Kurswechsel in der Bildungspolitik gefordert: Das sogenannte Übergangssystem abschaffen

Im Rahmen des 22. ordentlichen Gewerkschaftstages 2011 verabschiedete die IG Metall einen Beschluss zur Bildungspolitik „Kurswechsel in der Bildungspolitik“.

In keinem anderen Industrieland wird Bildungsbeteiligung so stark vererbt wie in Deutschland. Die fehlenden Reformen im schulischen Bereich, ein überbordendes und perspektivloses Übergangssystem, der Ausbau von Eliteuniversitäten und unzureichende Möglichkeiten der Weiterbildung verschärfen dies. Das Bildungssystem ist in Gänze sozial selektiv, ungerecht und wenig leistungsfähig, um alle vorhandenen Talente der Gesellschaft zur Entfaltung zu bringen. Eingeklagt wird individuelle Bildungsverantwortung. Gesellschaftliche, öffentliche Bildungsverantwortung und die Ursachen für die unterschiedliche Bildungsbeteiligung treten dabei zunehmend in den Hintergrund.

Die IG Metall hält diese bildungspolitische Weichenstellung und deren Ergebnisse für fatal und setzt sich deshalb mit Nachdruck für einen Kurswechsel in der Bildungspolitik ein.

Ziel der IG Metall ist es, die betrieblichen Gestaltungsmöglichkeiten von Ausbildung und Weiterbildung, die lernförderliche Gestaltung von Arbeitsplätzen mit den betriebs- und tarifpolitischen Handlungsfeldern zu verknüpfen. Das Thema Innovation, Arbeitsgestaltung und Qualifikation ist hervorragend geeignet, uns als Gestaltungskraft in den Betrieben und in der Gesellschaft erkennbar zu machen. Diese Themen gilt es als Profilbestandteil der IG Metall aufzubauen.

Bildungswege müssen transparent und durchlässig sein und auf unterschiedlichen Wegen zu gleichwertigen Positionen in der Arbeitswelt führen. Die Bildungs- und Arbeitspolitik der IG Metall will sich zunehmend der Aufgabe widmen, betrieblich-duale und hochschulische Bildungsprozesse stärker aufeinander zu beziehen. Wir brauchen ein gemeinsames „Leitbild“ für akademische und berufliche Bildung.

Den Europäisierungsprozess sieht die IG-Metall als Chance zur Durchsetzung gewerkschaftlicher Reformziele wie Durchlässigkeit, Gleichwertigkeit, Abbau von Bildungsbarrieren und Weiterbildungsansprüchen von ArbeitnehmerInnen.

Schule und Arbeitswelt
Wie gut die Grundlegung der Bildung in der Schule erfolgt, ist entscheidend für die Lebens- und Erwerbsbiografie. Bund und Länder müssen Schule gemeinsam denken und gestalten – rechtliche Hindernisse auf diesem Weg gilt es abzuschaffen. Die IG Metall setzt sich für „Eine gute Schule für Alle“ ein, die jeden Schüler zu einem Schulabschluss führt.
Das bedeutet vor allem:
• eine bessere frühkindliche Erziehung;
• längeres gemeinsames Lernen;
• individuelle Förderung statt Auslese;
• den Ausbau von Ganztagskonzepte sowie
• stärkere Berücksichtigung arbeitsweltlicher Themen.

Die IG Metall plant ihre Aktivitäten in der gewerkschaftlichen „Initiative Schule und Arbeitswelt“ fortzusetzen; sie wird sich in die Lehrerfortbildung einbringen und den Schulen geeignete Materialien zur Verfügung stellen.

Berufliche Ausbildung im Betrieb
Von einer entspannten Lage auf dem Ausbildungsmarkt kann nicht gesprochen werden. Nach einem Minus von 50000 Ausbildungsverträgen im Jahr 2009, gab es auch im Wirtschaftsaufschwung in 2010 einen Rückgang von 4000 Verträgen. Das Ausbildungsplatzangebot mit insgesamt 580000 Plätzen ist auf den drittniedrigsten Stand der vergangenen zehn Jahre gefallen. Die Summe aller ausbildungsinteressierten und für ausbildungsreif befundenen Jugendlichen, die institutionell erfasst sind, betrug 2010 844500. Der Anteil unter ihnen, der in eine duale Berufsausbildung einmündete, lag 2010 bei 66,3 %. Jeder dritte Jugendliche, der 2010 an einer Ausbildung interessiert war, hat also keinen Ausbildungsvertrag bekommen.

Die Hoffnung, dass der in 2010 einsetzende starke Wirtschaftsaufschwung, zusammen mit der heftig geführten Fachkräfte-Debatte, zu einem nachhaltigen Anstieg bei den Ausbildungsverträgen führen würde, hat sich nicht erfüllt. Die Antworten der IG Metall auf Fehlentwicklungen im dualen Systemberuflicher Bildung, wozu insbesondere der Ausschluss einer großen Gruppe von Jugendlichen vom Zugang zu qualifizierter betrieblicher Ausbildung gehört, sind konkrete Reformprojekte: ## Das sog. Übergangssystem, in dem 320000 junge Menschen völlig unzureichend qualifiziert werden, gilt es abzuschaffen. Wer in betriebliche, schulische oder Übergangsmaßnahmen bei Bildungsträgern
startet, muss in jedem Fall die Garantie erhalten, einen anerkannten Berufsabschluss erwerben zu können;
## Die Schwächen des dualen Systems (einzelbetriebliche Beschränkung, Selektion) müssen über wunden werden. Dies gilt insbesondere für seine Steuerungs- und Finanzierungsformen. Die Umlagefinanzierung
ist dafür das Konzept der IGMetall. Das setzt den Ausbau öffentlicher Verantwortung voraus;
## Modularisierung von ganzheitlichen Bildungswegen ist die falsche Antwort auf Zugangsbarrieren zur dualen Berufsausbildung für benachteiligte Jugendliche: Nicht fehlende Modularisierung von Zwischenschritten sind das Problem, sondern fehlende Anschlüsse in Ausbildung. Auch neue Formen der Stufenausbildung (zweijährige Kurzausbildungsgänge) gefährden die Entwicklung umfassender beruflicher Handlungsfähigkeit und behindern Innovationen von Arbeit und Wirtschaft. Unsere Alternativen sind horizontale Differenzierungen von Berufen und eine stärkere Zusammenarbeit von Arbeits- und Bildungspolitik zur Überwindung inhumaner Arbeitstätigkeiten.
Aufgrund der Stärken des betrieblich-beruflichen Bildungstyps hält die IG-Metall den Lernort Betrieb für unverzichtbar. Eine bloße Vermehrung von Theorieanteilen, eine stärkere Akademisierung der beruflichen Bildung sind nicht der Königsweg zum Umgang mit Anforderungen der „Wissensgesellschaft“, mit Standortkonkurrenz und Innovationswettbewerb. Viel entscheidender sind nach Meinung der Gewerkschaft die jeweils passende Mischung, eine gute Kooperation innerhalb der Belegschaften zwischen Fachkräften unterschiedlicher Qualifikations- und Arbeitstypen.“

Quelle: IG Metall

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