Jugendliche ohne Schulabschluss auf dem Arbeitsmarkt fast chancenlos

Welche bildungspolitischen Maßnahmen tragen dazu bei, den Anteil von Schülern/-innen ohne Abschluss zu senken? Aufgrund einer sorgfältigen Datenanalyse will die Studie der Bertelsmann Stiftung diese Frage beantworten.

Auszüge aus der Studie „Jugendliche ohne Hauptschulabschluss“ von Prof. em. Dr. Klaus Klemm:
“ … Um wirksame Maßnahmen entwickeln zu können, die auf eine Reduzierung der Quote der Jugendlichen ohne einen Hauptschulabschluss zielen, bedarf es zunächst einer gründlichen bildungsstatistischen Analyse dieser Gruppe. Im Ergebnis können dabei die folgenden sechs zentralen Befunde heraus gearbeitet werden. ## 1. Der Anteil der jungen Menschen ohne Hauptschulabschluss liegt im Bundesdurchschnitt bei 7,5 Prozent eines Altersjahrgangs, variiert jedoch deutlich von Bundesland zu Bundesland. Die Spannweite reicht dabei von 5,6 Prozent in Baden-Württemberg bis hin zu 17,9 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Insgesamt liegen die Anteile in Ostdeutschland deutlich höher als in den westlichen Bundesländern. Auch innerhalb der Bundesländer gibt es von Region zu Region deutliche Unterschiede im Hinblick auf den Anteil der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss. Hier liegen die Werte zwischen 2,6 Prozent und 22,4 Prozent.
## 2. Von den Jugendlichen, die Jahr für Jahr die allgemein bildenden Schulen ohne einen Hauptschulabschluss verlassen, stammen mehr als die Hälfte (54,6 Prozent) aus Förderschulen und etwa ein Viertel (26,5 Prozent) aus Hauptschulen. Die übrigen 19 Prozent kommen aus anderen
Schulformen der Sekundarstufe I.
## 3. Je nach Bundesland verlassen zwischen 56,5 Prozent und 96,6 Prozent der Förderschülerinnen und schüler die Schule ohne einen Hauptschulabschluss – bei von Land zu Land sehr unterschiedlich hohen Anteilen an separiert unterrichteten Schülerinnen und Schülern. Für eine fundierte Durchlässigkeitsanalyse der Förderschulsysteme in den Bundesländern fehlen derzeit leider die Daten. Die lückenhaft vorliegenden Daten geben jedoch Anlass zu der Vermutung, dass nur eine sehr geringe Anzahl von Kindern und Jugendlichen den Weg aus den Förderschulen zurück in Haupt-, Realschulen oder Gymnasien finden. Daher spricht einiges dafür, dass ein einmal in eine Förderschule eingestuftes Kind in vielen Bundesländern kaum eine Chance hat, am Ende seiner Schullaufbahn einen Hauptschulabschluss vorweisen zu können.
## 4. Ein nicht unbedeutender Teil der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss verlässt die allgemein bildenden Schulen schon vor Erreichen der neunten bzw. in Ländern mit einer zehnjährigen Schulbesuchspflicht der zehnten Jahrgangsstufe. Je nach Land sind dies bei neunjähriger Schulpflicht zwischen 13,4 Prozent und 32,5 Prozent, bei zehnjähriger Schulpflicht zwischen 39,2 Prozent und 62 Prozent. Damit haben sie zwar die vorgesehene Dauer des Schulbesuchs absolviert, aber nicht den mit der Schulpflicht intendierten Wissensstand der neunten bzw. zehnten Jahrgangsstufe erreicht.
## 5. Schülerinnen und Schüler mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit bleiben weit häufiger ohne einen
Hauptschulabschluss als deutsche Jugendliche (15,4 Prozent im Vergleich zu 6,7 Prozent).
## 6. Jungen sind in stärkerem Maße betroffen als Mädchen. …

Die lebenslang wirksamen Folgen eines fehlenden Hauptschulabschlusses sowie die für den nachträglichen Erwerb dieses Schulabschlusses notwendigen zeitlichen und finanziellen Ressourcen sind erheblich. Daher sind Maßnahmen erforderlich, die dazu führen, dass mehr Heranwachsende bereits im Verlauf ihres Bildungsweges in den allgemein bildenden Schulen den Hauptschulabschluss erreichen.

Vor dem Hintergrund der Eingangs gelieferten Befunde, werden folgende Reformansätze zur Verhinderung der Quote der Jugendlichen ohne Schulabschluss empfohlen. …

Ansätze wirksamer Reformen ## Einleitung einer konsequenten Inklusionspolitik

Mit 54,6 Prozent stammen mehr als die Hälfte aller Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss aus Förderschulen. Da die einschlägigen empirischen Studien durchgängig belegen, dass die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf in ihrer Entwicklung in allgemeinen Schulen besser als in Förderschulen befördert werden, kann in der deutlichen Reduktion des in Förderschulen separierenden Unterrichts ein Schlüssel zum Erfolg bei der Verringerung der Quote derer liegen, die keinen Hauptschulabschluss erreichen. … Für die Jüngeren geschieht dies im wachsenden Maße durch die Aufnahme in Grundschulen. Im Anschluss daran, beim Übergang in die weiterführenden Schulen, nehmen derzeit überwiegend Hauptschulen und da, wo es diese gibt, Gesamtschulen Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf auf. Mittelfristig wird die hier empfohlene Politik der Inklusion eine Weiterentwicklung der Schulstruktur befördern – erst dann kann sie dauerhaft erfolgreich sein.
## Stärkung schulischer Entwicklungsmilieus durch Zusammenführung unterschiedlich anspruchsvoller Bildungswege

… Es ist sehr schwierig, in den Hauptschulen mit einem „Schwierigen Milieu“, die vielfach überall in Deutschland anzutreffen sind, Erfolge beim Abbau der Quote der Schüler und Schülerinnen ohne Hauptschulabschluss zu erzielen. Zugleich macht es wenig Sinn, in Schulen mit derart „Schwierigem Milieu“ zusätzlich Jugendliche mit besonderem Förderbedarf aufzunehmen und dadurch ihr Entwicklungsmilieu noch weiter zu belasten. Stattdessen sollte das Entwicklungsmilieu der Sekundarschulen durch die Zusammenführung unterschiedlich anspruchsvoller Schulformen verbessert werden. Dies würde allerdings in Teilen die Aufgabe der gegliederten Sekundarschulstruktur erfordern. Insbesondere sollte die Separation in die für schulisches Lernen hinderlichen Entwicklungsmilieus von Haupt- und von Förderschulen aufgegeben werden. Schließlich kommen drei Viertel aller Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss aus diesen beiden Schulformen.
Diesen Weg gehen derzeit die Bundesländer, die ein zweigliedriges Schulsystem haben oder aufbauen. Erfolgreich wird dieser strukturpolitische Ansatz auf Dauer aber nur dann sein, wenn in
den zusammengeführten Haupt- und Realschulen nicht durch Formen äußerer Differenzierung Haupt- und Realschulgruppen als getrennte Klassen oder Kurse weiter bestehen bleiben.
## Öffnung der Schule gegenüber der Arbeitswelt

Die Quote der jungen Menschen ohne Hauptschulabschluss halbiert sich in etwa nach dem Ende der Schulpflichtzeit im allgemein bildenden Schulwesen durch das Nachholen des Hauptschulabschlusses im beruflichen Schulwesen. Dies verweist darauf, dass junge Menschen in anderen Lernarrangements als in denen der allgemein bildenden Schulen zu einem Hauptschulabschluss geführt werden können. Vor diesem Hintergrund können Ansätze hilfreich sein, die außerschulische
Lernorte in schulisches Lernen integrieren, um auf diese Weise neue Motivation für Jugendliche zu mobilisieren, die zu scheitern drohen. Dabei ist weniger an die tradierten Betriebspraktika gedacht, die der Berufsorientierung dienen, sondern vielmehr an Konzepte, wie sie verstärkt unter Überschriften wie „Duales Lernen“, „Praxisklassen“, “Kooperationsklassen“ oder „Schule und Betrieb“ (SchuB-Klassen) anzutreffen sind. Das Verbindende derartiger Konzepte liegt in dem Überschreiten der schulischen Grenzen, also in der Öffnung der Schule
gegenüber der Arbeitswelt. Der auf diesem Weg verstärkte Praxisbezug wird auf vielfältige Weise erreicht: durch veränderte Lehrinhalte, durch eine Verstärkung des handlungsorientierten und projektförmigen Unterrichtens, durch einen Einbezug des Betriebs als Lernort und durch die Herstellung von Betriebs- und Praxisnähe – auch auf dem Wege der Gewinnung von „Werkmeistern“ für die schulische Arbeit. …
## Sicherung der Vergleichbarkeit von Anforderungen für das Erreichen des Hauptschulabschlusses

Die für das Erreichen des Hauptschulabschlusses geltenden Leistungsanforderungen unterscheiden sich von Land zu Land und von Region zu Region innerhalb der Länder: Dies wird dadurch deutlich, dass die Quoten derer, die die Schulen ohne einen Hauptschulabschluss verlassen, zwischen den Ländern und regional in einem Ausmaß variieren, das nicht über unterschiedliche Leistungen allein erklärbar ist. Ein Beleg für unterschiedliche Maßstäbe, die bei der Vergabe des
Hauptschulabschlusses angelegt werden, sind die beschriebenen Unterschiede zwischen den in Leistungsstudien erwiesenen Kompetenzwerten der schwächeren Schülerinnen und Schüler der
einzelnen Bundesländer und dem Verweigern bzw. Vergeben eines Hauptschulabschlusses.

Das sich daraus ergebende Ausmaß an Chancenungleichheit von Jugendlichen in Deutschland – und zwar zwischen den Bundesländern und innerhalb der Länder – ist auf Dauer nicht hinnehmbar. Ein Weg der Abhilfe, der sich in die �Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring‘ (KMK 2006) einordnen würde, könnte in der zentralen Überprüfung der Bildungsstandards liegen. … Anders als noch 2009 (als nur das Erreichen der Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss überprüft wurde), sollte dabei auch der Hauptschulabschluss berücksichtigt werden. …
## Frühzeitiges Eingreifen durch fördernde Maßnahmen

… Jugendliche, die einmal eine Klasse wiederholt haben, erfüllen bei einer neun- bzw. zehnjährigen Schulbesuchspflicht in allgemein bildenden Schulen bereits ein Jahr vor Erreichen der höchsten Jahrgangsstufe (also der neunten bzw. zehnten) ihre Schulpflicht und sind damit frei, vor dem Ende der letzten Jahrgangsstufe die Schule zu verlassen. … Ein hoher Anteil der späteren Abgänger ohne Schulabschluss hat … bereits frühzeitig – in der Grundschule oder in den Jahren bis zur achten Klasse der weiterführenden Schule – Erfahrungen mit schulischem Scheitern gemacht. Programme, die das Ziel der Verminderung der Quote der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss verfolgen, müssen daher früh in der Bildungslaufbahn ansetzen – am besten bereits in frühen Bildungsangeboten sowie im Grundschulbereich. Zudem sollte individuelle Förderung auch durch eine Ausweitung ganztagsschulischer Angebote ermöglicht werden. Die derzeit für Klassenwiederholungen aufgewendeten Ressourcen wären besser eingesetzt, wenn sie für Prävention und nicht für Reparaturen genutzt würden. Die Politik ist herausgefordert
Die auf der Basis bildungsstatistischer Analysen entwickelten Hinweise auf wirksame Reformansätze beziehen sich auf Maßnahmen, die jede für sich bereits irgendwo in Deutschland mit nachweisbarem Erfolg umgesetzt wurden. Auch können sich alle in der hier vorgelegten Studie vorgeschlagenen Maßnahmen auf die von der KMK 2010 formulierte „Förderstrategie für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler“ (KMK 2010b) berufen. Jetzt ist es überall in Deutschland erforderlich, dass aus wohl formulierten Absichtserklärungen eine Politik aus einem Guss wird. Insbesondere gilt dies in den ostdeutschen Ländern mit ihren hohen Quoten an Schülerinnen und Schülern ohne Hauptschulabschluss.“

Die Studie in vollem Umfang entnehmen Sie bitte dem Anhang oder aufgeführtem Link.

www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-EF43E0D1-FAF6D359/bst/xcms_bst_dms_32343_32344_2.pdf

Quelle: Bertelsmann Stifung

Dokumente: Jugendliche_ohne_Hauptschulabschluss.pdf

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