über ein Jahr setzte sich die BAG KJS mit den spezifischen Fragestellungen und Herausforderungen für die Jugendsozialarbeit in ländlichen Räumen auseinander. Das aus dem Xenos-Programm geförderte Projekt läuft Ende September aus. Die Abschlussveranstaltung wird in ausführlicher Form schriftlich dokumentiert werden. Einen entsprechenden Hinweis entnehmen Sie bitte zu späterem Zeitpunkt den Jugendsozialarbeit News. JUGENDSOZIALARBEIT IN LÄNDLICHEN RÄUMEN IST ANDERS … Auszüge aus dem Vortrag zu Chancen, Herausforderungen und Perspektiven der Jugendsozialarbeit in ländlichen Räumen von Christine Müller: “ … AKTUELLE ENTWICKLUNGEN IN DEN LÄNDLICHEN REGIONEN … Ländliche Räume sind vielseitig und haben sich in den letzten Jahren stetig im Charakter einer „provinziellen Suburbanisierung“ weiterentwickelt. Auch die starre Unterscheidung Stadt-Land ist nicht mehr tragfähig. Herrenknecht spricht von einer Modernisierung der ländlichen Lebenswelt, die mit einem Verlust von Sozialraum einhergehe. Im ländlichen Raum entstehen ganz unterschiedliche Gemengelagen von Orten, die Simon (2007) folgendermaßen beschrieben hat: Ballungsraumnahe „Schlafburgen“ im ländlichen Raum. Zunehmend werden auch ballungsraumferne Landgemeinden zu den Siedlungsgebieten der dann weit pendelnden ehemaligen Städter, was häufig Konfliktpotentiale um die sozio-kulturelle Hegemonie nach sich zieht. Dörfer, die in attraktiven Landwirtschaften schon immer oder in stärkerem Maße durch den Fremdenverkehr geprägt waren und sind. Dörfer, die innerhalb von zwei Jahrzehnten zu Standorten gewaltiger Industrie- und Dienstleistungsunternehmen geworden sind, was eine Fülle sozialstruktureller Probleme produziert hat. Eine immer geringer werdende Zahl an Dörfern, in denen die klassischen sozialen Dorfstrukturen (jeder kennt jeden, hohes Potential gemeinschaftlichen Lebens) noch vorhanden sind, obwohl die Landwirtschaft keine Rolle mehr spielt. Eine abnehmende Zahl in Dörfern, die noch stark durch die Landwirtschaft geprägt sind, wobei hierbei wiederum zu unterscheiden ist zwischen den durch landwirtschaftliche Großbetriebe geprägten Dörfern Ostdeutschlands und den meist im Nebenerwerb bewirtschaften Höfen im süddeutschen Raum. Und schließlich in wachsender Zahl vor allem in Ostdeutschland: „sterbende Dörfer“, „Dorfruinen“ mit Arbeitslosenquoten bis zu 40%, hoher Abwanderung, starker Überalterung und starker Erosion der sozialen Infrastruktur. … Ländliche Regionen werden dort, wo ihre Ressourcen – nämlich Boden und Fläche – entsprechend genutzt werden, zu bevorzugten Standorten. Treffen in ungünstiger Konstellation jedoch mehrere Faktoren aufeinander, verkehren sich die Ressourcen ins Gegenteil. In den peripheren, dünn besiedelten Räumen kumulieren Faktoren wie niedrige Bevölkerungsdichte, unzureichendes Angebot öffentlicher Verkehrsmittel, kaum Beschäftigungsalternativen im gewerblichen Bereich oder Dienstleistungssektor, geringe Investitionstätigkeit zu wirtschaftsstrukturellen Problemlagen. Dies wiederum gefährdet die Weiterexistenz dieser Räume als funktionsfähige Siedlungsräume. Gleichzeitig sind diese Regionen wertvolle „Ökotope“, die nur durch Landwirtschaft erhalten werden können. All dies macht ländliche Regionen aus und prägt das Lebensgefühl der dort lebenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen. … Mit welchen Jugendlichen wird Jugend(sozial)arbeit in ländlichen Regionen konfrontiert? „Man hat keine Wahl, außer zu wählen“ – dieser Slogan ist konstitutiv für die heutige Jugendphase. Zunehmende Vielfalt, Pluralität und Individualisierung sogen für ein Loslösen von kollektiven Normen und Bezügen, ursprünglich vorgegebene Lebensmodelle verlieren an Bedeutung, Jugendliche können und müssen ihre Lebensplanung zunehmend nach eigenem Gutdünken gestalten. Gerade bei benachteiligten Jugendlichen verstärken die zunehmende Entscheidungsfreiheit und die (scheinbar) unübersichtliche Vielzahl von Möglichkeiten bei der Planung der eigenen Existenz das Risiko von Stabilitätsverlusten und Desorientierung. Besonders bedrohlich ist für sie die Lücke zwischen theoretischen Möglichkeiten und realen Chancen, die kaum zu überbrücken ist. Die Lebensbewältigung von Jugendlichen in ländlichen Regionen ist zusätzlich von den Spannungspaaren Dorfverbundenheit – Mobilität, Tradition – Moderne, örtliche Vereine – Clique und selbst gewählte Jugendszene beeinflusst, sie leben also in besonders komplexen Spannungsfeldern: Die gesellschaftlichen Anforderungen, die an sie herangetragen werden, verschärfen sich im ländlichen Raum häufig dadurch, dass es sich dort punktuell oder auch umfassend um defizitäre Bereiche handelt: Aufrechterhaltung oder Weiterentwicklung von durch Schule oder Ausbildung zerrissenen Netzwerken und Freundschaften, verstärkte Eigeninitiative hinsichtlich der Organisation von Freizeit- und Kulturveranstaltungen, die intensive Auseinandersetzung mit Problemgemengelagen wie unbefriedigende Bildungs- und Ausbildungssituation, Arbeitslosigkeit, Drogen, Alkohol, Überalterung etc., die zunehmende Urbanisierung ländlicher Räume und eine zunehmende Ordnungspolitisierung ihrer Lebensräume. … Bleiben oder weggehen? – diese Frage stellt sich vor allem für Jugendliche, die Möglichkeiten zur Mobilität, nämliche entsprechende Bildungshintergründe, Flexibilität und Chancen haben: Die Bleibeorientierung wird wechselseitig von drei Faktoren beeinflusst: Bildungsstand, Geschlecht und sozialräumliche Herkunftslage. Jugendliche mit höherer Schulbildung entwickeln eine mobile Lebenseinstellung zu Ortsbindung und beruflichen Perspektiven. Mädchen zeigen eine höhere Bereitschaft, den Heimatort zu verlassen als Jungen. Die sozialräumliche Herkunftslage (Verhältnis zur eigenen Familie, Erwerbstätigkeit, eigener Familienstand, freizeitliche, soziale und religiöse Gemeinschaftsbindungen etc.) wirkt als dritter Faktor auf die Lebenslage der Jugendlichen ein. Letztendlich bilden jedoch die Faktoren Bildungsstand und berufliche Zukunftsperspektiven die ausschlaggebende Komponente für Mobilitätsentscheidung. Die Jugend- und Jugendsozialarbeit wird sich in den nächsten Jahren in ländlichen Regionen also zunehmend mit den sogenannten „Modernisierungsverlierern“ konfrontiert sehen, mit den Zurückgebliebenen, die mit den steigenden Anforderungen an Mobilität und Flexibilität nicht mithalten können. Gleichzeitig werden die finanziellen Mittel für Jugend- und Jugendsozialarbeit weiterhin abnehmen, da zahlenmäßig weniger Jugendliche auf dem Lande leben und gesellschaftlich die Frage aufgeworfen wird, ob eine sinkende Anzahl von Jugendlichen mit gleichem Ressourcenumfang ausgestattet werden kann – ein doppeltes Dilemma also. HERAUSFORDERUNGEN * Strukturelle Herausforderungen Häufig fehlende oder mangelnde soziale und kulturelle und Verkehrsinfrastruktur … demografischer Wandel … Kompetenzverlust durch den Wegzug von Fachkräften … Hohe Arbeitslosigkeit und zunehmende (Langzeit-)Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Bevölkerungsrückgang … Verlust an Vielfalt … Politikverdrossenheit und Vertrauensverlust in die Demokratie sowie Zunahme rechtsextremer Orientierungen … * Fachliche Herausforderungen Vernachlässigung der ländlichen Regionen in der aktuellen wissenschaftlichen Fachdiskussion … Jugendarbeit in ländlichen Regionen arbeitet fachlich häufig ein einem hochproblematischen Kontext … Überforderungen der Fachkräfte … CHANCEN Vereine und Verbände Für die Jugendarbeit sind vor allem die Feuerwehr, der Heimatverein und der Ortschaftsrat von Bedeutung. Die Heimatvereine übernehmen meist die Vorbereitung und Durchführung der Dorffeste, an denen sich oftmals auch die Jugendlichen des Dorfes oder der Kleinstadt sehr intensiv beteiligen. In den genannten Vereinigungen ist die Ansprechbarkeit und Verfügbarkeit für jugendliche Mitwirkung und für die Belange von Jugendlichen hoch. Auf diese Ressource greifen Sozialarbeiter/innen jedoch nur selten zurück bzw. die Zusammenarbeit mit den Organisationen ist minimal. Räumliche Ressourcen Noch immer sind räumliche Ressourcen in ländlichen Regionen gegenüber der Stadt „in Hülle und Fülle“ vorhanden, öffentliche Räume sind weniger stark privatisiert und reglementiert, Freigelände und Sportflächen meist offen zugänglich. Diese Tendenz nimmt jedoch ab, auch in ländlichen Regionen gibt es immer weniger Freiräume Herrenknecht fragt in diesem Zusammenhang kritisch nach, wie eine Generation der verlorenen Sozialräume später für eben diesen Verantwortung übernehmen könne. Deshalb sind die vorhandenen Ressourcen der ländlichen Regionen intensiver zur Förderung der Jugendlichen in ihren Lebenslagen und einer eigenen Identität dahingehend zu nutzen, dass die Jugendlichen z.B. durch Dorfanalysen die Verbindung und Verantwortung für diese Ressourcen übernehmen. Hohes Maß an Verbindlichkeit der Jugendlichen Durch die Eingebundenheit in ländliche Vereinigungen (Feuerwehr, Sportverein, „man kennt die Verantwortlichen“ im Gemeinderat), durch die ausgeprägte soziale Kontrolle und das Versprechen von weitgehender Autonomie in den Formen der Beteiligung gibt es ein hohes Maß an Verbindlichkeit unter den Jugendlichen. Diese Verbindlichkeit kann als umfängliche Hilfe bei Projekttagen, bei Festen, bei sonstigen Aktionen genutzt werden. Orientiert an der Integration von Jugend am ländlichen Gemeinwesen ist dieser Aspekt von hoher Bedeutung. … Positives Bild der Jugend Wenn es einen erheblichen Unterschied zwischen städtischer und ländlicher Jugend gibt, so ist es das positive Bild, das das Gemeinwesen und die erwachsene „Normalbevölkerung“ auf Jugend hat. Dieser Aspekt ist von hoher Bedeutung, mutet aber den Jugendlichen jedoch auch zu, dem hohen positiven Bild zu entsprechen. Die größte Ressource des ländlichen Raumes ist und bleibt jedoch ihre Bevölkerung. Und: Jugendliche können zum „Bleiben“ motiviert werden, wenn Dörfer ihre eigenen Potentiale und Ressourcen nutzen, „das Klima und Bedingungen für ein kinder- und jugendfreundliches Dorf zu schaffen, das die Sesshaftigkeit von Jugendlichen und Gründung von jungen Familien fördert.“ In dem Maße, wie Akteure in den einzelnen Dörfern Mittel und Kräfte für die Lebendigkeit und Zukunftsfähigkeit ihres Dorfes mobilisieren, ergeben sich vermutlich neue Möglichkeiten für eine Ausweitung der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, z.T. in Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Kräften, z.T. mit den Jugendlichen für Jugendliche. PERSPEKTIVEN Ein wesentlicher Aspekt der Zukunftsfähigkeit ländlicher Jugend- und Jugendsozialarbeit wird davon abhängen, wie deutlich sie bei politisch Verantwortlichen (aber auch Wirtschaftsunternehmen) ihren Stellenwert für die Stabilisierung ländlicher Regionen durch nachhaltige Angebote und Konzepte für Kinder und Jugendliche belegen können. Ein Verweis auf attraktive Bildungs- und Hochschulstandorte reicht vor allem für die sozial Benachteiligten jedoch nicht aus. … Vernetzung und Kooperation sind das a und o gelingender ländlicher Jugend(sozial)arbeit … Jugendbildner und Sozialarbeiterinnen im ländlichen Raum befinden sich oft allein auf weiter Flur ohne Möglichkeit zum Austausch und ohne Unterstützung. Eine Besonderheit ihrer Arbeit liegt zudem häufig darin, für mehrere Gemeinden und ihre Jugendlichen zugleich zuständig zu sein, weite Fahrtwege zu haben und nur sporadisch vor Ort präsent sein zu können. Es müssen Räume geschaffen werden, in denen Austausch und Vernetzung möglich ist. … Jugendsozialarbeit vor allem im ländlichen Raum muss, um erfolgreich zu sein, auf ein komplexes sozialräumlich vernetztes Kooperationsgeflecht von kontinuierlich arbeitenden Akteuren zurückgreifen können. Um vielschichtige und umfängliche Probleme und Entwicklungen ganzheitlich bearbeiten zu können, bedarf es des Einbezugs mehrerer Partner. Bündnisse und Netzwerke schützen auch den Einzelnen, erreichen gemeinsam mehr und lassen auch Ideen verwirklichen, die alleine nicht möglich gewesen wären. Wir hören immer wieder den berechtigten Einwand, dass die Initiative für Netzwerke und Kooperationen scheinbar meist von den Sozialarbeitenden ausgehen muss. Die Kritik ist berechtigt, doch wenn sonst niemand aktiv wird und sich Jugendarbeitende auf eine gewisse Basis verlassen können, scheint hier ein pragmatisches Vorgehen – zum eigenen Nutzen – sinnvoll, die Eigeninitiative wird sich langfristig auszahlen. … Kooperation zwischen Jugendsozialarbeit und Schule für eine nachhaltige Verbesserung der Bildungschancen Im Hinblick auf das Bildungsangebot, Ganztagschulen und schulbezogene Arbeit müssen Konzepte zur Steigerung der Kooperation zwischen Schule und Jugendsozialarbeit entwickelt werden bzw. Angebote der Jugendarbeit den veränderten Bedingungen Rechnung tragen. Das Konzept der mobilen und aufsuchenden Jugendarbeit ist in vielen ländlichen Regionen weit verbreitet. Diese Tendenzen müssen verstärkt werden. Programme der Jugendsozialarbeit sollten nicht nur im Bereich „Bildung und Beschäftigung“ angesiedelt werden, sondern Jugendliche an den Entwicklungsprozessen in ländlichen Regionen beteiligen. Jugendsozialarbeit in ländlichen Regionen muss die Nähe der Schule suchen, ohne jedoch Teil der Schule zu werden … Jugendarbeit im ländlichen Raum kann Modelle der Beteiligung ermöglichen Jugendarbeit kann eine wichtige Brückenfunktion zwischen den Lebenswelten der Jugendlichen und der „Erwachsenenwelt“ übernehmen, denn sie kann Jugendlichen ermöglichen, sich die notwendigen Kompetenzen für Entscheidungen und Partizipation an Prozessen der nachhaltigen Entwicklung anzueignen. … Der notwendige Orientierungsrahmen zur Gestaltung kann von der Jugendarbeit angeboten werden, die hier durch die ihr eigenen Leit- und Wertvorstellungen einen Mehrwert gegenüber kommerziellen Freizeitangeboten hat. Eine Projektidee ist die sogenannte „Dorfanalyse“, bei der – ähnlicher einer Sozialraumanalyse – Kinder und Jugendliche zu Expert/innen ihres Dorfes werden. Die von ihnen erarbeiteten Ergebnisse können für die zukünftige Dorfgestaltung genutzt werden. Durch die Dorfanalyse werden die einzelnen Lebensbereiche der Bewohnerinnen und ihre Themen und Bedürfnisse transparenter und schaffen auf diese Weise auch einen mittelbaren Lernprozess untereinander und gegenüber politischen Entscheidungsträgern. Für die Jugendlichen ist die Dorfanalyse ein unmittelbares Instrument der Qualifizierung, die dort erworbenen Kompetenzen kommen auch der eigenen (beruflichen) Zukunftsplanung zugute. … Ländliche Jugendsozialarbeit muss lebenslagenorientiertere Zugänge wählen Mit dem Begriff der „Lebenslagen“ wird ein sozialwissenschaftliches Konzept benannt, in dem das Zusammenwirken der unterschiedlichen ökonomischen, sozialen und kulturellen Faktoren in den konkreten Lebensverhältnissen von sozialen Gruppen theoretisch erfasst wird. Die Lebenslage eines Menschen wird bestimmt durch seine soziale Herkunft, Bildung, Alter, Gesundheit, Wertvorstellungen, familiäre Situation, soziale Netzwerke, Einkommen und Vermögen, Alltagskompetenzen, Selbstvertrauen und Auftreten, Wohnort und räumliche Anbindung, Arbeit, Sicherheit etc. Der Lebenslagenansatz gilt inzwischen als Schlüsselbegriff beispielsweise in der Armuts- und Reichtumsforschung. Das Lebenslagenkonzept ist Ursache und Folge zugleich: Lebenslagen erklären einerseits das Gelingen bzw. Misslingen einer glückenden Lebensführung, d.h. die erfolgreiche Bewältigung konkreter prekärer Lebenssituationen resultiert andererseits aus dem kumulierenden Gelingen/Misslingen einer glückenden Lebensführung. Das Lebenslagenkonzept ist ein wichtiges Instrument, um Ansatzpunkte für zielführende sozialprofessionelle Interventionen, also für wirklich hilfreiche Hilfe (Subsidiarität) zu ermitteln: „Jugendhilfeplanung hat somit auch die Aufgabe – ohne das bislang Erreichte und Praktizierte aufzugeben – einen partiellen Paradigmenwechsel insbesondere in der Arbeit mit arbeitslosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen planerisch und argumentativ zu unterstützen. Ihre Aufgabe besteht künftig vermehrt darin, jungen Menschen bei der Bewältigung der biographischen Übergänge und Risiken zu unterstützen und auch darin, Ressourcen zu entwickeln, die ein vorübergehendes, häufig aber auch länger anhaltendes Überleben ohne Normalarbeitsverhältnis besser gelingen lässt. … Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit ist politische Arbeit. Im Kampf gegen Rechtsextremismus trägt sie zur Demokratisierung des ländlichen Bereichs bei Für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter stellt sich häufig die Schwierigkeit, neue Kulturen der Anerkennung schaffen zu müssen, wenn ökonomische Sicherheit, politischer Einfluss oder soziale Zugehörigkeit zu versiegen scheinen. Es ist bislang nur selten für alle Beteiligte deutlich, was unter der Stärkung und Entwicklung einer demokratischen (Alltags-)Kultur verstanden werden kann. Häufig werden die Betroffenen mit den entmutigenden Erfahrungen alleine gelassen. Die Forderung nach Mitgestaltung und Mitverantwortung in der gesellschaftlichen und politischen Wertegemeinschaft verhallt oft ungehört. Jugendsozialarbeitende müssen mit eigenen Haltungen und Positionen in die Arbeit gehen und diese aktiv einbringen: „Die Jugend(sozial)arbeit muss die unerfüllbaren Anforderungen, die von Seiten der Politik und Gesellschaft an die Soziale Arbeit erfolgen, zurückweisen. Sie ist nicht die Reparaturwerkstatt für die sozialen Probleme … Den Beitrag aber, den Sozialarbeiter und Jugendbildner in ihrem Feld leisten können, haben sie zu leisten: Sie müssen sich mit rechtsextremen Jugendlichen auseinander setzen, sie weder pathologisieren noch normalisieren. In ihrem jeweils eigenen Arbeitsfeld müssen sie sich positionieren und ihren Kernaufgaben nachkommen. Wenn Regelangebote gesichert sind, können spezifischere Fragen zur Demokratie- und Toleranzentwicklung angegangen werden.“ Akteure werden immer wieder dadurch entmutigt, dass es keine Patentrezepte gibt und auch nicht jedes – sei es noch so überzeugend klingende Konzept – auf jeden regionalen Kontext und jede institutionelle Voraussetzung übertragbar ist. Der Verfestigung und Ausdehnung rechtsextremer Erlebniswelten kann nur wirkungsvoll begegnet werden, wenn alternative jugendkulturelle Angebote aus dem demokratischen Spektrum gleichzeitig unterstützt und gestärkt werden. Aktivierende Gemeinwesenarbeit ist Teil der Jugendarbeit Zukunftsperspektiven für die Jugend- und Jugendsozialarbeit heißt nicht zuletzt Sicherung der vorhandenen Angebote, kreative Ansätze und viel Engagement. Faulde/Hoyer/Schäfer sprechen davon, dass Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter zukünftig die Rolle von Regionalmanger und Regionalmanagerinnen einnehmen werden, die unterschiedliche Interessen (Jugendlicher, des Gemeinwesens und gewerbliche Vertreter) wahrnehmen, Kontakte herstellen, Verhandlungen führen und Netzwerke aufbauen: „Ihr Beitrag liegt in der kommunalpolitischen und zivilgesellschaftlichen Vernetzung, die für eine attraktive Kommune und politische Kultur arbeitet, zu der die notwendigen Ressourcen, Infrastrukturen und Angebote für ein attraktives demokratisches Jugendleben gehören.“ Jugendarbeit ist ein Handlungsansatz, um das vorhandene kulturelle und soziale Kapital des ländlichen Raumes zu sichern, es weiterzuentwickeln und somit Grundlagen für die Zukunft des ländlichen Raumes zu schaffen. Jugendarbeit ist ein zentraler Eckpfeiler der sozialen Infrastruktur einer Kommune. Die Verwaltung eines Ortes muss sich darüber bewusst sein, dass eine lebendige Kinder- und Jugendarbeit nicht nur die Lebensqualität eines Dorfes steigert, sondern darüber hinaus auch bedeutende Standortvorteile für die ökonomische Zukunft des Gemeinwesens bildet. Dementsprechend kann und muss Jugendarbeit selbstbewusster auftreten, als sie das häufig gegenwärtig tut, um die oben angesprochenen Herausforderungen aktiv mit gestalten zu können. Jugendarbeit ist in der Lage Jugendlichen wertbezogene Zukunftsperspektiven zu eröffnen, wenn ihrem Tun eine ausreichende öffentliche (auch finanzielle) Anerkennung und Wertschätzung zugrunde liegt. … “ Der Vortrag von Christine Müller wird Ihnen in vollem Umfang in der Tagungsdokumentation zur Verfügung gestellt.
Quelle: BAG KJS Christine Müller – Referentin BAG KJS und LAG KJS NRW