Qualitätsentwicklung in der Kooperation

Um dauerhaft Benachteiligungen im Bildungssystem entgegen zu wirken und den Übergang ins Erwachsenen- bzw. Erwerbsleben erfolgreich zu gestalten, gilt es, Verantwortlichkeiten partnerschaftlich zu koordinieren. Jugendsozialarbeit braucht für eine erfolgreiche Arbeit an Schule verbindliche Grundlagen und Standards, die eine hohe Qualität garantieren. Denn nur durch eine aufeinander abgestimmte langfristige Finanzierung und rechtliche Verankerung von Angeboten von Jugendsozialarbeit an Schule und eine gemeinsam koordinierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung,
die einen kontinuierlichen Qualitätsentwicklungsprozess beinhaltet, können Angebote verstetigt und nachhaltig implementiert werden.

Die Expertise „Jugendsozialarbeit an Schule erfolgreich gestalten – Qualitätsentwicklung in der Kooperation von Jugendsozialarbeit und Schule“ verfolgt die Fragestellung, welche Rahmenbedingungen bzw. Qualitätsstandards und –verfahren in der Kooperation von Jugendsozialarbeit und Schule aktuell erforderlich sind, um eine Kooperation der beiden Akteure partnerschaftlich und erfolgreich zu gestalten.

Auszüge aus der Expertise des Instituts für Sozialpädagogik und Sozialarbeit (ISS) im Auftrag des DRK:
“ Durch die technische und ökonomische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte haben gesellschaftliche Veränderungsprozesse eine bisher ungekannte Beschleunigung erfahren. Dieser Wandel wirkt sich auf alle Bevölkerungsgruppen und Lebensbereiche aus. Für Kinder und Jugendliche bedeutet diese beschleunigte Entwicklung u.a., dass Freiräume und Erprobungsfelder für das eigene Leben schrumpfen, während die Anforderungen an die Lebensbewältigung steigen.

Nach wie vor ist Familie die zentrale Ressource für eine erfolgreiche Entwicklung und Bewältigung der Lebensaufgaben von Kindern und Jugendlichen. Ihre Aufgabe ist es, den wachsenden Druck aufzufangen, der auf Kindern und Jugendlichen lastet. Doch auch der Druck, der auf Eltern und Familien liegt, wächst. Überforderte Kinder und Jugendliche stehen immer häufiger überforderten Erwachsenen gegenüber, die die komplexen Anforderungen der Gesellschaft immer seltener bewältigen können. …

Um den Druck aufzufangen, der auf Kindern, Jugendlichen und ihren Familien lastet, soll Schule in zunehmendem Maße neben dem Bildungs- auch einen Erziehungsauftrag wahrnehmen. Dies gilt besonders für Kinder und Jugendliche mit prekärem sozialem und familialem Hintergrund. Damit Schule aber diese Zielgruppe mit ihren multiplen Problemlagen, die weit über das schulische hinausreichen, adäquat unterstützen und Chancen für den weiteren Lebensverlauf öffnen kann, ist eine enge Kooperation verschiedener Akteure aus dem Lebensumfeld dieser Jugendlichen, besonders aber zwischen Jugendsozialarbeit und Schule notwendig.

Die Systeme Schule und Jugendsozialarbeit weisen allerdings sehr unterschiedliche Voraussetzungen auf, die ihren Niederschlag auch in der Arbeit mit Jugendlichen finden. Die klassischen Aufgaben von Schule bestehen nach Fend (1980) in: ## Qualifikation, der Vorbereitung auf spätere Lebensanforderungen durch die Inhalte formelle Bildung
## Selektion, der Allokation („Verteilung“) von beruflichen und Lebenschancen durch Prozesse der Leistungsbewertung
und Auslese
## Legitimation, der Integration von Grundwerten zur Stabilisierung der Gesellschaft Diese Aufgaben ordnen sich in den allgemeinen Erziehungsauftrag an Schule ein, der die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu mündigen und verantwortungsvollen Persönlichkeiten zum Ziel hat.
Eine grundsätzliche Aufgabe von sozialer Arbeit, ist demgegenüber die gesellschaftliche Integration, wenn die traditionellen und individuellen Bearbeitungssysteme, z.B. innerhalb der Familie, nicht mehr ausreichen. Für die Jugendhilfe gemäß SGB VIII ergeben sich daraus als Aufgaben: ## die allgemeine Förderung aller Kinder und Jugendlichen
## direkt helfende Aufgaben, die sich an besonderen Problemlagen bzw. Zielgruppen ausrichten und
## politische Aufgaben (Planungsverpflichtung, Einmischung)
Jugensozialarbeit gemäß §13 SGB VIII richtet sich dabei explizit an junge Menschen mit sozialen oder individuellen Benachteiligungen sowie an deren Familien.
Aus dem Widerspruch zwischen vorrangiger Diffferenzierungsfunktion von Schule und primärer Integrationsfunktion
von Jugendsozialarbeit, den daraus resultierenden unterschiedlichen Handlungslogiken und dem Blick auf die Jugendlichen ergibt sich ein grundlegendes Spannungsverhältnis für die Kooperation der beiden Systeme. …

Um eine gemeinsame Basis für die zahlreichen Anforderungen in der Kooperation von Jugendsozialarbeit und Schule bei der Förderung von Kindern und Jugendlichen zu schaffen, ist daher eine systematische Qualitätsentwicklung grundlegend. Bisher ist eine erfolgreiche Kooperation jedoch noch allzu häufig von der personalen Zusammensetzung der Kooperationspartner und dem Engagement von Einzelpersonen abhängig. Bestehende Arbeitshilfen und Kriterien zur Förderungen der Kooperation von Schule und Jugendsozialarbeit, ebenso wie Instrumente zur Qualitätsentwicklung in diesem Bereich bleiben häufig unbekannt bzw. ungenutzt. …

Die Kooperation von Jugendsozialarbeit und Schule endet nicht an den Grenzen dieser beiden Systeme, sondern erfordert für ihre Qualitätssicherung als entscheidenden Gelingensfaktor einen hohen Grad an Finanzierungs- und Planungssicherheit, um die Kontinuität von Kooperationen zu gewährleisten. Erst wenn dieser Rahmen aus rechtlichen Grundlagen, einer nachhaltigen Finanzplanung, der Verlässlichkeit politischer Zielsetzungen und vor allem der personellen Kontinuität gesichert ist, wird eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Kooperation möglich. Diese Voraussetzungen lassen sich als grundlegende Strukturqualität, welche die Fundamente der Kooperation sichert, beschreiben.

Das Vorhandensein stabiler Rahmenbedingungen wie die räumliche Nähe von Schule und Jugendsozialarbeit, eine gute Infrastruktur mit Räumen (einschließlich technischer Ausstattung) und Zeiten für den Austausch, die Schuljahresstruktur als zeitlicher Rahmen und das Vorhandensein von zeitlichen Ressourcen und Spielräumen trägt weiterhin zur gestaltenden Strukturqualität bei.

Die Kompetenz der beteiligten Fachkräfte auf Leitungs- und Umsetzungebene ist ein zentraler Punkt der personenbezogenen Strukturqualität – ein Punkt, der gerade in Kooperationsbeziehungen und Netzwerken von zentraler Bedeutung ist und doch immer wieder, besonders von Außenstehenden, unterschätzt wird. Hierbei steht die Kompetenz der Leitung, die Qualifikation und Erfahrung der Fachkräfte, die Wahrnehmung von Steuerungsaufgaben und der Aufbau von Kenntnissen über die andere Profession ebenso im Mittelpunkt wie die Prozesse, die zu diesen Rahmenbedingungen führen, z.B. durch gezielte Personalentwicklung und Fortbildungen. …

Zusammenfassung der Ergebnisse
Eine gelingende Qualitätsentwicklungen in der Kooperation von Jugendsozialarbeit und Schule zeichnet sich durch bestimmte Merkmale aus, die durch förderliche Rahmenbedingungen mit bestimmt werden und zugleich die Grundlage für die Ausformulierung von Qualitätsstandards bilden. Zentrale Aspekte sind dahingehend: ## Sicherheit in Hinblick auf die rechtliche Lage, die Finanzierungsstruktur, Planungssicherheit durch Kontinuität
und Personale Kontinuität für Vertrauensbildung und Stabilität.
## Fachlichkeit, in der fachliche Kompetenz von Leitung und Fachkräften vorhanden ist, durch Qualifizierung und Aneignung von Kenntnissen über das andere Arbeitsfeld kontinuierlich ausgebaut wird und in der Steuerung als Leitungsaufgabe wahrgenommen wird.
## Klarheit von Rollen, Zuständigkeiten, Bedarfen, Verfahren durch eigenes Bewusstmaßen und deutliche Kommunikation von Zielen, sowie Handlungssicherheit durch Verbindlichkeit der Absprachen.
## Offenheit der Systeme durch übergreifende Vernetzung, regelmäßige Teilnahme an Treffen und Gremien und flexible Steuerung.
## Wertorientierung an den Lebenswelten von Jugendlichen, einer Kultur der Vernetzung, Interprofessionalität als fachlichem Selbstverständnis und dem Herstellen eines Minimalkonseses gemeisamer Werte und Ziele.
## Partnerschaftlichkeit als Grundhaltung, die sich in der frewiligen Partizipation und in den Mitbestimmungsmöglichkeiten aller Ebenen an Planung und Konzeption widerspiegelt.
## Stabile Rahmenbedingungen als Vorhandensein besonders zeitlicher und räumlicher Ressourcen durch gute Infrastruktur und angemessenen Personaleinsatz.
## Kompetenz und Qualifizierung der Fachkräfte als grundsätzlicher Qualitätsstandard.
## Einrichtung von beratenden Gremien und Arbeitsgruppen als Stützen der Qualitätsentwicklung.
## Evaluation als Grundlage einer beständigen Selbstreflexion und Rejustierung der Konzeption, Zieldefinition und Vereinbarungen.
## Information und Tranparenz innerhalb der Kreise der Beteiligten und nach außen.
Die Abstimmung, Herstellung und Sicherung dieser Rahmenbedingungen und Qualitätsmerkmale ist die zentrale Aufgabe der Qualitätsentwicklung. Ein mögliches Verfahren einer Qualitätsentwicklung besteht zusammenfassend in folgenden Schritten: ## Vorgespräche durch die Leitungsebene
## Interne Klärung von Rahmenbedingungen, Zielen, Bedarfen und Rollen
## Gemeinsame Zieldefinition und Konzeptentwicklung
## Schriftliche Fixierung der Absprachen in Kooperationsabkommen
## Einrichten von Gremien und Instrumenten der Qualitätssicherung
## Regelmäßiger Informationsfluss
## Regelmäßige Information nach innen und außen
## Regelmäßige (Selbst-)Evaluation
## Berichtlegung
## Reflexion und Definition von Handlungserfordernissen …
Politische Handlungsempfehlungen
Der überregionale Aufbau von Vernetzungsstrukturen hat mit der Einrichtung von Landeskooperationsstellen und den Serviceagenturen des Programms “Ganztägig Lernen” erhebliche Fortschritte gemacht. Dennoch mangelt es an vielen Standorten in weiteren Projekten aufgrund lückenhafter Finanz- und Planungssicherheit häufig an der Kontinuität, die besonders in Kooperationen entscheidend für einen stabilen Aufbau von Strukturen ist. Die Überführung von Projekt- in Regelstrukturen sollte daher ein Ziel sein, das langfristig anzustreben ist. Eine solch langfristige Planung ist jedoch ohne die Beteiligung der Länder nicht möglich. Allerdings bestehen nach wie vor Unsicherheiten in der gesetzlichen Rahmung. Die Rechtsgrundlage für die Kooperation, besonders hinsichtlich der Zuständigkeiten, ist weiterhin umstritten. So sind sowohl die inhaltlich-konzeptionelle Grundlage der Kooperation in §13 SGB VIII, als auch die Einschränkung auf Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf umstritten (vgl. Speck 2006: 349). Um eine gelingende Qualitätsentwicklung in der Kooperation sicherzustellen sind daher verschiedene Anforderungen an Politik zu empfehlen: ## Ausformulierung der gesetzlichen Grundlage für die Kooperation zwischen Jugendsozialarbeit und Schule in der Bundesgesetzgebung
## Zusammenarbeit von Ländern und Kommunen an Zieldefinition, Konzeption und Evaluation von Kooperationen zwischen Jugendsozialarbeit und Schule
## Sicherung der finanziellen Ressourcen durch Landesförderung und innovative Finanzierungsmodelle sowie
## Engagement in der politischen Willensbildung, um einen Konsens zu bilden, auf dessen Grundlage die o.g. Forderungen umgesetzt werden können.
Weiterführende Fragestellungen
Im Verlauf der Expertise ist deutlich geworden, dass bereits eine umfassende Debatte und ein breites Instrumentarium der Qualitätsentwicklung für die Kooperation zwischen Jugendsozialarbeit und Schule vorliegen. Dennoch wurden einige Punkte deutlich, die noch der Ausarbeitung harren. ## 1) StärkereVernetzung der Qualitätsentwicklung: Sowohl in der Schule, als auch in der Jugendhilfe ist die Qualitätsdebatte weit fortgeschritten. An vielen Standorten haben beide Systeme bereits umfassende Ziele formuliert und Qualitätsstandards sowie -verfahren definiert. Ein wirksamens Instrument ist hier das Verfassen von Handbüchern zum Qualitätsmanagement als Orientierungsrahmen für die Fach- und Leitungsebene, das systemintern bereits an einigen Standorten angewandt wird. Als weiterer Schritt wäre zudem eine systemübergreifende Vernetzung und Standardisierung der Qualitätsentwicklung vor Ort, ggfs. durch das Verfassen von Handbüchern zum Qualitätsmanagement in der Kooperation, anzudenken.
## 2) Weiterentwicklung derWirkungsanalyse: Die Evaluation von Wirkungen der Kooperation steht vor zahlreichen Herausforderungen. Wie Speck (2006: 375f.) beschreibt, kann sich eine umfassende Wirkungsanalyse der Qualität von Kooperation nicht allein auf die Auswirkungen auf die SchülerInnen beschränken. Der Kooperationsprozess beschränkt seine Wirkung in Arbeitsformen, Verfahren, Netzwerken und Einstellungswandel nicht auf eine Gruppe, sondern strahl auf alle Beteiligten aus. Die unterschiedlichen Arten und Bereiche von Wirkungen in der Ergebnisqualität nicht allein auf die subjektive Wahrnehmung (z.B. Zufriedenheit) der Beteiligten zu beschränken, sondern ein Instrumentarium zu entwickeln, das zudem
verallgemeinerbare Faktoren der Ergebnisqualität erfasst, bleibt derzeit eine künftige Herausforderung an die wissenschaftliche und fachübergreifende Begleitforschung.
## 3) Sicherung und Erschließung von Ressourcen: Für eine Sicherung der Finanzierung ist eine Kooperation durch die Landesebene dringend notwendig. Dennoch besteht in Zeiten einer angespannten Finanzlage
eine zentrale Herausforderung an die Akteure von Kooperation weiterhin darin, alternative Förder- und Finanzierungsmodelle zu erschließen. Eine Bestandsanalyse bestehender Ansätze wäre hier ein erster Schritt, um Ressourcen zu sichern und – als langfristiges Ziel – ggfs. die Projekt- in eine Regelstruktur zu überführen. Diese Sicherung von Ressourcen nimmt eine Bedeutung ein, die besonders im personalen Bereich häufig unterschätzt wird. Wenn die Qualitätsentwicklung nicht zu einer Belastung von Kooperationen werden soll, ist hier ein Ausbau des Personaleinsatzes dringend von Nöten. Gerade die Kooperatiosarbeit ist sehr arbeits- und zeit-intensiv: Denn „Netzwerkarbeit ,macht sich nicht so nebenbei`, sondern ist eine eigene Arbeitsstruktur zur Erlangung spezifischer Ziele“ …

http://www.jugendsozialarbeit.de/view.php?nid=183

Quelle: DRK – Generalsekretariat

Dokumente: Expertise_QE_DRK.pdf

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