UMSETZUNG DES SGB II UND AUSWIRKUNGEN AUF (JUNGE) FRAUEN – IN VIA FORDERT NACHBESSERUNGEN Seit Einführung des SGB II nimmt IN VIA die Auswirkungen der Gesetzgebung auf Frauen wahr. Die im Folgenden beschriebenen Probleme gehen auf Praxiserfahrungen der IN VIA-Einrichtungen in der Arbeit mit ALG II-Empfängerinnen zurück. Trotz mehrfacher Gesetzesänderungen gibt es dringenden Handlungsbedarf, die Rahmenbedingungen für Frauen zu verbessern. In der Positionierung formuliert IN VIA Lösungsvorschläge, auch mit Blick auf die aktuelle Gesetzesreform zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Erreicht werden müssen u.a. bedarfsgerechte Kinderbetreuungsangebote, eine Anpassung der sozialen Regelleistungen für Kinder an die laufende Preisentwicklung und zusätzliche (Bildungs)Angebote für arme Kinder, Qualifizierungs- und Ausbildungsangebote für Berufsrückkehrerinnen sowie der Erhalt von individuell zugeschnittenen Fördermöglichkeiten für Alleinerziehende. Die Position wurde an die Ausschüsse Arbeit und Soziales sowie Familie, Senioren, Frauen und Jugend versendet. Sie finden sie in der Anlage dieser Nachrichten. Auszüge aus der Positionierung: “ FRAUEN IN BEDARFSGEMEINSCHAFTEN SIND IN DER ABHÄNGIGIKEITSFALLE 1. Problem: IN VIA stellt fest, dass mit der Umsetzung des SGB II Ungerechtigkeiten bei der Förderung und Vermittlung von Frauen entstehen. Ein Kernproblem liegt in der Festlegung des Antragstellers/der Antragstellerin, der die Bedarfsgemeinschaft vertritt. Entsprechend § 38 SGB II „wird vermutet, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen.“ In der Praxis ist zu beobachten, dass die Kostenträger in der Regel dem Mann die Transferleistungen zuweisen, vermutlich, weil er die Leistungen (zuerst) beantragt. Dies führt allerdings vor allem in konfliktlastigen Beziehungen sowie in Trennungs- und Scheidungssituationen mitunter dazu, dass Frauen und Kindern die ihnen zustehenden Leistungen vom Mann vorenthalten werden oder dass sie nicht wissen, dass der Mann für sie Leistungen miterhält. Lösung: IN VIA fordert, vor dem Antragsverfahren die Entscheidung beider Partner einzuholen, wer als Antragsteller/-in fungiert. Auch sind Beide darauf hinzuweisen, dass auch die Möglichkeit besteht, dass jeder Partner für sich Leistungen beantragt und ausgezahlt bekommt. Bei berechtigter Annahme, dass der als Antragsteller/-in fungierende Partner (oftmals der Mann) Probleme im Umgang mit Geld hat bzw. der Familie das Geld vorenthält, sollte der SGB II-Träger darauf hin wirken, dass der andere Partner (die Frau) als Antragsteller/-in fungiert. Zudem müssen alle erwachsenen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einen Durchschlag des Bewilligungsbescheides erhalten. Dies ist in § 38 zu verankern. 2. Problem: Auch bei Sanktionierungen gemäß § 31 SGB II stehen Frauen als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in der Regel in der Abhängigkeit des Partners. Sein Fehlverhalten wird oftmals auch Frauen und Kindern zugerechnet. Selbst wenn nur seine Leistungen gekürzt werden, können von den restlichen Leistungen insbesondere Fixkosten (wie z. B. Miete) nicht oder nur schwer bezahlt werden. Es ist nicht hinzunehmen, dass die Frau und ggf. die Kinder nach wie vor unter dem Fehlverhalten des Antragstellers zu leiden haben und ihnen keine bzw. nur eingeschränkte Leistungen zur Verfügung stehen. Lösung: Bei Sanktionierung des Mannes (in der Regel des Antragstellers) sollten die Leistungen für die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft unberührt bleiben. In der Praxis ist stärker als bisher zu prüfen, ob eine Zurechnung des Fehlverhaltens überhaupt zulässig ist. Die Leistungen sind ab dem Zeitpunkt der Sanktionierung der Partnerin und den anderen erwachsenen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zu überweisen. FRAUEN BRAUCHEN LEISTUNGEN, DIE DEN ERFORDERNISSEN IHRER LEBENSLAGEN ENTSPRECHEN 1. Problem: Alleinerziehende machen aktuell 18 % aller Bedarfsgemeinschaften aus. Die Erfahrungen von IN VIA zeigen, dass dort die Grundsicherung für Arbeitsuchende trotz der Mehrbedarfe für Alleinerziehende für die Ernährung der Familie und für die Sicherung des Unterhalts nicht ausreichend ist. Auch die geplanten Schulbedarfsleistungen in Höhe von 100 Euro, die zukünftig jedem/jeder bedürftigen Schüler/Schülerin gewährt werden sollen, sind nicht ausreichend. So kostet schon die Ausstattung für Erstklässler/-innen ca. 170 Euro. Dieses hat bekanntlich fatale Folgen für die Kinder, die zunehmend in Armut aufwachsen und deren gesellschaftliche Teilhabe nicht mehr gegeben ist. Lösung: Die sozialen Regelleistungen für Kinder sind dringend an die laufende Preisentwicklung anzupassen. Zudem müssen armen Kindern gesunde Mahlzeiten im Rahmen der Ganztagsbetreuung und die kostenfreie oder ermäßigte Teilnahme an kommunalen Sport-, Musik- und Bibliothekangeboten gewährt werden. Die Schulbedarfsleistungen müssen jährlich den Lebenshaltungskosten angepasst werden. Eine Beschränkung der Leistung bis zur 10. Klasse lehnt IN VIA ab, weil dies zu einer Ausgrenzung von Schüler/-innen an weiterführenden Schulen führt. Vielmehr ist die Leistung darüber hinaus auf weiterführende Schulen auszuweiten. Familien in der Grundsicherung für Arbeitsuchende muss zudem eine Netzkarte im öffentlichen Nahverkehr zustehen. Flächendeckend müssen sozialraumorientierte Angebote zur Stärkung der Alltags- und Lebensbewältigungskompetenz für Familien im SGB II-Bezug eingerichtet werden. Diese könnten über den geplanten § 16 f SGB II (Experimentiertopf) finanziert werden. … 4. Problem: Gemäß § 22 Absatz 2 a SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Verpflegung für unter 25-Jährige nur erbracht, wenn der kommunale Träger dies zuvor zugesichert hat. Dazu ist er nur verpflichtet, wenn bestimmte Kriterien, z.B. schwerwiegende soziale Gründe, zutreffen. Ansonsten steht die Erteilung der Zusicherung in seinem Ermessen. In der Praxis wird die Zusicherung nur selten erteilt. Die gesetzlichen Voraussetzungen, in denen aufgrund schwerwiegender sozialer Gründe eine Zusicherung entbehrlich ist, sind sehr eng. Gerade junge Frauen werden durch ihr Umfeld ohnehin eher daran gehindert als junge Männer, sich ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Es sind verschiedene Fälle bekannt, in denen junge Frauen in unzumutbaren Familienverhältnissen leben, ihnen aber dennoch eine eigene Wohnung nicht finanziert wird. Z.B. wird jungen Frauen bei all ihren eigenen Problemen der Lebensbewältigung häufig zusätzlich die Verantwortung für Haus- und Familienarbeit übertragen. Dieses hat in der Regel weit reichende negative Auswirkungen auf junge Frauen. Diese familiären Bedingungen führen häufig dazu, dass sie sich nicht weiter entwickeln können und die Abhängigkeit von staatlichen Leistungen sich in der Folge tradiert und verfestigt. Lösung: Junge Frauen haben ein Recht auf Verselbstständigung. IN VIA fordert, dass das geltende Recht der Einzelfallprüfung in jedem Fall vor Erteilung eines ablehnenden Bescheides auch tatsächlich umgesetzt wird und dies schriftlich begründet werden muss. Dies ist in § 22 Absatz 2 a SGB II zu verankern. FRAUEN ERFAHREN UNGLEICHE BEHANDLUNG DURCH DIE SGB II-TRÄGER 1. Problem: Eine Auswertung zur SGB II-Umsetzung aus 2007 weist deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Abgangsgründen aus dem SGB II nach. Frauen gehen weit häufiger in Nicht-Erwerbstätigkeit ab als Männer. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, dass der § 8 SGB III Frauenförderung, der auch für das SGB II Anwendung findet, in seiner Ursprungsfassung gestrichen werden soll. Hier war u.a. festgeschrieben: „Zur Verbesserung der beruflichen Situation von Frauen ist durch die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung auf die Beseitigung bestehender Nachteile sowie auf die Überwindung des geschlechtsspezifischen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes hinzuwirken.“ Lösung: Der § 8 SGB III ist in seiner Ursprungsfassung beizubehalten. IN VIA fordert darüber hinaus die Institutionalisierung von Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt im SGB II, wie es in § 385 SGB III geregelt ist. Zudem fordert IN VIA eine Verpflichtung der SGB IITräger, ihre Aktivitäten zur Frauenförderung nachzuweisen. 2. Problem: Gering qualifizierte Frauen nach der Elternzeit werden nicht qualifiziert, sondern in Minijobs oder in den Niedriglohnsektor vermittelt. Dies trägt nicht zu einer Verbesserung ihrer prekären finanziellen Lage bei. Dies bestätigt auch eine Auswertung zur SGB II-Umsetzung aus 2007, nach der Frauen in fast allen arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen deutlich unterrepräsentiert sind. Lösung: Der § 8 Absatz 2 SGB III (ehemals § 8b) zur Förderung von Berufsrückkehrerinnen ist als Rechtsanspruch wie folgt zu formulieren: „Berufsrückkehrer/-innen haben Anspruch auf die Leistungen der Arbeitsförderung, die zu ihrer Rückkehr in die Erwerbstätigkeit notwendig sind. (…)“ … 4. Problem: Die hier benannten Probleme sind ein Hinweis darauf, dass den Mitarbeiter/-innen der SGB II-Träger Gender-Kompetenz fehlt. Die unterschiedlichen Interessen und Lebenslagen von Frauen und Männern müssen jedoch in der Beratungs- und Vermittlungsarbeit der SGB IITräger Berücksichtigung finden. Lösung: Die SGB II-Träger sind zu verpflichten, die persönlichen Ansprechpartner/-innen für eine gendergerechte Beratung zu qualifizieren. IN VIA fordert darüber hinaus die Institutionalisierung von Beauftragten für Chancengleichheit im SGB II, damit die SGB II-Träger systematisch bei der Planung und Umsetzung von Gleichstellungszielen gefördert werden. “ Die Forderungen von IN VIA in vollem Textumfgang entnehmen Sie aufgeführtem Link oder dem Anhang.
http://www.invia-deutschland.de
Quelle: IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit Deutschland e.V.