Auszüge aus der Untersuchung „Ausbildungsplatzsuche: Geringere Chancen für junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund“ von Ursula Beicht und Mona Granato:
“ … Zunächst einmal unterscheiden sich die beruflichen Bildungspläne bei Beendigung der Schule sehr stark in Abhängigkeit von der erreichten schulischen Qualifikation: So beabsichtigen Schulabsolventinnen und -absolventen mit Studienberechtigung und guten Noten weit überwiegend ein Hochschulstudium, während nicht studienberechtigte Jugendliche größtenteils eine betriebliche Berufsausbildung anstreben, insbesondere bei schlechteren Schulnoten.
Dies liegt selbstverständlich vor allem an den unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen zu den verschiedenen Ausbildungwegen. …
Weniger als 20% der Schulabsolventinnen und -absolventen planen nicht unmittelbar den Beginn einer vollqualifizierenden Ausbildung. Nicht studienberechtigte Jugenliche erwägen dann oftmals z.B. einen teilqualifizierenden Bildungsgang an einer Berufsfachschule oder den Besuch der Fachoberschule, und zwar häufig mit der Absicht, zunächst noch einen höherwertigen Schulabschluss zu erwerben. Jugendliche mit Studienberechtigung legen nach Beendigung der Schule teilweise zunächst eine Phase der allgemeinen oder beruflichen Orientierung ein. …
Die beruflichen Bildungsentscheidungen hängen aber zusätzlich auch von
der sozialen Herkunft ab: Kommen Jugendliche aus besser gebildeten, statushöheren Elternhäusern, so neigen sie selbst bei gleichen schulischen Voraussetzungen seltener zu einer betrieblichen Ausbildung als Jugendliche aus weniger günstigen sozialen Verhältnissen, und zwar auch dann, wenn sie nicht über eine Studienberechtigung verfügen.
Die Ergebnisse deuten damit darauf hin, dass bei der Entscheidung über den beruflichen Bildungsweg sekundäre Herkunftseffekte (unterschiedliche Nutzeneinschätzung der Bildungswege) wirksam sind,
die nochmals verstärken, dass sich das duale System der Berufsausbildung insbesondere aus mittleren und unteren Sozialschichten
rekrutiert. …
Neben den Bildungsungleichheiten, die auf die soziale Herkunft zurückgehen, sind auch die Unterschiede von Bedeutung, die im Zusammenhang mit dem Geschlecht und dem Migrationsstatus der Jugendlichen stehen. So gelten Frauen als Gewinner der ab Mitte der 1960er-Jahre stattgefundenen Bildungsexpansion. Die zuvor bildungsbenachteiligten Mädchen nutzten die durch den massiven Ausbau der Realschulen und Gymnasien geschaffenen Bildungsmöglichkeiten
überproportional. So erreichen junge Frauen inzwischen deutlich
bessere Schulabschlüsse als junge Männer. Sie haben somit eigentlich klare Vorteile in den Ausgangsbedingungen beim Übergang in die berufliche Ausbildung. Allerdings ist bekannt, dass junge Frauen immer
noch in wesentlich geringerem Umfang als junge Männer eine betriebliche Berufsausbildung absolvieren. Sie sind damit beim quantitativ bedeutendsten vollqualifizierenden beruflichen Bildungsweg weit unterrepräsentiert.
Durch die von Frauen öfter als von Männern favorisierte schulische Berufsausbildung wird keine vollständige Kompensation erreicht. Unklar
ist, inwieweit die geringere Beteiligung von Frauen an betrieblicher Berufsausbildung auf unterschiedliche berufliche Präferenzen von Frauen und Männern oder auf geschlechts spezifisch differierende Zugangschancen zurückzuführen ist.
Junge Menschen mit Migrationshintergrund zählen zu den Bildungsverlierern. Sie sind größtenteils Nachkommen von Arbeitsmigranten („Gastarbeitern“), deutschstämmigen Aussiedlern, Asylbewerbern und Flüchtlingen, die ab den 1960er-Jahren in die Bundesrepublik Deutschland einwanderten. Kinder aus diesen Familien brachten häufig sehr nachteilige Voraussetzungen für den Besuch von Schulen mit und hatten dort besonders schlechte Bildungschancen. Nach wie vor erreichen überproportional viele Jugendliche mit Migrationshintergrund entweder keinen Schulabschluss oder maximal einen
Hauptschulabschluss. Die Schwierigkeiten der Jugendlichen ausländischer Herkunft setzen sich bei den Übergangsprozessen in die Berufsausbildung massiv fort, sind aber keineswegs allein auf die schlechteren Schulabschlüsse zurückzuführen. …
Trotz intensiver Such- und Bewerbungsaktivitäten gelingt es den ausbildungsuchenden Jugendlichen oft nicht, rasch in eine betriebliche oder überhaupt in eine vollqualifizierende Berufsausbildung einzumünden. Selbst drei Jahre nach Beendigung der allgemeinbildenden Schule ist einem Teil von ihnen die Aufnahme einer Berufsausbildung
noch nicht gelungen.
Weit über die Hälfte der Schulabgänger/-innen, die eine betriebliche Lehrstelle suchen, melden sich als ausbildungsuchend bei der für sie zuständigen Arbeitsagentur. Deren Aufgabe ist es, ausbildungsreife
Jugendliche bei der Suche zu unterstützen und sie nach Möglichkeit in eine Ausbildung zu vermitteln, die ihrer Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit entspricht. Bei schlechteren Schulnoten nehmen Jugendliche häufiger die Hilfe der Arbeitsagentur in Anspruch, während studienberechtigte Schulabsolventinnen und -absolventen hierauf eher verzichten. Eine geringere Tendenz zur Einschaltung der Arbeitsagentur zeigt sich auch bei Jugendlichen, deren Eltern beide über eine Berufsausbildung verfügen. Junge Frauen – mit und ohne Migrationshintergrund – schalten im Vergleich zu jungen Männern deutlich häufiger die Arbeitsagentur ein. Gleiches gilt für männliche Migranten im Vergleich zu Männern deutscher Herkunft.
Der Übergangserfolg (Dauer und Wahrscheinlichkeit der Einmündung in Ausbildung) hängt dabei deutlich von der schulischen Qualifikation
der Jugendlichen ab. Die Aussichten sind eher schlecht, wenn maximal ein Hauptschulabschluss und schlechte Schulnoten vorliegen, und besonders günstig bei einem mittleren Schulabschluss und guten Noten. Aber auch von der sozialen Herkunft geht ein Einfluss auf den Übergangserfolg aus: Verfügen Vater und Mutter über einen Berufsabschluss, so sind die Chancen für die Jugendlichen unabhängig von ihren schulischen Voraussetzungen besonders hoch. In diesen Familien kann durch die eigene Ausbildungserfahrung beider Elternteile,
also deren „Nähe“ zur Berufsausbildung, offensichtlich eine wirksame Unterstützung bei der Ausbildungsplatzsuche geleistet werden. Hierzu sind Eltern, die (teilweise) keinen Berufsabschluss besitzen, erkennbar weniger gut in der Lage. …
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Bemühungen der Schulabsolventinnen und -absolventen um eine betriebliche Ausbildungsstelle sehr groß sind. Junge Frauen sind dabei noch aktiver und flexibler als junge Männer, und Jugendliche mit Migrationshintergrund engagieren sich vielfach besonders stark. Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss greifen oft auf Unterstützungsleistungen ihrer Familie bzw. Freunde zurück, dagegen suchen sie seltener selbst aktiv in den Medien nach einer Lehrstelle und bewerben sich weniger häufig schriftlich als Jugendliche mit besseren schulischen Voraussetzungen. …
Fazit: Für Jugendliche, die aus sozial schwächeren Familien oder aus Familien mit einer Migrationsgeschichte stammen, kumulieren sich die Benachteiligungen im Laufe ihres Bildungsweges. Schlechtere Voraussetzungen bestehen oft bereits vor Eintritt in die allgemeinbildende Schule; Probleme und ungünstige Weichenstellungen folgen während der allgemeinbildenden Schulzeit. An der Schwelle zur Berufsausbildung sind die Ausgangsbedingungen dieser Jugendlichen
vielfach sehr ungünstig. Die duale Ausbildung stellt für sie oft die einzige Möglichkeit einer beruflichen Vollqualifizierung dar, da hierfür keine formalen Zugangsbeschränkungen existieren. Die Jugendlichen müssen sich jedoch auf einem Ausbildungsmarkt behaupten, auf dem die Betriebe nach Leistungsgesichtspunkten über die Vergabe der Ausbildungsplätze entscheiden und leistungsschwächeren Jugendlichen, insbesondere bei einem Migrationshintergrund, eher selten eine Chance geben. So haben junge Erwachsene mit Migrationshintergrund in der Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen mit 31% derzeit mehr als doppelt so oft wie die Vergleichsgruppe ohne
Migrationshintergrund (13%) keine abgeschlossene Berufsausbildung (vgl. AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2010). Angesichts des künftig drohenden massiven Nachwuchsmangels an Fachkräften werden die Betriebe überdenken müssen, ob sie ihre Auswahlkriterien bei der Besetzung ihrer Lehrstellen unverändert beibehalten.
Die Wirtschaft wird aufgrund der demografischen Entwicklung künftig auf das gesamte vorhandene Arbeitskräftepotenzial angewiesen sein. Daher sollte es im besonderen Interesse der Betriebe liegen, möglichst allen jungen Menschen, auch den weniger leistungsstarken, eine fundierte berufliche Qualifizierung zu ermöglichen. Die Herkunft sowie das Geschlecht der Jugend lichen sollten dabei keine Rolle spielen. „
Den Aufsatz zur BiBB-Analyse zum Einfluss Sozialer Herkunft beim Übergang in die Ausbildung entnehmen Sie bitte dem aktuellen BiBB-Report, Ausgabe 15/10 über aufgeführtem Link.
http://www.bibb.de/de/56246.htm
http://www.bibb.de/dokumente/pdf/a12_bibbreport_2010_15.pdf
http://www.bibb.de/de/56246.htm#
Quelle: BiBB
Dokumente: a12_bibbreport_2010_15_1_.pdf