Ist das Deusche Bildungssystem in den letzten Jahren gerechter geworden?

Das Wichtigst aus der Studie „Bildungsgerechtigkeit in Deutschland“ von Christina Anger, Christiane Konegen-Grenier, Sebastian Lotz und Axel Plünnecke:
“ … Bildungspolitische Maßnahmen sollten die Wachstumschancen erhöhen, zu mehr Wohlstand führen und zu einer größeren Gerechtigkeit beitragen. Gerechtigkeitsaspekte können dabei sowohl im Sinne von Chancen als auch von Verteilung der Ergebnisse analysiert werden. Eine Maßnahme ist als effizient und gerecht einzuschätzen, wenn Kinder aus bildungsfernen Schichten einen verbesserten Zugang zur Bildung erhalten, ohne dass die Bildungschancen der anderen Kinder sinken (Do-no-harm-Prinzip). Durch ein Anheben der Bildungschancen von Kindern aus bildungsfernen Schichten steigt das gesellschaftliche Bildungsniveau, ohne dass es zur Verletzung anderer Gerechtigkeitsprinzipien kommen muss. Eine Kongruenz aus normativen Prinzipien und aus empirischer Akzeptanzforschung scheint also möglich.

… Gelingt es, die Bildungsarmut zu verringern, ohne im mittleren oder oberen Bereich der Bildungsverteilung Einbußen zu erzeugen, so können mehr Wachstum und mehr Verteilungseffizienz erreicht werden.
Die Vermeidung von Bildungsarmut führt bei der Einkommensverteilung innerhalb Deutschlands zu positiven Ergebnissen. Ein mittlerer Bildungsabschluss in Deutschland ist mit mittleren Einkommensperspektiven verbunden. Dabei wird empirisch deutlich, dass für Mittelqualifizierte der Zugang zur Mittelschicht von 1993 bis 2000 deutlich breiter geworden und danach nur leicht gesunken ist. Gehörten unter den Mittelqualifizierten im Jahr 1993 noch 62 Prozent zur Einkommensmittelschicht, so ist dieser Anteil bis zum Jahr 2009 auf fast 67 Prozent gestiegen. Personen mit einer mittleren Qualifikation konnten damit den Status „Mittelschicht“ festigen.

Vermehrt zur Gruppe der Haushalte mit geringeren Einkommen gehören Migranten und Alleinerziehende. Migranten haben dann niedrigere Bildungsrenditen, wenn sie ihre Bildungsabschlüsse im Ausland erworben haben. Die Einkommensperspektiven von Alleinerziehenden leiden darunter, dass diese Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Verantwortlich dafür sind fehlende Betreuungsangebote. Da sich die Anteile Alleinerziehenden und Migranten in den letzten Jahren erhöht haben, ist es zur Festigung der Mittelschicht wichtig, für diese Personen den Arbeitsmarktzugang zu verbessern. …

Fortschritte beim Zugang zu mittleren Qualifikationen

Die Ausgestaltung der frühkindlichen und schulischen Bildung in Deutschland wirkt sich unterschiedlich auf den Zugang zu Bildung aus. Die frühkindliche Bildung hat besonders bei Kindern aus bildungsfernen Schichten stark positive Wikrungen auf die Entwicklung. Damit hat die frühkindliche Bildung das Potenzial, Schwächere zu fördern, den Abstand zu Stärkeren zu verringern und gleichzeitig auch die Stärkeren voranzubringen. Der Bildungsgerechtigkeit kann damit auf effiziente Weise gedient werden. Leider sinkt jedoch die Beteiligung an frühkindlicher Bildung mit dem sozioökonomischen Status. Seit dem PISA-Schock erhöht sich aber die Teilnahme von Migranten und Kindern aus bildungsfernen Schichten. Damit kann die frühkindliche Bildung besser als noch vor wenigen Jahren zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen.

Im Bereich der Schulen haben die Schulstruktur und die Schulträgerschaft auf die Bildungsgerechtigkeit nur geringe Effekte, die wiederum von der konkreten Ausgestaltung abhängen. In Ländern mit späterer Aufteilung der Schüler auf weiterführende Schulformen als in Deutschland schneiden die Kinder am unteren Ende der Kompetenzverteilung besser ab, ohne dass damit am oberen Ende Kompetenzverluste verbunden sind. …

Die berufliche Bildung hat in den letzten Jahren ihre kompensatorische Funktion ausbauen können. Dadurch hat das berufliche Bildungssystem dazu beigetragen, dass mehr junge Menschen eine Studienberechtigung erreichen. …

Aktuelle politische Maßnahmen für mehr Bildungsgerechtigkeit
Die Politik hat in den letzten Jahren eine Reihe an Maßnahmen umgesetzt, die zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen können. Die Betreuungsinfrastruktur für Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren ist in Deutschland sehr gut ausgebaut. In den vergangen Jahren wurden erhebliche Fortschritte beim Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für unter dreijährige Kinder erzielt. Hierdurch ist der Arbeitsmarktzugang für Alleinerziehende verbessert worden. Ferner können dadurch Kinder aus bildungsfernen Haushalten besser gefördert werden. Von mehr Angeboten zur Sprachförderung profitieren vor allem Migrantenkinder. An den öffentlichen Schulen sind Maßnahmen wie die Einführung von Standards und Vergleichsarbeiten sowie erste Ansätze zu mehr Autonomie umgesetzt worden, die einen Ideenwettbewerb um bessere Qualität entfachen können. Insgesamt sollte es durch die Maßnahmen gelingen, Fortschritte beim Zugang zu mittleren und höheren Qualifikationen zu erreichen.

Um die im Ausland erworbenen Qualifikationen besser nutzen zu können, hat die Bundesregierung ein „Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen“ auf den Weg gebracht. Dieses Gesetz soll allen Zuwanderern mit ausländischen Abschlüssen unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status und ihrer Staatsangehörigkeit ein Anerkennungsverfahren ermöglichen. Zudem sollen bei festgestellten wesentlichen Unterschieden zwischen dem deutschen Referenzberuf und einer ausländischen Qualifikation Weiterbildungsangebote zur Verfügung gestellt werden. Insgesamt verbessern sich damit die Einkommensperspektiven für Migranten. Etwa 2,9 Millionen Migranten in Deutschland haben ihre beruflichen Abschlüsse im Ausland erworben. Unter den zugewanderten ALG-II-Beziehern wurde nur einem Drittel ihr im Ausland erworbener Abschluss anerkannt. Formale Anerkennung spielen bei der Erteilung der Arbeitserlaubnis eine Rolle. Transparente Anerkennungsverfahren sind daher wichtig, um die Einkommensperspektiven von Migranten zu verbessern. … „

Die Studie versucht zu belegen, dass Deutschland bei dem Thema Bildungsgerechtigkeit aufgeholt hat. Auch wenn der wirtschaftliche Aspekt und Fragen des Einkommens sowie der finanziellen Absicherung im Vordergrund stehen, machen die identifizierten politischen Fortschritte Mut. Jetzt kommt es darauf an, dass weder Politik noch die übrigen gesellschaftlichen Akteure in ihren Anstrengungen nachlasssen. Denn immer noch zuviele benachteiligte junge Menschen partizipieren nicht an Bildung bzw. ihnen sind die Zugänge versperrt.

Die Studie Bildungsgerechtigkeit in Deutschland – Gerechtigskeitskonzepte, empirische Fakten und politische Handlungsempfehlungen. IW-Analysen 70 – Forschungsberichte aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Christina Anger/Christiane Konegen-Grenier/Sebastian Lotz/Axel Plünnecke
2011, 104 Seiten, DIN A5, Softcover
ISBN 978-3-602-14878-3 (Druckausgabe)
ISBN 978-3-602-45493-8 (E-Book/PDF)

ist zu einem Preis von 19,90 Euro versandkostenfrei zu bestellen über den den Online-Shop www.iwmedien.de

Quelle: IW

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