Unzureichend koordinierte Integrationspolitik im deutschen Föderalismus

Das Jahresgutachten 2012 des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) analysiert, wie funktionstüchtig die integrationspolitische Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist. Dabei zeigt sich deutlich die Schattenseite des Föderalismus: Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen und Verwaltungsaufgaben auf unterschiedliche Akteure in Bund, Ländern und Kommunen führt zu zahlreichen parallelen, sich überschneidenden und sogar konkurrierenden Zuständigkeiten, die eine effektive Bündelung integrationspolitischer Maßnahmen erschweren. Zudem verfolgen die Akteure – je nach politischer Färbung – oft sehr unterschiedliche integrationspolitische Agenden.

„An den Schnittstellen von Föderalismus und Integrationspolitik fehlt ein Masterplan“, kritisierte der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Klaus J. Bade. „Das schlecht koordinierte Mit-, Neben- und sogar Gegeneinander der verschiedenen politischen Akteure hat zu einem Wildwuchs integrationspolitischer Einzelmaßnahmen geführt, bei denen das Rad oft mühevoll immer wieder aufs Neue erfunden wurde.“ Neben konzeptstarken Integrationserfolgen und konzeptschwachem oder konzeptlosem Durchwursteln gebe es auch Umsetzungshindernisse, Finanzierungsblockaden und sogar handlungslähmende Wahrnehmungsprobleme.

Das SVR-Integrationsbarometer fällt – trotz der 2010/2011 aufgeregt geführten Integrationsdebatte – überraschend positiv aus. Der Vergleich mit den 2009 erstmals erhobenen Daten zeigt: Das pragmatisch-positive Integrationsklima hat sich 2011 verfestigt. Der Integrationsklima-Index (IKI), der die Einschätzungen und Erfahrungen im Integrationsalltag auf beiden Seiten der Einwanderungsgesellschaft misst, ist weitgehend stabil.

Auszüge und wichtige Erkenntnisse aus dem Jahresgutachten 2012 des Sachverständigenrats Integration und Migration:
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Synergieeffekte zwischen Bund, Ländern und Gemeinden stärken
Eine bessere Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen könnte in vielen Bereichen zu Synergieeffekten führen. Wie das Beispiel der Arbeitsmarktreformen zeigt, sieht die Realität anders aus: Seit den Hartz-Reformen sind die Kommunen mit zuständig für die Arbeitsvermittlung, entweder gemeinsam mit den Arbeitsagenturen oder, im Fall der sog. Optionskommunen, in alleiniger kommunaler Verantwortung. Eine für das SVR-Jahresgutachten erstellte Expertise kommt zu dem Ergebnis, dass es den Optionskommunen deutlich schlechter gelingt, Transferempfänger mit Migrationshintergrund in Arbeit zu vermitteln als den Jobcentern, die in gemeinsamer Trägerschaft von Kommune und Arbeitsagentur tätig sind. Der SVR empfiehlt daher eine engere Prozessverzahnung von Optionskommunen und Arbeitsagenturen.

Kooperationsverbot im Bildungsbereich sollte aufgehoben werden
Bildung ist eine zentrale Baustelle der Integrationspolitik. Der Wettbewerb der Bundesländer um die besten Plätze im Ranking führt zum Teil allerdings zu einer Absenkung von Standards und nicht zu dem wünschenswerten Wetteifern um die bestmögliche Bildungsvermittlung. In manchen Ländern stehen zudem nicht genügend Mittel für Bildung zur Verfügung. Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern, das 2006 mit der Föderalismusreform beschlossen wurde, ist kontraproduktiv und sollte abgeschafft werden.

Integration darf auch nicht von zufälligen Rahmenbedingungen der Kommunen abhängen. So darf die Ausstattung von Schulen und Kitas nicht vorwiegend von der finanziellen Lage der Kommunen abhängen. … Um eine gute Ausstattung der Bildungseinrichtungen flächendeckend zu gewährleisten, müssten die Länder die unterschiedliche Finanzkraft der Kommunen stärker als bisher ausgleichen.

Gerade für Kinder mit Migrationshintergrund und/oder aus sozial benachteiligten Familien ist die Förderung in Kitas besonders wichtig. Auf die Einführung des von der Bundesregierung geplanten Betreuungsgelds, das der SVR-Vorsitzende von Beginn an scharf kritisiert hatte, sollte verzichtet werden. … Integrationspolitisch wäre das „Betreuungsgeld ein Schuß in den Ofen“.

Die integrationspolitischen Herausforderungen im Bildungsbereich können nur durch gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen bewältigt werden. Ein Negativ-Beispiel ist das gut gemeinte �Bildungspaket‘ für Kinder von Hartz IV-Empfängern. Die neu eingeführten Leistungen des Bundes führten zum Teil zur Abschaffung kommunaler Leistungen wie Schulspeisungen. Für die Kinder ist damit nichts gewonnen. …

Integrationsbarometer: Integrationsklima in Deutschland ist stabil

… Das Integrationsbarometer 2012 zeigt: Das 2009 erstmals analysierte, verhalten positive Integrationsklima hat sich im Alltag der Einwanderungsgesellschaft mehrheitlich verfestigt. Gestützt wird dies durch zwei weitere Ergebnisse: Mehr als drei Viertel aller Befragten sind der Ansicht, dass Integration an ihrem Wohnort besser funktioniert als sonst in Deutschland. Zudem ist das eigene Verantwortungsgefühl für das Gelingen von Integration bei der Mehrheitsbevölkerung um 17,3 Prozent auf 84,2 Prozent gestiegen. Eine Spaltung der Einwanderungsgesellschaft hat – entgegen vieler Befürchtungen – nicht stattgefunden.

Ein Teil der Befragten hatte bereits 2009 am Integrationsbarometer teilgenommen. Die Panelstichprobe ermöglicht deshalb eine Analyse der individuellen Veränderungen im Zeitverlauf. Bei der Frage, ob Zuwanderer an Integration interessiert sind, zeigen sich die gleichen Befragten 2011 deutlich meinungsstärker als 2009. Das Lager der „Unentschiedenen“ nahm bei Befragten mit und ohne Migrationshintergrund von rund 24 Prozent auf rund 13 Prozent ab. Der Anteil der „Integrationsoptimisten“ und der „Integrationspessimisten“ wuchs analog dazu an: in der Mehrheitsbevölkerung stieg der Anteil der „Integrationsoptimisten“ von 43,9 auf 49,7 Prozent, bei Personen mit Migrationshintergrund stieg er von 53,3 auf 58,9 Prozent. Der Anteil der „Integrationspessimisten“ stieg von 32,0 auf 37,1 Prozent (Mehrheitsbevölkerung) bzw. von 22,5 auf 28,4 Prozent (Personen mit Migrationshintergrund). …

Das Integrationsbarometer 2012 erlaubt erstmals auch einen Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland. Dabei zeigt sich überraschenderweise, dass das Integrationsklima von den Befragten in den beiden ostdeutschen Regionen nur leicht negativer wahrgenommen wird als in Westdeutschland. …

Die Wirkung der Integrationspolitik wird eher positiv eingeschätzt: 47,6 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund in Westdeutschland finden, dass die Integrationspolitik der letzten fünf Jahre die Integration gefördert hat. Nur 17,6 Prozent erkennen Verschlechterungen. In der Mehrheitsbevölkerung im Westen sieht sogar über die Hälfte der Befragten (53,4 %) einen positiven Beitrag der Integrationspolitik. Einen negativen Einfluss schreibt ihr nur etwa jeder Zehnte (10,4 %) zu. Und die Erwartungen für die Zukunft sind positiver als bei der Befragung 2009: Mehr als die Hälfte der Befragten mit und ohne Migrationshintergrund im Westen (54,5 % bzw. 56,9 %) erwarten von der Politik Verbesserungen bei der Integration. Verschlechterungen befürchtet nur eine kleine Minderheit (15,9 % bzw. 12,1 %).

Für eine vernetzte Zusammenarbeit


Aus Sicht des SVR sollten Bund, Länder und Kommunen von einem unzureichend koordinierten Nebeneinander zu einem produktiven Miteinander und einer systematischen vertikalen und horizontalen Vernetzung finden. Das Integrationsbarometer zeigt, dass die Bevölkerung eine aktive Integrationspolitik mit klaren und verständlichen Zielen nicht nur befürwortet, sondern auch fordert. Die Politik sollte diese günstige Ausgangslage für weitere, kraftvolle Reformschritte im Bereich Integration und Migration nutzen. …“

Das Gutachten in vollem Textumfang steht Ihnen im Anhang oder aufgefürhten Links zur Verfügung.

www.svr-migration.de
http://www.svr-migration.de/content/wp-content/uploads/2012/05/SVR_JG_2012_WEB.pdf
http://www.svr-migration.de/content/?page_id=3995

Quelle: Sachverständigenreferat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR)

Dokumente: SVR_JG_2012_WEB.pdf

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