Immer mehr bildungsorientierte Freizeitaktivitäten bei Jugendlichen

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat auf Grundlage von Daten der Längsschnittstudie Sozio-oekonomisches Panel das Freizeitverhalten Jugendlicher analysiert. Auf repräsentativer statistischer Basis weisen Adrian Hille, Annegret Arnold und Jürgen Schupp nach, dass heute bildungsorientierte Aktivitäten die Freizeit Jugendlicher dominieren.

Auszüge aus der DIW-Ausarbeitung zum Freizeitverhalten Jugendlicher:
“ … Je jünger der Jahrgang, desto bildungsorientierter die Freizeitgestaltung
Die Nachfrage nach bildungsorientierten Freizeitangeboten wie außerschulischem Musikunterricht oder Sport ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. Während in der ältesten analysierten Geburtskohorte (Jahrgänge 1984 bis 1987, befragt in den Jahren 2001 bis 2004) nur etwa zehn Prozent der 16- bis 17-jährigen Jugendlichen musizierten, waren es in der jüngsten Kohorte (Jahrgänge 1992 bis 1995, befragt in den Jahren 2009 bis 2012) bereits knapp 18 Prozent. Ein besonders starker Anstieg ist beim ehrenamtlichen Engagement zu verzeichnen (von 11 auf 22 Prozent). Aber auch der Anteil der Jugendlichen, die sportlich aktiv sind, tanzen oder Theater spielen, hat im Beobachtungszeitraum deutlich zugenommen.

Die gestiegene Nachfrage nach Musik, Sport, Tanz und ehrenamtlichem Engagement widerspricht der weit verbreiteten Meinung, dass Jugendliche durch die Einführung der Ganztagsschule und der in fast allen Bundesländern verkürzten Gymnasialzeit (G8) erheblich weniger Freizeit haben. … Tatsächlich steigt die Wahrscheinlichkeit, wöchentlich an mindestens einer bildungsorientierten Freizeitaktivität teilzunehmen, je jünger die untersuchte Geburtskohorte ist, während die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme an täglich mindestens zwei informellen Aktivitäten, wie Freunde treffen, sinkt. In der jüngsten Kohorte hat sich das Verhältnis sogar erstmals zugunsten der bildungsorientierten Freizeitgestaltung umgekehrt. Diese Entwicklungen sind sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen zu beobachten. …

Auch der von der Stiftung für Zukunftsfragen veröffentlichte „Freizeit-Monitor 2013“ berichtet für die jüngste in jenem Bericht ausgewiesene Altersgruppe der 14- bis 17-jährigen Jugendlichen über besonders starke Verluste an verfügbarer Zeit für informelle Freizeitbeschäftigungen wie Treffen mit Freunden. …

Nutzung bildungsorientierter Angebote hängt stark vom Elternhaus ab
… Besonders die Bildung der Eltern bestimmt maßgeblich, ob ihr Kind in die Musikschule oder den Sportverein geht. … Das Ziel gleicher Bildungschancen für jedes Kind ist damit stark gefährdet, denn Ungleichheiten in der Schule, zu Hause und in der Freizeit verstärken sich gegenseitig.

Bildungsabschluss der Mutter hat großen Einfluss
Tatsächlich bestätigt ein Blick auf die Daten, dass Kinder aus höheren sozialen Schichten häufiger bildungsorientierten Freizeitaktivitäten nachgehen: 73 Prozent der Kinder, die zwischen 1992 und 1995 geboren wurden (Erhebungsjahre 2009 bis 2012) und deren Mutter das Abitur oder einen Universitätsabschluss hat, beschäftigten sich mindestens wöchentlich mit Musik, Tanz, Theater, Sport oder üben eine ehrenamtliche Tätigkeit aus. Unter Jugendlichen, deren Mutter kein Abitur hat, war dies nur bei 54 Prozent der Fall. Ähnliche Unterschiede bestehen, wenn die soziale Schicht über das Haushaltseinkommen, einen möglichen Migrationshintergrund oder das kulturelle Kapital definiert wird. ….

Neben der sozialen Herkunft der Eltern prägt auch die Schulform die Möglichkeiten der bildungsorientierten Freizeitgestaltung. Häufig existieren in Gymnasien bessere Freizeitangebote als in Real- und Hauptschulen. Unabhängig von der sozialen Schicht ist es also nicht verwunderlich, wenn Gymnasiasten häufiger musikalisch oder sportlich aktiv sind. …

Soziale Ungleichheit in der Freizeitgestaltung verringert sich nicht
… Der Anteil der Jugendlichen, die an mindestens einer bildungsorientierten Freizeitaktivität teilnahmen, ist … kontinuierlich gestiegen, sowohl bei Jugendlichen aus sozial besser als auch bei Jugendlichen aus sozial schlechter gestellten Familien. Allerdings hat die soziale Ungleichheit nicht abgenommen: Im Jahr 2012 waren die sozio-ökonomischen Unterschiede im Freizeitverhalten genauso ausgeprägt wie zehn Jahre zuvor. Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung bei der Bildung der Mutter. …

Selbst wenn die Einflüsse des Haushaltseinkommens, des Migrationshintergrunds, der Zusammensetzung des Haushalts sowie der Wohnregion berücksichtigt und konstant gehalten werden, bestimmt die elterliche Bildung maßgeblich, ob Jugendliche bildungsorientierten Freizeitaktivitäten nachgehen oder nicht. Die Wahrscheinlichkeit, an mindestens einer solchen Aktivität teilzunehmen, ist für Jugendliche, deren Mutter weder das Abitur noch einen Universitätsabschluss besitzt, um mehr als 20 Prozentpunkte geringer als für andere Jugendliche. …

Fazit und Ausblick
… Politische Projekte wie die Ganztagsschule oder die Förderung der Teilhabe an außerschulischen Freizeitangeboten weisen zwar in die richtige Richtung und können Jugendlichen aus sozial schwachen Familien die Möglichkeit des informellen Lernens bieten, wenn entsprechende Impulse des Elternhauses ausbleiben. Das Handlungspotential ist jedoch bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Die soziale Ungleichheit erreicht auch in der außerschulischen Bildung ein bedeutendes Ausmaß, was umso gravierender ist, da sie sich mit der Ungleichheit in der Schule gegenseitig verstärkt. Die Politik ist angehalten, Startchancengerechtigkeit auch bei Jugendlichen mit einem bildungsfernen Familienhintergrund sicherzustellen.

Bisher ist noch unzureichend erforscht, inwieweit die Gestaltung der Freizeit für die Entwicklung von Fähigkeiten sowie die Berufs- und Studienwahl von Jugendlichen bedeutsam ist. …

Angesichts solcher Unsicherheiten sowie Forschungslücken bleibt auch offen, inwiefern vermeintliche „Helikopter-Eltern“ ihr Ziel der optimalen Förderung ihrer Kinder durch deren Teilnahme an bildungsorientierten Freizeitaktivitäten tatsächlich einzulösen vermögen. … „

www.diw.de

Quelle: DIW Berlin

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