Gestaltungsperspektiven für Übergänge zwischen Schule, Ausbildung und Beruf

Der Beitrag von Dr. Michael Krüger-Charlé analysiert das Übergangssystem in seiner Funktionsweise sowie seinen Umgebungsbedingungen und erörtert Entwicklungsperspektiven. Dabei versteht er „Übergänge“ als dynamische Prozesse, die unterschiedliche Orte, Akteure, Konzepte und Methoden einbeziehen, mit dem Ziel die Phase des Übergangs möglichst zeitnah und mit wenig Aufwand zu überwinden.

Auszüge aus dem Beitrag „Übergänge zwischen Schule, Ausbildung und Beruf. Strukturen, Einchätzungen und Gestaltungsperspektiven“ von Dr. Michael Krüger-Charlé:
“ … Altbewerber und Altersstruktur
Zweifelsohne werden sich demographische Veränderungen auch auf dem Ausbildungsmarkt auswirken, allerdings ist die Zeit noch längst nicht reif, hier die Signale auf Entwarnung zu stellen. Denn bis der Rückstau der Altbewerber (…) nachhaltig abgebaut ist, dürfte noch viel Zeit vergehen. …
Das Problem der zumeist im Übergangssystem verbleibenden Altbewerber dürfte gleichsam auch im Wortsinn dazu beigetragen haben, dass das Durchschnittsalter aller Ausbildungsanfänger inzwischen knapp unter 20 Jahren liegt – eine Zeitverschwendung, die angesichts der Bemühungen um Bildungszeitverkürzungen bemerkenswerterweise kaum auf öffentliche Resonanz trifft. Der darin zum Ausdruck kommende Rückgang jüngerer Jahrgänge ohne Studienberechtigung an der Ausbildungsbeteiligung wird darüber hinaus durch strukturelle Verschiebungen innerhalb des Ausbildungsplatzangebotes verstärkt: So sank zwischen 1994 und 2006 das Ausbildungsplatzangebot in den Fertigungsberufen um 59.000 bzw. 20%, während es in den Dienstleistungsberufen um 20.000 bzw. 7% zunahm. Dieser Trend zur „Tertiarisierung“ des Ausbildungsangebotes hatte vor allem für Hauptschulabgänger (und damit für die im Schnitt jüngste Absolventengruppe aus den allgemeinbildenden Schulen) die Konsequenz, dass ihre Eintrittschancen in das Duale System schlechter wurden, denn diese stellen im Fertigungsbereich traditionell die meisten Auszubildenden.

Die Ergebnisse von anderthalb Jahrzehnten Ungleichgewicht am Ausbildungsstellenmarkt sind offenbar eine schwere Hypothek für die weitere Entwicklung des Berufsbildungssystems in Deutschland. Dabei stellt „die Existenz eines Übergangssystems für sich nicht das Problem dar, solange es dazu dient, temporäre Disproportionen am Ausbildungsstellenmarkt abzufedern. Zum Problem wird es erst dann, wenn ein solches Übergangssystem über lange Zeit quantitativ überfordert wird und den überwiegenden Teil der Jugendlichen mit mittleren und niedrigeren Schulabschlüssen übernehmen muss.“ Auf diese Weise wird die Entwicklung von Patchwork‐Laufbahnen befördert, für die auf dem Weg ins Berufsleben immer seltener das Verlaufsmuster der traditionellen „Normalbiographie“ … charakteristisch ist.

Bildungsverläufe im Übergangssystem
Mit welchen Folgen dies für die betroffenen Jugendlichen verbunden ist, zeigt die Analyse der qualitativen Dimension des Übergangssystems. An seinen Bildungsgängen, die nicht zu einem vollwertigen Berufsabschluss führen, nehmen in erheblichem Ausmaß Schulabsolventen und –absolventinnen teil, die maximal über einen Hauptschulabschluss verfügen. Diese Maßnahmen haben drei zentrale Funktionen: Vermittlung der Ausbildungsreife, Erweiterung von Bildungsoptionen und für marktbenachteiligte Jugendliche Überbrückung bis zum Einstieg in eine Berufsausbildung. …

Der Kern der als problematisch einzustufenden Bildungsbiographien umfasst etwa 20 bis 30 Prozent der nicht studienberechtigten Schulabsolventen. Bei diesen Jugendlichen zeichnen sich langwierige oder nicht gelungene Übergänge in eine Berufsausbildung ab. Dabei wechseln sich Phasen des Aufenthalts im Übergangssystem mit Zeiten außerhalb des Bildungssystems (zu Hause, jobben, auf Ausbildungs‐ und Arbeitssuche) ab. In dieser Gruppe sind Jugendliche mit höchstens Hauptschulabschluss und mit schlechteren Schulnoten (64%) überproportional stark, aber auch Personen mit mittlerem (33%) und höherem Schulabschluss (3%) vertreten. Einen weit überproportionalen Anteil (42 %) in der ersten Gruppe haben junge Menschen mit Migrationshintergrund bzw. aus bildungsfernen Familien. Nicht zu unterschätzen ist die Gefahr, dass diesen jungen Menschen auf Dauer eine qualifizierte berufliche Ausbildung versagt bleibt und ihnen somit eine tragfähige Integration ins Erwerbsleben nicht gelingt. …

Passungsprobleme
Die Analyse der Bildungsverläufe im Übergangsgeschehen weist auf gravierende Passungsprobleme im Übergang zwischen Schule und beruflicher Ausbildung hin. … Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielschichtig. An erster Stelle ist die Struktur des deutschen Schulsystems zu nennen, in dem nach wie vor die Segmentation zwischen den Schultypen aufrechterhalten wurde, während sie beim Wettbewerb um Ausbildungsstellen keine Rolle spielt. Mittlerweile konkurrieren Jugendliche mit unterschiedlicher Schulausbildung um die gleichen Ausbildungsstellen … . Damit verstärkt sich die mit niedrigen Schulabschlüssen verbundene Stigmatisierung als Bildungsverlierer und findet selbst im Übergangssystem keine Entlastung, weil auch hier die Teilnehmerstruktur gemessen an ihren Bildungsprofilen disparat bleibt.

Ein weiterer Grund für die sich verschärfenden Passungsprobleme liegt in den steigenden Standards der Ausbildung im Dualen System, welche die sich ändernden und zumeist höheren Anforderungen in der Arbeitswelt widerspiegeln. So wandeln sich die Tätigkeitsmerkmale von material‐ zu daten‐, informations‐ und wissensbezogener Arbeit, denn der produktive Umgang mit dem Rohstoff Wissen ist eines der Kernelemente der Wissensgesellschaft. Entsprechend verlagern sich die Anforderungsprofile von motorisch‐manuellen Tätigkeiten hinzu kognitiv abstrahierenden. … Gefordert ist ein breites Fachwissen, Denken in Zusammenhängen, Übernahme von Prozessverantwortung, Selbststeuerung und Bereitschaft zu flexiblem Arbeitseinsatz in Gruppen sowie zur Weiterbildung.

Ausbildungsreife
… Freilich sind hohe Zugangshürden und Abbruchquoten in der dualen Ausbildung der Preis für diese Entwicklung. So hat sich beispielsweise in den vergangenen Jahren eine „scharfe Bestimmung von Ausbildungsreife“ durchgesetzt, die festlegt, „dass genau definierte personale und soziale Kompetenzen vorliegen müssen, bevor eine berufliche Ausbildung beginnen kann.“ Allerdings ist das Konstrukt Ausbildungsreife eher unsicher und umstritten: Vor allem „steht die Selbstverständlichkeit, mit der dieser Begriff die Praxis der Berufsbildung erobert hat, in einem deutlichen Kontrast zu seiner Unschärfe. So ist nach wie vor die Frage ungeklärt, inwieweit die von der BA festgelegten Merkmale tatsächlich positiv mit Verlauf und Erfolg der Ausbildung korrelieren.“ …

Berücksichtigt man die beträchtliche Zahl von Jugendlichen, die trotz anerkannter Ausbildungsreife im Übergangssystem stecken, dann kann „der Verweis auf mangelnde Ausbildungsreife vieler Jugendlicher“ weder „die strikte Trennung der Übergangsstrukturen von der betrieblichen Ausbildung begründen“ noch „die Annahme“ rechtfertigen, dass deutlich mehr Ausbildungsplätze bereitstünden, wenn die Ausbildungsaspiranten geeigneter wären.“ …
Bezogen auf Passungsprobleme und Bildungsverläufe fällt die Bewertung des Übergangssystems kritisch aus. Die Gründe für seine Schwächen sind vielfältig und komplex. Sie liegen zum einen in dem „schwer aufzuklärenden Zusammenspiel von Angebotsstrukturen im Ausbildungsmarkt mit individuellen Hintergrundmerkmalen der kognitiven, motivationalen und sozialen Kompetenz Jugendlicher.“ Zum anderen manifestiert sich die Sonderstellung des Übergangssystems in einer „geringen Transparenz und Systematisierung seiner Maßnahmen und Programme. Während in der dualen Berufsausbildung klar geregelte Verfahren die Ordnungsarbeit der Sozialpartner bis hin zu gesetzlich verankerten Standardisierungen bestimmen, herrscht im Übergangssystem ein buntes Durcheinander von Konzepten und Kursen, von Maßnahmeträgern und Förderstrukturen.“ …

Schlussbetrachtung
… Die Problemfelder, … könnten den Eindruck vermitteln, als sei das Übergangssystem der einzige Dreh‐ und Angelpunkt beruflicher Bildung in Deutschland. Dem ist natürlich nicht so. Gerade hat die OECD … der Berufsbildung in Deutschland … und darin dem Dualen System ein insgesamt sehr gutes Zeugnis ausgestellt. Als besonders positiv wertet die OECD die Verbindung von Lernen im Betrieb und in der Schule, das große Engagement der Sozialpartner und das hohe Ansehen des Dualen Systems in der Gesellschaft. Deutlich kritischer dagegen fällt die Bewertung des Übergangssystems und der Durchlässigkeit zwischen den Teilsystemen der beruflichen Bildung aus. Hier sollten, so die OECD, mehr gezielte Anstrengungen unternommen werden, um zum einen Jugendliche fit für die reguläre berufliche Ausbildung zu machen und um zum anderen die Anschlussfähigkeit der Teilsysteme bis hin zur Hochschulausbildung zu erhöhen. …
Allerdings zeigt die zurückhaltende Reaktion auf die Öffnungsoptionen, die von der Reform des Berufsbildungsgesetzes (2005) ausgehen, dass die „Beharrungskräfte bestehender institutioneller Strukturen“ und die „offenbar nach wie vor funktionierenden standespolitischen Interessenvertretungen im deutschen Berufsbildungssystem“ nicht zu unterschätzen sind, die in dem sattsam bekannten „Schwarze‐Peter‐Spiel“ zu den Hauptakteuren gehören, wenn es darum geht, die Verantwortung für die Ausbildungsprobleme in Deutschland zwischen Schule, dualer Ausbildung und Übergangssystem hin und her zu schieben. … Es kommt jetzt und in Zukunft darauf an, den Handlungsdruck, der vom Übergangssystem ausgeht und bei den Passungsproblemen zwischen allgemeiner Schulbildung und den drei Teilsegmente beruflicher Bildung noch nicht aufhört, dafür zu nutzen, die Strukturen beruflicher Bildung in Deutschland insgesamt auf den Prüfstand zu stellen und so den Reformhorizont für überfällige Strukturverbesserungen, wohlgemerkt nicht für eine Grundrevision, zu öffnen.
Hierfür sind vor allem drei Problemkomplexe in Betracht zu ziehen: ## Zum einen müssen die vielfach geforderten Brücken zwischen den Teilsegmenten beruflicher Bildung wirklich auf‐ und ausgebaut werden, das heißt die Schnittstellen sind effizienter zu gestalten sowie Warteschleifen und Verdoppelungen von Zwischenschritten zu vermeiden. Die Einführung von lokalen und regionalen Netzwerken (Übergangsmanagement) erweisen sich dafür z. Zt. als ein besonders erfolgversprechendes Instrument.
## Zum zweiten geht es um die europäische Integration der deutschen Berufsbildung. Dabei wird man nur vorankommen, wenn zwei Prozesse parallel laufen: die „Suche nach Reformoptionen innerhalb des Rahmens des europäischen Entwicklungskontextes und die Identifikation von europäisch inspirierten Reformoptionen innerhalb der Möglichkeiten der deutschen Systemgrenzen“.
## Und zum dritten sind die institutionellen Strukturen des Übergangssystems, die durch Komplexität, Intransparenz und Ineffizienz geprägt sind, nachhaltig zu verändern. Ihre derzeitige Verfassung ist ein gutes Beispiel dafür, wie Organisationen, Fördersysteme und Akteursstrukturen auch durch die Pfadentwicklung, die sie in den letzten Jahren genommen haben, Legitimation erfahren und nicht mehr hinterfragt werden. Sie erscheinen vielmehr als so selbstverständlich, dass weder ihre innere Logik reflektiert noch Verbesserungspotentiale überprüft und realisiert werden.
… Die Reformbemühungen zum Berufsbildungssystem werden nur dann Erfolg haben, wenn sich die Verantwortlichen darauf verständigen können, dass ein „Ausbildungssystem den Jugendlichen mit ihren ganz unterschiedlichen Voraussetzungen entsprechen muss und nicht umgekehrt die Jugendlichen – bei Strafe des Ausschlusses ‐ dem Bildungssystem“. „

Die Erhebung in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link oder dem Anhang.

www.iat.eu
http://www.iat.eu/forschung-aktuell/2010/fa2010-11.pdf

Quelle: IAT

Dokumente: Uebergaenge_einschaetzungen_und_Gestaltungsperspektiven.pdf

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