Kompetenzen – nicht allein Abschlüsse – entscheiden: Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit

MIT HILFE DES DEUTSCHEN QUALIFIKATIONSRAHMENS BENACHTEILIGTEN JUGENDLICHEN BILDUNGSCHANCEN ERMÖGLICHEN Die BAG KJS verfolgt die Erarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) mit großem Interesse. Um die Chancen für benachteiligte Jugendliche zu erhöhen, ist sie seit Entwicklungsbeginn des DQR dafür eingetreten, diesen nicht ausschließlich an formalen Kriterien auszurichten. In ihrem aktuellen Positionspapier fordert sie, über den Qualifikationsrahmen sicher zu stellen, dass die außerhalb des formalen Qualifikationssystems erworbenen Kompetenzen anerkannt werden. POSITIONSPAPIER DER BAG KJS: “ Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. verfolgt die Erarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) mit großem Interesse. Um die Chancen für benachteiligte Jugendliche zu erhöhen, ist die BAG KJS in ihrem Positionspapier „Benachteiligte Jugendliche dürfen nicht aus dem �Rahmen’ fallen.“ (siehe Anlage) dafür eingetreten, dass die unterste Stufe des DQR so beschrieben wird, dass sie nicht mit dem formalen Kriterium des Hauptschulabschlusses gleich gesetzt wird. Mit einer solchen Festlegung wäre die systematische Ausgrenzung einer in ihrer Größenordnung ernst zu nehmenden Gruppe junger Menschen zementiert worden. Von daher begrüßt die BAG KJS die Entscheidung, dass die Niveaustufen des DQR abschlussoffen beschrieben sind. Bei der Umsetzung des Deutschen Qualifikationsrahmens darf es jedoch nicht bei der Beschreibung bleiben. Mit Besorgnis nimmt die BAG KJS zur Kenntnis, dass im Diskussionspapier für ein lebenslanges Lernen im Einführungstext davon gesprochen wird, dass „der DQR auf acht Niveaustufen fachliche und personale Kompetenzen (beschreibt), an denen sich die Einordnung der Qualifikationen orientiert, die in der allgemeinen, der Hochschulbildung und der beruflichen Bildung erworben werden.“ Später wird noch ausgeführt, dass „alle formalen Qualifikationen des deutschen Bildungssystems der allgemeinen, der Hochschulbildung und der beruflichen Bildung einbezogen (werden)“. Die BAG KJS hält es für erforderlich, an dem in diesem Text formulierten Prinzip „wichtig ist, was jemand kann, und nicht, wo er es gelernt hat“ festzuhalten und Angebote und Maßnahmen im nonformalen Bildungsbereich sowie informell erworbene Kompetenzen ebenso zu beschreiben und im beruflichen Werdegang von Menschen anzuerkennen. Für benachteiligte junge Menschen, die oft keine formalen Abschlüsse vorweisen können, aber in vielfältigen informellen Kontexten und in nonformalen Bildungsprozessen – etwa in Maßnahmen der Jugendberufshilfe – Kompetenzen erworben haben, ist es erforderlich, dass diese anerkannt werden. In Anbetracht dieser Tatsache ist die im Text angeführte Aussage „da der DQR Qualifikationen und nicht individuelle Lern- und Berufsbiografien abbildet, kann er manche in Bildungs- und Qualifikationsprozessen erworbene Fähigkeiten und Haltungen nicht adäquat erfassen“ , gerade im Sinne der Förderung benachteiligter Jugendlicher sehr zu kritisieren. 1. Lebensbegleitendes Lernen in die Praxis umsetzen Der Europäische Qualifikationsrahmen ist ein Instrument des „Lebensbegleitenden Lernens“ der Europäischen Union und soll die Gesamtheit allen formalen, nicht-formalen und informellen Lernens einbinden. Die stark segmentierten Bildungsbereiche sollen verzahnt und zu einem aufeinander aufbauenden und durchlässigen Gesamtsystem ausgebaut werden. Ziel dabei soll sein, die Transparenz der Systeme zu erhöhen und ihre Durchlässigkeit sowie neue Lehr- und Lernkulturen zu fördern. Vorrang haben soll das Anliegen, „spezielle Maßnahmen für besonders benachteiligte Personen, für Menschen, die an keiner Aus- oder Weiterbildungsmaßnahme teilnehmen, sowie für Migranten“ anzubieten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat auf Basis der EU-Vorgaben sein Aktionsprogramm „Lebensbegleitendes Lernen für alle“ formuliert. Darin steht, dass die Eigenverantwortung sowie Selbststeuerung der Lernenden gestärkt und Chancenungleichheiten abgebaut werden sollen. Wert gelegt wird auf eine Kooperation der Bildungsanbieter/-innen und Nutzer/-innen sowie auf eine Stärkung der Bezüge zwischen allen Bildungsbereichen, um eine Durchlässigkeit zwischen den Bereichen zu fördern. Zur Umsetzung des Aktionsprogramms hat sich die Bund-Länder-Kommission 2004 unter anderem für die Strategie entschieden, das Lernen in allen Lebensphasen und Lebensbereichen zu fördern und das Lernen an verschiedenen Lernorten und in vielfältigen Lernformen anzuregen. In der bisherigen Debatte um den Deutschen Qualifikationsrahmen wurde deutlich, dass trotz der EU-Vorgaben und der eigenen Vorhaben die Gefahr besteht, die im nonformalen und informellen Bereich erworbenen Kompetenzen zu vernachlässigen. In der Diskussion um die Niveaustufen war festzustellen, dass die Themen „benachteiligte Zielgruppen“ und „Eröffnung von Bildungschancen“ eine untergeordnete Rolle spielten. Die BAG KJS tritt dafür ein, bei der Einrichtung und Umsetzung des DQR auch die Zielgruppe der benachteiligten jungen Menschen in den Blick zu nehmen. Ein DQR ist nur dann wirksam, wenn in ihm • außer die in der schulischen und beruflichen Bildung erteilten Abschlüsse auch die in anderen Maßnahmen erworbenen Qualifikationen und Teilabschlüsse anerkannt werden, • die an anderen Lernorten erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten erfasst werden, • die im ehrenamtlichen Engagement oder in Freiwilligendiensten erworbenen Kompetenzen berücksichtigt werden. Die Erarbeitung eines Qualifikationsrahmens muss – wie im Lebensbegleitenden Lernen intendiert – nicht nur die Förderung der Mobilität zwischen Deutschland und anderen europäischen Ländern zum Ziel haben, sondern vor allem auch die Anerkennung nonformaler und informeller Lernprozesse, die Förderung benachteiligter (junger) Menschen und die Durchlässigkeit des Bildungssystems. 2. Benachteiligten Jugendlichen Zugänge eröffnen Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien haben im Blick auf Bildung ein doppeltes Risiko: Sie verfügen nachgewiesenermaßen über schlechtere Bildungschancen und schließen die Schule mit niedrigeren bzw. ohne Abschluss ab. Aus einem fehlenden oder niedrigeren Schulabschluss resultieren dann geringere Zugangschancen zu schulischen oder beruflichen Bildungsangeboten bzw. zum Arbeitsmarkt. Um nicht lebenslang vom formalen Bildungssystem und der Arbeitswelt ausgeschlossen zu werden, muss es benachteiligten Jugendlichen möglich sein, sich über den Erwerb von Kompetenzen und Fertigkeiten außerhalb des formalen Systems auch einen Zugang zu eröffnen. Die Angebote der Jugendsozialarbeit zielen darauf ab, neben Persönlichkeitsstärkung den Erwerb sozialer und beruflicher Kompetenzen zu fördern. Damit benachteiligte junge Menschen diese Qualifizierungen in ihrem beruflichen Werdegang anerkennen lassen können, müssen sie die Möglichkeit haben, ihre erworbenen Kompetenzen bewerten, bescheinigen oder zertifizieren zu lassen. Über den Qualifikationsrahmen muss sicher gestellt werden, dass die außerhalb des formalen Qualifikationssystems erworbenen Kompetenzen (Familie, Berufserfahrung, Weiterbildung, Förderung in Angeboten der Jugendsozialarbeit oder im ehrenamtlichen Engagement) anerkannt werden. Gerade Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien verfügen häufig über besondere personale Kompetenzen. Diese Kompetenzen müssen bei der Zertifizierung berücksichtigt werden. Darüber muss die Einstufung in eine andere Niveaustufe oder der Zugang zu weiterführenden beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen möglich werden. 3. Durchlässigkeit im Bildungssystem gewährleisten Die Durchlässigkeit des Bildungssystems ist in Deutschland sehr eingeschränkt. Die Vergabe von Bildungsabschlüssen ist stark an schulische wie auch an berufliche Institutionen gebunden, die Bildungsprozesse und deren Abschlüsse festlegen sowie über deren Einhaltung wachen. Die Entscheidung über einen Bildungsweg darf jedoch nicht allein von schulischen oder beruflichen Bildungsabschlüssen bestimmt werden. Darüber hinaus muss es möglich sein, über andere – bisher nicht anerkannte – Wege Qualifikationen zu erwerben, die den anderen gleich gesetzt werden. Bildungsprozesse müssen sich an den benachteiligten jungen Menschen ausrichten. Entsprechend ihrer unterschiedlichen Entwicklungszeiträume und Begabungen müssen sich Bildungszeiträume sowie Methoden und Inhalte entsprechend anpassen. Das Bildungssystem muss hierbei weitgehend durchlässig bleiben und immer wieder Übergänge ermöglichen. Bildung wird in diesem Zusammenhang nicht auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit reduziert, sondern in ihrer sozialen und integrativen Bedeutung gestärkt. Über den Qualifikationsrahmen muss es möglich sein, unterschiedliche Bildungswege anzuerkennen. Für die Anerkennung muss eine vom Bildungssystem unabhängige Instanz geschaffen werden, die erworbene Kenntnisse und Kompetenzen erfasst und bescheinigt. Quereinstiege und Weiterqualifizierung müssen auf dieser Grundlage möglich sein. Ein durchlässiges Bildungssystem leistet einen Beitrag zu Chancengerechtigkeit. Die BAG KJS wird die Umsetzung des Deutschen Qualifikationsrahmens weiterhin kritisch begleiten und sich dafür einsetzen, dass die erworbenen Kompetenzen benachteiligter Jugendlicher anerkannt und ihnen darüber Zugänge eröffnet werden. Deshalb fordert sie • die Anerkennung von Teilabschlüssen und Qualifikationen als Grundlage für eine weitere berufliche Qualifizierung, • anerkannte Stellen und standardisierte Verfahren zur Anerkennung der im Laufe des lebensbegleitenden Lernens erworbenen Kompetenzen, • die Möglichkeit, auf Grundlage von anerkannten Abschlüssen und Qualifikationen weiterführende Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen besuchen zu können. Eine Hinführung des Deutschen Qualifikationsrahmens auf diese Ziele und dessen konsequente Umsetzung im Hinblick auf diese Zielbereiche bietet die Chance, lebensbegleitendes Lernen in Deutschland nachhaltig umzusetzen. Insbesondere Menschen ohne formale oder mit nicht arbeitsmarktgängigen formalen Qualifikationen können auf diese Weise ihre Fertigkeiten und Kompetenzen zur Geltung bringen. Die BAG KJS unterstützt dieses Anliegen und steht hierzu als kompetente Kooperationspartnerin zur Verfügung. “ Die Positionspapiere ‚Kompetenzen – nicht allein Abschlüsse – entscheiden‘ und ‚Benachteiligte Jugendliche dürfen nicht aus dem Rahmen fallen.‘ stehen Ihnen als PDF-Datei im Anhang zur Verfügung.

Quelle: BAG KJS

Dokumente: DQR_Positionspapier_Benachteiligte_Jugendliche_duerfen_nicht_aus_dem_Rahmen_fallen.pdf

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