Kommentar von Jugendbischof Wiesemann zum Erfolg der Jugendsozialarbeit in katholischer Trägerschaft anlässlich der in Kraft tretenden gesetzlichen Verankerung der Assistierten Ausbildung
„Benachteiligten jungen Menschen eine Stimme geben und ihren Anliegen Gehör verschaffen
Junge Menschen auf dem Weg in ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben müssen viele Herausforderungen meistern. Dabei ist die junge Generation am stärksten von Armut und Ausgrenzung bedroht. Das meint nicht nur finanzielle Notlagen, sondern auch Mangel an sozialen Kontakten, verlässlichen Beziehungen oder Zugang zu Hilfsangeboten. Seit einigen Jahren setzen sich katholische Verbände und Organisationen der Jugendsozialarbeit insbesondere dafür ein, dass junge Menschen mit Unterstützungsbedarf einen Ausbildungsabschluss erreichen.
Jeder Jugendliche ohne Abschluss ist einer zu viel – jetzt mit der Assistierten Ausbildung Perspektiven schaffen
Demographie bedingt sollte sich der Ausbildungsmarkt entspannen. Doch die Zahl erfolgloser Bewerberinnen und Bewerber nimmt zu. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zählte 2014 rund 810.000 ausbildungsinteressierte Jugendliche. Von diesen hatten bis Ende September 290.000 noch keine Lehrstelle gefunden. In der offiziellen Statistik gelten 80.000 als gescheitert. Bei den übrigen jungen Menschen ist nicht bekannt, ob ihnen der Weg in eine Ausbildung gelungen ist oder auf welche Weise sie sich aktuell durchschlagen oder ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Insbesondere Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss haben immer weniger Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz. Durch eine abgeschlossene Berufsausbildung verbessern Jugendliche ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich. Dabei ist eine fundierte berufliche Qualifikation junger Menschen der beste Schutz vor Armut und Arbeitslosigkeit.
Angesichts dieser Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist es notwendig, die Chancen von allen Jugendlichen auf eine duale Ausbildung zu erhöhen und dafür zu sorgen, dass Ausbildungsabbrüche verringert werden. Vor allem bildungsbenachteiligte und von Armut betroffenen jungen Menschen und Jugendlichen, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden, bleibt der Zugang zu einem regulären Ausbildungsplatz häufig versperrt. Unternehmer zögern, Ausbildungsplätze zu besetzen, weil aus ihrer Sicht geeignete Bewerberinnen und Bewerber fehlen. Zudem können sie kaum Hilfestellungen in Anspruch nehmen, wenn es um die Gewährleistung eines erfolgreichen Ausbildungsverlaufs geht. Bisherige Fördermöglichkeiten greifen zu kurz.
Für uns als Kirche ist das eine inakzeptable Situation des Ausbildungsmarkts. Junge Menschen suchen nach ihrem Weg ins Berufsleben, interessieren sich für eine Ausbildung und werden immer wieder abgelehnt und enttäuscht, allein weil ihr Schulabschluss den vermeintlichen Anforderungen der Ausbildungsberufe nicht mehr genügen soll. Dagegen tritt Jugendsozialarbeit in katholischer Trägerschaft auf vielfältige Weise dafür ein, dass vor allem Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf eine realistische Chance auf einen regulären Ausbildungsplatz erhalten.
Es ist skandalös, wenn junge Menschen von vornherein ausgegrenzt werden. Jeder Jugendliche hat eine Chance verdient, seine Talente und Fähigkeiten zu entfalten, zu zeigen, wieviel Gutes in ihm steckt. Politik, Gesellschaft und Kirche sind herausgefordert, junge Menschen verstärkt so zu unterstützen, dass sie ihren eigenen Lebensweg gehen können, ihre Persönlichkeit ausbilden und ihre Kompetenzen zum Wohle Aller einsetzten können.
In der länger andauernden politischen Debatte um die Einführung der Assistierten Ausbildung sowie im Gesetzgebungsverfahren konnten die Verbände und Organisationen in der Bundesarbeitsgemeinschaft Kath. Jugendsozialarbeit jungen benachteiligten oder ausgegrenzten Menschen eine Stimme verleihen, die im politischen Berlin Gehör fand.
In Gesprächen mit Abgeordneten sowie Vertreterinnen und Vertretern aus Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden diskutierte sie die Möglichkeiten einer Armutsprävention durch verbesserte Ausbildungsbeteiligung. Im Rahmen des Katholikentages 2014 warb die BAG KJS erfolgreich für ihr Konzept der Assistierten Ausbildung. Sie konnte überzeugend vermitteln, dass mit unterstützenden Angeboten der Jugendsozialarbeit für Ausbildungsbetriebe und Jugendliche erfolgreiche Ausbildung gelingen kann. Assistierter Ausbildung leistet so nicht nur einen wesentlichen Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit, sondern trägt auch zur Bekämpfung des drohenden Fachkräftemangels bei.
Jugend braucht Perspektive – Jugend erhält Perspektive
Das Engagement kath. Verbände und Organisationen in der Jugendsozialarbeit zeigt nun Erfolg. Die am 1. Mai 2015 in Kraft tretende Gesetzesänderung sieht eine Erweiterung des dualen Systems um das Prinzip der Assistierten Ausbildung vor.
Anfang März beschloss der Deutsche Bundestag eine Gesetzesänderung, die notwendige Begleitstrukturen im Ausbildungsprozess als Förderinstrument im Sozialgesetzbuch drei (SGB III) verankert. Das geänderte Gesetz tritt zum 1. Mai 2015 in Kraft.
Damit macht Assistierte Ausbildung vielen jungen Menschen Hoffnung auf einen Berufsabschluss. Förderbedürftige Auszubildende sowie Ausbildungsbetriebe erhalten künftig individuelle und kontinuierliche Unterstützung für die erfolgreiche Gestaltung eines Ausbildungsverhältnisses.
Insbesondere junge Menschen mit Lebensverläufen, die nicht linear sind, die in ihrem Leben Erfahrungen des Scheiterns gemacht haben, sich ausgegrenzt fühlen oder an ihrem eigenen Wert zweifeln, erfahren durch die Jugendsozialarbeit in katholischer Trägerschaft Bestätigung und Ermutigung. Mit der Einführung der Assistierten Ausbildung erfüllt sich für viele Jugendliche eine Hoffnung, die schon nicht mehr an ihre Chancen geglaubt haben. Die A capella-Band Wise Guys beschreibt in dem Motto-Song zum Ökumenischen Kirchentag 2010 in München die Situation zutreffend: „Auch wenn die Welt verrücktspielt: Glaub weiter fest daran, dass vieles sich zum Guten wenden kann. Damit ihr Hoffnung habt…“ Das Kirchentagsmotto „Damit ihr Hoffnung habt“ lehnt sich an den erster Petrusbrief (1 Petr 1,21) an. Basierend auf dieser Überzeugung gelingt es Jugendsozialarbeit in katholischer Trägerschaft jungen Menschen Mut zu machen. Durch die Wegbegleitung in ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben erfahren Jugendliche Wertschätzung und Erfolg. Aus unserem christlichen Menschenbild heraus stellen wir uns gerade auf die Seite der Schwachen, Benachteiligten und Ausgegrenzten. Jeder Mensch trägt das Bild Gottes in sich und hat eine unantastbare Würde. Indem wir uns so für die jungen Menschen engagieren, eröffnen wir ihnen Perspektiven für ein gelingendes Leben und schenken ihnen Kraft, ihr Leben zu meistern. Das kann aber keine einzelne Person und auch keine Einrichtung in Gänze alleine schaffen. Dazu braucht es eine starke Gemeinschaft und Verbündete.
Starkes Engagement braucht starke Partner
Für eine gesetzliche Einführung der Assistierten Ausbildung haben sich neben der BAG KJS viele andere Verbände und Organisationen stark gemacht. Auch über den pluralen Trägerzusammenschluss im Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit brachten sich federführend IN VIA für die BAG KJS erfolgreich in die Debatte ein.
Im Rahmen des Josefstages 2015 unterstützten besonders der BDKJ, der „Arbeit für alle“ e. V. und die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz eine Erweiterung des dualen Systems um das Prinzip der Assistierten Ausbildung. Über den jährlichen Josefstag fordern die Träger und Einrichtungen der Jugendsozialarbeit „Jugend braucht Perspektive“. Der Erfolg mit der Einführung der Assistierten Ausbildung macht Mut, im Engagement für sozial benachteiligte und individuell beeinträchtigte junge Menschen nicht nachzulassen.
Ich freue mich mit Ihnen über die neuen Möglichkeiten für die betroffenen Jugendlichen. Jugendsozialarbeit in katholischer Trägerschaft verwirklicht einen spezifischen jugendpastoralen Dienst der Kirche. Ich danke allen in der BAG KJS aktiven katholischen Sozial- und Jugendverbänden, Orden und Landesarbeitsgemeinschaften für ihr Engagement. Möge die Arbeit einer so verstandenen Jugendsozialarbeit in kath. Trägerschaft gemeinsam mit Partnern in Politik und Verwaltung, Kirche und Gesellschaft sich im Interesse der jungen Menschen so erfolgreich weiterentwickeln.“
Quelle: Vorsitzender der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz – Dr. Wiesemann
Dokumente: 2015-04-29_Kommentar_Assistierte_Ausbildung_Bischof_Wiesemann.pdf