Zusammenhang zwischen Qualifikationsstruktur und Erwerbsbeteiligung

Der Forschungsbericht behandelt keine detaillierten Fragestellungen, sondern betrachtet die berufliche Qualifikation aus einer übergreifenden Perspektive. Dazu wird eine Bestandsaufnahme der der beruflichen Bildung des Arbeitskräfteangebots in Deutschland erstellt. Für alle Komponenten des Erwerbspersonenpotenzials, das heißt für Erwerbstätige, registrierte Arbeitslose und auch für die Stille Reserve wird die Qualifikationsstruktur ermittelt. Die Strukturen der einzelnen Komponenten werden gegenübergestellt und verglichen.Die Bestandsanalyse soll vielmehr einen Überblick aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive geben und damit eine quantitative Grundlage für die Diskussion von arbeitszeit- und bildungspolitischen Maßnahmen bieten, die zu einer Verbesserung der Qualifikationsstruktur des gesamten Erwerbspersonenpotenzials beitragen können.

Auszüge aus dem Forschungsbericht von Margit Lott ‚Sozialdemografische Muster der Qualifkationsstruktur von Erwerbstätigkeit und Unterbeschäftigung‘:
Ausgangsüberlegungen und Grundlagen
… Dass ein gutes Bildungssystem und eine hochqualifizierte Erwerbsbevölkerung eine wichtige Voraussetzung für Entwicklung und Wohlstand einer Volkswirtschaft sind, wird mittlerweile kaum mehr bestritten. … Gerade in Deutschland ist es allerdings um die Bildung nicht zum Besten bestellt: Wenn die Innovationsfähigkeit im internationalen Vergleich nur mittelmäßig eingestuft wird, so liegt dies hauptsächlich an der ‚Achillesferse Bildung‘. Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat sich in seinem Jahresgutachten 2004/2005 des deutschen Bildungssystems angenommen und stellt diesem „kein gutes Zeugnis“ aus. Der SVR fordert dabei nicht nur eine bessere Ressourcenausstattung für das deutsche Bildungssystem, sondern vor allem eine effizientere Nutzung der eingesetzten Mittel. …

Am Arbeitsmarkt treten diese Entwicklungen besonders deutlich in Erscheinung:Das Erwerbspersonenpotenzial insgesamt wird älter und schrumpft langfristig.Dass sich mit der demographischen Wende quasi von selbst auch das Problem der Unterbeschäftigung mildert, davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Denn der sich zunehmend vollziehende Wandel der Industrie- zur Wissensgesellschaft steigert vor allem die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften, und es drohen Engpässe, die auch die Chancen von Unqualifizierten schmälern.

Die Qualifikation des bestehenden Arbeitskräfteangebots kann in erster Linie durch kontinuierliches lebensbegleitendes Lernen erhalten und verbessert werden. Aber gerade hier herrscht in Deutschland eine paradoxe Situation: Ein Großteil der Bevölkerung und auch der Betriebe erkennt die Bedeutung von Weiterbildung und lebensbegleitendem Lernen durchaus an, die tatsächlichen Bildungsaktivitäten hinken dieser Erkenntnis jedoch hinterher. So war die Teilnahme an der beruflichen Weiterbildung in Deutschland von 1997 bis 2003 rückläufig und stagniert seit dem. Lediglich in Ostdeutschland lässt sich seit 2003 wieder ein leichter Aufwärtstrend beobachten. …

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es nicht beispielsweise sinnvoll wäre, durch kombinierte arbeitszeit- und bildungspolitische Maßnahmen Beschäftigte zeitweise dem Arbeitsmarkt zu entziehen und durch gezielte Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen auf die höheren Qualifikationsansprüche vorzubereiten. …

Die Qualifikationsstruktur des Erwerbspersonenpotenzials
… Die Qualifikationsstruktur der Erwerbstätigen ist ‚besser‘ als die der registrierten Arbeitslosen oder der Stillen Reserve. Dieses Ergebnis ist nicht grundsätzlich neu, aber eine Gegenüberstellung macht
deutlich, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Komponenten des Erwerbspersonenpotenzials erheblich sind und zeigt zugleich die Größenordnungen in Absolutzahlen auf. In 2005 ist der Anteil der Personen ohne beruflichen Abschluss bei den registrierten Arbeitslosen mit 47 Prozent mehr als doppelt so groß wie beiden Erwerbstätigen. … Die Qualifikationsstrukturen verändern sich über die Jahre kaum. Der in 2005 verglichen mit den beiden Vorjahren in Westdeutschland
etwas höhere Anteil von Erwerbstätigen ohne Berufsausbildung entspricht sehr wahrscheinlich keiner realen Veränderung, sondern ist auf … Erhebungs- und Erfassungsumstellungen im Mikrozensus zurückzuführen.

Deutlich stärker springt der relative Anstieg der Personen ohne Berufsabschluss bei den registrierten Arbeitslosen ins Auge. In Westdeutschland ist hier von 2004 zu 2005 immerhin ein Anstieg von sechs Prozentpunkten zu verzeichnen. In Ostdeutschland ist dieser Zuwachs mit drei Prozentpunkten etwas weniger stark ausgeprägt, aber doch deutlich zu erkennen. …

Abgesehen von diesen Abweichungen, die überwiegend den konzeptionellen Veränderungen des Mikrozensus und dem Systemwechsel bei der Arbeitslosenerfassung geschuldet sind, unterscheiden sich die Strukturbilder der einzelnen Jahre kaum. …

Für die Analyse der Qualifikationsstruktur der registrierten Arbeitslosen ist das Jahr 2005 gerade wegen des Inkrafttretens der Hartz-IV-Gesetze von besonderem Interesse. Für die Erwerbstätigen kann man annehmen, dass der „neue“ Mikrozensus 2005, hier vor allem durch die deutlich verringerten Antwortausfälle, eine etwas genauere Abbildung der Qualifikationsstruktur der Erwerbstätigen liefert als die vorherigen Jahrgänge.

Der Anteil der Personen ohne berufliche Ausbildung ist bei den
Erwerbstätigen in Westdeutschland mit gut 20 Prozent nur etwa halb so groß wie bei den registrierten Arbeitslosen und deutlich geringer als bei der Stillen Reserve. Demgegenüber verfügen sehr viel mehr Erwerbstätige über einen Hochschulabschluss als Arbeitslose oder Angehörige der Stillen Reserve. Auch Fachschulabsolventen sind bei den Erwerbstätigen deutlich häufiger repräsentiert als in den beiden anderen Gruppen.

Für Ostdeutschland ergibt sich ein ähnliches Bild. Allerdings ist der Anteil an Personen ohne Berufsausbildung in allen Komponenten niedriger als in Westdeutschland. Lediglich 14 Prozent der Erwerbstätigen verfügen hier über keinen Berufsabschluss. In der ehemaligen DDR gab es nur wenige Personen ohne Berufsausbildung, deshalb ist der Anteil der Personen ohne Qualifikation deutlich geringer als im Westen. Bei den jüngeren Nachwende-Jahrgängen gleichen sich die Anteile zunehmend an. Betriebliche Ausbildungsabschlüsse dominieren im Osten dagegen noch stärker als im Westen. …

Registrierte Arbeitslose
… So ist der Anteil der Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung bei den Arbeitslosen deutlich höher als bei den Erwerbstätigen …, und die Arbeitslosenquote der Personen ohne Berufsausbildung ist überdurchschnittlich hoch. In 2005 stieg der Anteil der Arbeitslosen ohne berufliche Ausbildung gegenüber den Jahren 2003 und 2004 deutlich an. Zwar gab es bereits vorher hohe Anteile an Personen ohne formalen beruflichen Abschluss, aber der erneute Anstieg steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einführung der Hartz-IV-Reformen. …

Die Qualifikationsstruktur der Arbeitslosen im Rechtskreis SGB II
ist schlechter als jene im Rechtskreis SGB III, und der durchschnittliche Anteil der Arbeitslosen ohne beruflichen Abschluss ist im Jahr 2005 gestiegen. Die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen sind gravierend. Gemäß der Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit verfügen 60 Prozent der SGB-II-Arbeitslosen in Westdeutschland über keinen beruflichen Abschluss. … Bei den Arbeitslosen nach SGB III ist der Anteil der Personen ohne
beruflichen Abschluss mit 30 Prozent nur halb so groß wie im Rechtskreis SGB II. In Ostdeutschland ist das Bild ähnlich: Der Anteil der Arbeitslosen ohne beruflichen Abschluss ist zwar mit 25 Prozent insgesamt geringer als in Westdeutschland. Aber bei den Arbeitslosen nach SGB II ist der Anteil der Personen ohne Berufsausbildung mit 33 Prozent fast dreimal so groß wie bei den Arbeitslosen im Rechtskreis SGB III (13 Prozent). In Westdeutschland gehören etwa 70 Prozent der Arbeitslosen ohne beruflichen Abschluss zum Rechtskreis SGB II, in Ostdeutschland sind es sogar 80 Prozent. …

Die unterschiedlichen Qualifikationsstrukturen von Arbeitslosen nach SGB II und SGB III bestehen in allen Altersgruppen. Besonders ausgeprägt ist der Unterschied bei den westdeutschen Frauen in der Einstiegsphase der Erwerbstätigkeit. Lediglich ein Viertel der unter 35-Jährigen weiblichen SGB-III-Arbeitslosen hat keinen beruflichen Abschluss. Im Rechtskreis SGB II sind es dagegen zwei Drittel. … Gerade bei den unter 35-Jährigen im SGB-II-Bereich scheint die Arbeitslosigkeit in erster Linie ein Problem fehlender beruflicher Qualifikation zu sein. In Westdeutschland haben hier zwei Drittel der Arbeitslosen in dieser Alterklasse keine Berufsausbildung. Auch in Ostdeutschland ist der Anteil mit 43 Prozent vergleichsweise hoch.

Im Rechtskreis SGB III ist der Anteil der Arbeitslosen ohne berufliche Qualifikation in dieser Altersklasse dagegen in West und Ost genauso groß wie bei den Erwerbstätigen. Allerdings spielt auch bei der Arbeitslosigkeit im Rechtskreis SGB III der Berufsabschluss eine zentrale Rolle. Der Anteil der Personen mit betrieblicher Ausbildung liegt hier bei den Arbeitslosen deutlich über dem der Erwerbstätigen . Dies gilt für beide Regionen gleichermaßen. In Ostdeutschland sind die Unterschiede noch etwas stärker ausgeprägt als in Westdeutschland. …

Fazit
Die Gliederung der Arbeitsmarktbilanz nach der beruflichen Qualifikation führt in aller Deutlichkeit vor Auge, wie wichtig der Berufsabschluss für eine aktive Teilnahme am Erwerbsleben ist. Die Erwerbstätigen sind die Komponente des Erwerbspersonenpotenzials, die mit Abstand den geringsten Anteil an Personen ohne beruflichen Abschluss aufweist. Dieser Anteil ist bei den registrierten Arbeitslosen und bei der Stillen Reserve sehr viel höher. Im Gegenzug dazu finden sich in diesen beiden Komponenten deutlich geringere Anteile an Hochqualifizierten. Personen mit Fachschul- oder Hochschulabschluss sind weit überwiegend erwerbstätig und nur zu
geringen Anteilen arbeitslos oder in der Stillen Reserve. Dieser Befund gilt gleichermaßen für West- und Ostdeutschland und ändert sich
auch dann nicht, wenn man die Betrachtungen nach verschiedenen Strukturmerkmalen differenziert. Die schlechtere Arbeitsmarktlage in Ostdeutschland spiegelt sich allerdings auch in der Qualifikationsstruktur wider. Die Anteile von Personen mit Berufsabschluss sind in Ostdeutschland in allen Komponenten des Erwerbspersonenpotenzials höher als im Westen. Dennoch ist die Arbeitslosigkeit höher. Auch Personen mit Hochschulabschluss tragen hier ein höheres Risiko arbeitslos zu werden als im Westen. …

Erwerbstätige dominieren mit 86 Prozent das Erwerbspersonenpotenzial. Elf Prozent sind arbeitslos und die verbleibenden drei Prozent gehören zur Stillen Reserve. Und auch wenn die Bedeutung der Teilzeitarbeit kontinuierlich zunimmt, so ist doch die Vollzeitberufstätigkeit nach wie vor die vorherrschende Beschäftigungsform. Immerhin etwa 3,5 Mio. Vollzeitbeschäftigte verfügen jedoch nicht über eine berufliche Ausbildung. Für diese Gruppe kann es durchaus sinnvoll sein, eine
vorübergehende Reduktion oder Unterbrechung der Erwerbsarbeit für eine berufliche Qualifikation zu nutzen. …

Dass gerade Geringqualifizierte die Anforderungen des Arbeitsmarktes immer weniger erfüllen, zeigt sich an den hohen Arbeitslosenquoten von Personen ohne Berufsabschluss. Das Arbeitslosigkeitsrisiko von Geringqualifizierten liegt weit über dem der Hochschulabsolventen. Dabei haben sich die qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquoten in den letzten Jahren immer weiter auseinander entwickelt. Der vergangene konjunkturelle Aufschwung hat auch das Stellenangebot für an- und ungelernte Kräfte erhöht. Allerdings zeigt ein Blick in die Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Hochschulabschluss deutlich zunimmt und auch in konjunkturell schwachen Zeiten nur wenig abnimmt. Dagegen sind immer weniger Personen ohne Berufsabschluss sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Zudem ist geringqualifizierte Beschäftigung stärker abhängig von saisonalen und konjunkturellen Schwankungen als qualifizierte Beschäftigung. …

Mittel- bis längerfristig ist zu erwarten, dass sich der seit längerem zu beobachtende Abbau an Arbeitsplätzen mit geringen Qualifikationsanforderungen weiter fortsetzten wird. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die wenigen verbleibenden Einfacharbeitsplätze zunehmend mit formal Qualifizierten besetzt werden. Vor allem ungelernte Beschäftigte sind deshalb einem erhöhten Risiko ausgesetzt, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Der Erwerb einer beruflichen Qualifikation kann dieses Risiko vermindern.

Um eine allgemeine Verbesserung der Qualifikationsstruktur des Erwerbspersonenpotenzials zu erreichen, kann der Fokus nicht nur auf eine verbesserte Weiterbildung Geringqualifizierter gerichtet werden. Eine vor allem auch quantitativ bedeutsame Gruppe sind vor allem die gut 13 Mio. Vollzeitbeschäftigten, die lediglich über eine einfache betriebliche oder außerbetriebliche Ausbildung verfügen. Sie bilden ein umfassendes Potenzial für Bildungsmaßnahmen, die mit kürzerer Arbeitszeit einhergehen können. …

Grundsätzlich sprechen für die 3,5 Mio. ungelernten Teilzeitkräfte und die knapp 6 Mio. Teilzeitkräfte mit betrieblichem Abschluss die gleichen Gründe für eine Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen wie für die Vollzeitbeschäftigten. Die Tatsache jedoch, dass das Phänomen Teilzeitarbeit überwiegend mit weiblichen Erwerbsmustern verbunden ist, erfordert einen besonderen Hinweis auf die notwendige Verbindung bildungspolitischer Maßnahmen mit geeigneten flexiblen Arbeitszeitregelungen, die sich am gesamten Lebensverlauf orientieren.

Die Hälfte der erwerbstätigen Frauen arbeitet in Teilzeit oder geringfügiger Beschäftigung. Bei den Männern sind dies nur etwa 16 Prozent. In der Qualifikationsstruktur spiegelt sich dies ebenfalls wider. Bei den Frauen in Vollzeitbeschäftigung liegt der Anteil der Hochqualifizierten etwas höher als bei den regulär Teilzeitbeschäftigten. Abgesehen davon unterscheidet sich die Qualifikationsstruktur kaum. Bei den Männern dagegen zeichnen sich hier sehr viel deutlichere Unterschiede zwischen Vollzeit- und regulär Teilzeitbeschäftigten ab.“

Den IAB Forschungsbericht in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang oder über aufgeführtem Link.

http://www.iab.de/
http://doku.iab.de/forschungsbericht/2010/fb0210.pdf

Quelle: IAB

Dokumente: fb_iab_Qualifikationsstruktur_von_Erwerbstaetigkeit.pdf

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