Junge „Fluchtmigranten“ betrieblich ausbilden

Ein qualitativer-exploratives Forschungsprojekt des IAB untersuchte die Fragen ## Welche Hürden bestehen nach wie vor?
## Welche Faktoren unterstützen die Ausbildung dieser neuen Zielgruppe?
## Wie wird der Politikwechsel in der Praxis umgesetzt – insbesondere durch Ausländerbehörden vor Ort, die nach aufenthaltsrechtlicher Prüfung eine duale Ausbildung von Geduldeten zu erlauben oder zu versagen haben?
Auszüge aus der IAB-Untersuchung „Betriebliche Ausbildung von Geduldeten“ von Franziska Schreyer, Angela Bauer und Karl-Heinz P. Kohn:
„… Rechtlich zwingende Voraussetzung für eine duale Ausbildung Geduldeter ist eine Beschäftigungserlaubnis, die bei der zuständigen Ausländerbehörde beantragt werden muss. (…) Sie müssen vorrangig aufenthaltsrechtlich prüfen. Das bedeutet: Eine Beschäftigungserlaubnis dürfen sie insbesondere dann nicht an Geduldete erteilen, wenn diese das Hindernis, das sie vor Abschiebung schützt, selbst verursachen. Ein solches Hindernis sieht der Gesetzgeber insbesondere dann gegeben, wenn junge Geduldete selber falsche oder ungenügende Angaben zu ihrer Identität oder Staatsangehörigkeit machen.

Zum Hintergrund: Manche „Fluchtmigranten“, so auch Geduldete, haben entweder keine Personendokumente, weil sie z. B. bei der Flucht nicht mitgenommen oder verloren wurden, oder sie legen sie den deutschen Behörden aus Angst vor Abschiebung nicht vor. Bei drohender Zwangsheirat etwa kann auch Angst vor Verfolgung durch Gruppen aus dem Herkunftsland dazu kommen. Ohne ein Dokument, das ihre Zugehörigkeit zu einem Staat beweist, können Menschen meist nicht in diesen abgeschoben werden.

Ausländerbehörden müssen bei jungen Geduldeten mit ungeklärter Identität meist deren Mitwirkung bei Identitätsklärung und Beschaffung von Personendokumenten einfordern. Im IAB-Forschungsprojekt zeigt sich aber, dass Ausländerbehörden in diesem spannungsgeladenen Rechtskontext in der Verwaltungspraxis teils unterschiedliche Anforderungen stellen und individuelle Mitwirkungshandlungen unterschiedlich anerkennen – mit der Folge, dass Geduldete regional ungleiche Chancen auf eine Beschäftigungserlaubnis haben. Die Verwaltungspraxis unterscheidet sich manchmal auch innerhalb eines Bundeslandes bzw. kleiner regionaler Räume. (…)

Manche Ausländerbehörden sehen die für eine Beschäftigungserlaubnis notwendige Mitwirkung als ausreichend an, wenn Geduldete mit ungeklärter Identität kooperativ in den Prozess eintreten. Das kann bspw. bedeuten, dass sie zur Beschaffung von Personendokumenten bei ihrer Botschaft vorstellig werden oder im Herkunftsland einen Rechtsbeistand einschalten. Legen Geduldete dann während der Ausbildung ein Personendokument vor, kann die laufende Ausbildung sie ggf. vor Abschiebung schützen. Andere Ausländerbehörden würden eine Beschäftigungserlaubnis erst erteilen, nachdem die Geduldeten ein Personendokument vorgelegt haben. Damit steigt aber gleichzeitig ihr Risiko, abgeschoben zu werden. (…)

Praxis von Arbeitsagenturen
Auch Arbeitsagenturen können die Umsetzung des Politikwechsels stützen oder hemmen. Der Wissensstand zu den Möglichkeiten der Ausbildung Geduldeter ist ebenso wie das Engagement für die Zielgruppe in den Agenturen recht unterschiedlich. So kann es vorkommen, dass Geduldete z. B. die falsche Auskunft erhalten, sie dürften generell keine duale Ausbildung antreten. Nicht immer informieren Berufsberater etwa bei Schulbesuchen eigeninitiativ über rechtliche Öffnungen und die Zuständigkeit der Agenturen. Teils werden Geduldete bereits im Eingangsbereich von Agenturen abgewiesen. Dies kann vor allem dann passieren, wenn der dort vorgelegte Duldungsausweis immer noch den Eintrag „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“ enthält, obwohl die Wartefrist (bei dualer Ausbildung gültig bis Juni 2013) bereits verstrichen war. Oft besteht Unsicherheit, inwieweit Förderinstrumente des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III) auch Geduldeten offenstehen.

Einzelne Arbeitsagenturen bauen engagiert Angebote für die Zielgruppe auf, die teils an die Modellprogramme von BMAS und BA angegliedert sind. Sie nutzen prospektiv bereits die ersten Monate des Aufenthalts, um Kompetenzen und Qualifizierungsbedarf zu klären sowie beruflich zu orientieren und zu beraten. Weitere Handlungsmöglichkeiten sind etwa die Vermittlung in Praktika und Ausbildungsstellen, die Information über Rechte und Pflichten bei einer Ausbildung sowie die Prüfung, ob ausbildungsbegleitende Hilfen und Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) geleistet werden können. Zu prüfen wäre ferner, ob berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen und Einstiegsqualifizierungen möglich sind. Insgesamt steht die Arbeitsverwaltung vor der Herausforderung, komplexes und dynamisches Ausländerrecht mit dem SGB III zu verbinden.

Weitere unterstützende oder behindernde Faktoren ## Beratungsinfrastruktur
Sozialpädagogische Betreuung (etwa an Berufsschulen) sowie Netzwerke spezialisierter Beratung sind für den Zugang der Zielgruppe zu Ausbildung und für erfolgreiche Ausbildungsverläufe von sehr hoher Bedeutung. (…) Diese Netzwerke sind kompetente Schnittstellen zu Behörden, Schulen und Ausbildungsbetrieben. Solche Strukturen gibt es aber nicht flächendeckend und ESF-Programme sind zudem befristet.
## Wohn- und Lernbedingungen Junge Geduldete leben in betreuten Wohngemeinschaften, Privatwohnungen oder Gemeinschaftsunterkünften. Letztere bedeuten oft Mehrbettzimmer ohne Rückzugsmöglichkeit und mit hoher Lärmbelastung. Lernen für die Ausbildung oder Regeneration sind hier schwierig. (…)
## Finanzielle Situation (…) Es ist eine finanzielle Hürde, dass junge Geduldete Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) erst nach vier Jahren Aufenthalt beziehen können. Zudem dauert die Bearbeitung entsprechender Anträge für Geduldete ohne jegliche finanzielle Reserven teils zu lang. Das erhöht das Risiko eines Ausbildungsabbruchs. Auch die Kosten für Arbeitskleidung, Fahrten und Prüfungsgebühren können zu großen Hürden werden.
## Lebenswege und Motivation Geduldeter Junge Geduldete waren in ihren Herkunftsländern und auf der Flucht in aller Regel extremen Lebenssituationen ausgesetzt. (…) Solche Situationen überstanden zu haben, kann – (…) – von hoher psychischer und physischer Stärke zeugen. Sie können
aber auch posttraumatische Erkrankungen nach sich ziehen, deren Therapie das Asylbewerberleistungsgesetz zumindest in den ersten vier Jahren kaum zulässt. Dies kann die berufliche Integration zusätzlich erschweren. Junge „Fluchtmigranten“ kommen oft voller Motivation und Hoffnung nach Deutschland, hier lernen und sich mit Arbeit eine Zukunft aufbauen zu können. Werden sie aber lange nicht gefördert und mit kaum überwindbaren Mauern konfrontiert, besteht die Gefahr lähmender Angst und Verzweiflung. (…)“

www.iab.de

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

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