Jugendliche mit Migrationshintergrund finden schwerer einen Ausbildungsplatz

Die duale Ausbildung in Deutschland gilt in mehrfacher Hinsicht als Erfolgsmodell. Zum einen sichert sie die Ausbildung von Fachkräften für die Wirtschaft, zum anderen sorgt sie durch ihre Praxisnähe zum Gelingen der Übergänge in Beschäftigung und wird damit für junge Menschen zu einem wesentlichen Baustein gesellschaftlicher Teilhabe. Dieser Vorteil zahlt sich jedoch nur für diejenigen Jugendlichen aus, denen der Weg in eine Ausbildung gelingt. Leider bleiben dauerhaft rund 13,5 % der Jugendlichen ohne Berufsausbildung, bei ausländischen Jugendlichen sind es sogar ein Drittel.
Unternehmen beklagen, dass sie ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können, weil ihnen geeignete Bewerber fehlen. Gleichzeitig bewerben sich viele Jugendliche jedes Jahr erfolglos um einen Ausbildungsplatz, überproportional viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Eine Unternehmensbefragung der Bertelsmann Stiftung beschäftigt sich daher mit den Erfahrungen und Einschätzungen, die Betriebe in der Berufsausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben.

In der bezogen auf Betriebsgröße und Region (Ost/West) repräsentativen Unternehmensbefragung wurden insgesamt 1.011 ausbildungsberechtigte Betriebe befragt. Von diesen Unternehmen sind 699 ausbildungsaktiv, d. h. sie bilden aktuell aus oder haben dies in den letzten fünf Jahren getan.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Berufsausbildung junger Menschen mit Migrationshintergrund:
„… Von diesen ausbildungsaktiven Unternehmen bilden aktuell 106 (15,2 %) Jugendliche mit Migrationshintergrund aus. Dabei steigt mit der Ausbildungserfahrung der Betriebe auch der Anteil derjenigen Unternehmen, die Jugendliche mit Migrationshintergrund ausbilden. Sind es bei den Unternehmen mit einer generellen Ausbildungserfahrung unter fünf Jahren lediglich 21 %, die diese Zielgruppe ausbilden, sind es bereits mehr als die Hälfte (53,8 %), wenn eine mindestens zehnjährige Ausbildungserfahrung vorliegt. Im Unterschied zur Ausbildungserfahrung wirkt sich eine eigene Zuwanderungsgeschichte von Mitgliedern der Unternehmensführung nur in geringem Maße positiv auf die Bereitschaft aus, junge Menschen mit Migrationshintergrund auszubilden.

Eine große Mehrheit (74,6 %) der 412 Unternehmen, die keine Jugendlichen mit Migrationshintergrund ausbilden, nennt fehlende Bewerbungen als wichtigsten Grund dafür. Mehr als ein Drittel (38 %) befürchtet Sprachbarrieren oder geht davon aus, dass kulturelle Unterschiede (14,7 %) zu groß sein könnten, die sich belastend auf das Betriebsklima auswirken. Da diese Betriebe noch keine Erfahrungen in der Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund gesammelt haben, können diese beiden Aussagen als Vorbehalte interpretiert werden.

Demgegenüber erklären drei Viertel der Betriebe, die junge Menschen mit Migrationshintergrund ausbilden, ausdrücklich, dass sie keine besonderen Gründe für dieses Engagement haben. Das legt den Schluss nahe, dass die große Mehrheit dieser Unternehmen nicht zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheidet. Von den übrigen 71 Betrieben, die besondere Gründe angegeben haben, nennen 71,3 %, dass sie Jugendlichen, die es gegebenenfalls auf dem Ausbildungsmarkt schwerer haben, eine Chance geben wollen und dass sie gute Erfahrungen mit der Ausbildung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund gemacht haben (69,8 %). …

Unternehmen, die Jugendliche mit Migrationshintergrund ausbilden, äußerten mehrheitlich den Wunsch nach mehr Unterstützung (58,2 %) für die Auszubildenden und ihren Betrieb. Bei den Unternehmen, die bislang noch keine Erfahrung in der Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben, sind es sogar 62,9 %, die für mehr Unterstützung plädieren.

Zudem stimmen 71,9 % der ausbildenden Betriebe mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund der Forderung zu, dass transparenter gemacht werden müsste, wo diese Unterstützungsleistungen beantragt werden können, und dass die Beantragung insgesamt weniger bürokratisch sein sollte (62,5 %). … „

Um allen Jugendlichen in Deutschland bessere Perspektiven für eine Berufsausbildung zu geben, muss sich bildungs- und sozialpolitisch etwas bewegen. Aufbauend auf den Befragungsergebenissen formulieren die Autoren der Befragungsauswertung, Ruth Enggruber und Josef Rützel, bildungspolitische Empfehlungen.

Auszüge aus den bildungspolitischen Empfehlungen:
„… ## Rekrutierungsstrategien erweitern Am häufigsten wurde als Grund dafür, dass die Unternehmen keine Jugendlichen mit Migrationshintergrund ausbilden, mit knapp 75 % fehlende Bewerbungen genannt. Hier könnten die Betriebe ihre Rekrutierungsstrategien verändern, indem sie gezielt Jugendliche mit Migrationshintergrund in den Blick nehmen und um diese werben, insbesondere um diejenigen, die trotz gleicher Schulabschlüsse und sonstiger Voraussetzungen bisher in den Bewerbungsverfahren gescheitert sind. Dabei sollte auch das aktivere Bewerbungsverhalten der Jugendlichen mit Migrationshintergrund gegenüber jenen ohne Zuwanderungsgeschichte genutzt werden. … Darüber hinaus könnten spezifische Stärken von Jugendlichen mit Migrationshintergrund wie Zweisprachigkeit und Erfahrungen mit unterschiedlichen Kulturen sowie deren Bedeutung für Kunden- und Geschäftsbeziehungen als Auswahlkriterien herangezogen und bewusst gemacht werden. Denn diese werden immerhin von ca. 50 % derjenigen Unternehmen genannt, die besondere Gründe für die Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund angegeben haben. … Vor allem zur Unterstützung von Klein- und Mittelbetrieben und der Jugendlichen auf regionaler Ebene könnten Instrumente zur Optimierung der Such- und Auswahlprozesse entwickelt und vorgehalten werden. Dies könnten z. B. Internetplattformen mit Stellenbörsen sein, einschließlich „Unternehmensprofilen“, Videoclips über Ausbildungsberufe und Checklisten für die Bewerberauswahl etc. Hingewiesen werden könnte zudem auf das Interesse an Vielfalt, die gezielte Suche nach interkulturellen Erfahrungen und Kompetenzen. Die Jugendlichen könnten auf diesen Plattformen ihre (anonymisierten) Bewerbungsunterlagen, ihre Portfolios und besonderen Profile einstellen. Die Internetplattformen könnten Muster für die Gestaltung von Bewerbungen bereitstellen usw. Obwohl sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass anonymisierte Bewerbungsverfahren zu weniger Diskriminierung führen, kann es zukünftig günstiger sein, wenn die Jugendlichen ihre auf ihrem Migrationshintergrund basierenden Kompetenzen offensiv darstellen und selbstbewusst vertreten. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und des prognostizierten Fachkräftebedarfs gibt es inzwischen zahlreiche Ausbildungskampagnen. In diesen wären die Rekrutierungsstrategien um die gezielte Werbung um Jugendliche mit Migrationshintergrund zu erweitern. …
## Unterstützungsangebote profilieren und vernetzen Die weit überwiegende Zahl der Unternehmen … gab an, dass die Beantragung von Unterstützungsleistungen für die Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund transparenter (ca. 70 %) und weniger bürokratisch (ca. 62 %) sein sollte. Immerhin ebenfalls etwa ca. 60 % wünschten sich mehr individuelle Unterstützung. Auch wenn die Unternehmen nicht explizit nach der Kenntnis und Nutzung von Unterstützungsangeboten gefragt wurden, könnten doch in der mangelnden Transparenz, der beklagten Bürokratie und der zu geringen individuellen Unterstützung Hemmnisse für mehr Ausbildungsplätze für Jugendliche mit Migrationshintergrund liegen. Um diese Hürden zu überwinden, wäre es notwendig, die zahlreich vorhandenen Ansätze, Initiativen, strukturbildenden Bundes- und Länderprogramme, Unterstützungsangebote und Netzwerke in den regionalen Bildungsräumen besser aufeinander abzustimmen. Das bedeutet, Förderangebote, Programme zur Gestaltung der individuellen Wege in den Beruf, der Berufswegbegleitung, der Bildungsketten, der ausbildungsbegleitenden Hilfen etc. unter regionalen Bedingungen besser zu vernetzen und durch Ansätze, die in einschlägigen Projekten, realisiert mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds oder im Rahmen des europäischen Xenos-Programms, entwickelt wurden, zu erweitern. Für die Unternehmen könnte eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet werden, bei der sie ihren Informations-, Beratungs- und Unterstützungsbedarf vorbringen könnten, der dann zu dem jeweils zuständigen Netzwerkpartner weitergeleitet würde. …
## Ausbildungsgestaltung individualisieren 37,4 % der Unternehmen, die Jugendliche mit Migrationshintergrund ausbilden, und 42,6% ohne diese Erfahrungen erachten eine zeitlich individuell an die konkrete Situation der Auszubildenden angepasste Gliederung der Berufsausbildung in Ausbildungsbausteine als sinnvolle Maßnahme. Es scheint demnach eine nennenswerte Anzahl von Unternehmen zu geben, die dieses Instrument nutzen möchte und sich davon Verbesserungen im Hinblick auf die Flexibilisierung und Individualisierung der Ausbildung sowie die bessere Nutzung der vorhandenen Ausbildungspotenziale verspricht. Damit sie jedoch über Einzelfälle hinaus wirksam werden können, sind bildungspolitische Entscheidungen zur Profilierung und rechtlichen Verankerung der Ausbildungsbausteine erforderlich. Darüber hinaus könnte auch die Etablierung von anerkannten Verfahren der Kompetenzfeststellung und zur Zertifizierung der Kompetenzen und deren Nachweis etwa in Portfolios die Individualisierung und Flexibilisierung der Ausbildung unterstützen. Alle
Instrumente bedürfen der Verankerung in den regionalen Strukturen.
## Inklusionskultur in den Unternehmen stärken Bedeutsam für die Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist vor allem auch die Unternehmensphilosophie. Von den 71 Unternehmen, die besondere Gründe für ihre Ausbildungsaktivitäten mit der Zielgruppe genannt haben, geben knapp 54 % an, dass dies Teil des Unternehmensleitbildes ist. 46 % äußern, dass in ihrem Unternehmen bereits viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund arbeiten. Bei immerhin 27 % dieser Unternehmen haben die Mitglieder der Geschäftsführung oder leitende Angestellte selbst einen Migrationshintergrund oder sie haben Menschen mit Migrationshintergrund in der Familie. Auch dass 71,3 % den Jugendlichen eine Chance geben wollen, die es auf dem Ausbildungsmarkt schwerer haben, und 65 % soziales Engagement als Auswahlkriterium nennen, verweist darauf, dass in diesen Unternehmen Ansätze für eine Inklusionskultur vorhanden sind. Diese ersten Ansätze gilt es zu erweitern und in den Unternehmen Inklusionskultur als Querschnittsaufgabe zu begreifen und strukturell zu verankern. Dabei sind alle Jugendlichen in ihrer Individualität und Vielfalt zu berücksichtigen und nicht nur jene mit Migrationshintergrund. Konkrete Maßnahmen, die die Ausbildungsaktivitäten unterstützen können, sind außerdem die Etablierung von Diversity-Beauftragten, Personal- und Ausbildungsverantwortlichen mit Migrationshintergrund, interkulturell zusammengesetzte Teams, Schulungen zur interkulturellen Kompetenz etc. …“

Quelle: Bertelsmann Stiftung

Dokumente: LL_GB_Integration_UnternBefr_Links_2015.pdf

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