Bundesverband Produktionsschulen beschließt Qualitätsstandards

Unter dem Titel „Wo Produktionsschule draufsteht, soll auch Produktionsschule drin sein“ hat die Mitgliederversammlung des Bundesverbandes Produktionsschulen Qualitätsstandards verabschiedet. Sie sind ein weiterer wichtiger Schritt, um die Bedeutung von Produktionsschulen im deutschen Übergangssystem Schule – Beruf zu unterstreichen. Einerseits sind sie Richtschnur in der laufenden bildungspolitischen Debatte, andererseits soll mit ihnen ein Qualitätssiegel entwickelt werden. Der betriebsnahe pädagogische Ansatz der Produktionsschulen in der Beruflichen Bildung konnte den Beweis antreten, dass er in der Lage ist, benachteiligte Jugendliche erfolgreich in Ausbildung und Arbeit zu vermitteln. Produktion oder Dienstleistung im Kundenauftrag sind dabei der zentrale Drehpunkt. In den letzten fünf Jahren entstanden in Deutschland mehr als 50 neue Produktionschulen mit unterschiedlichen Werkstattbereichen und Produktionslinien.

Die Produktionsschule soll allen Beteiligten eine leistungsfähige, soziale und gerechte Orientierung eröffnen

Auszüge aus den Qualitätsstandards für Produktionsschulen „Wo Produktionsschule draufsteht, soll auch Produktionsschule drin sein“:

„(…) Es geht darum, eine neue „Schulform“ (neue Bildungseinrichtung) mit Leben zu füllen und durch gleichberechtigte Partizipation aller Beteiligten überprüfbar zu machen. Die Standards sollen handlungsleitend sein für pädagogische Prozesse und institutionelle Strukturen bei der Neugründung von Produktionsschulen sowie Hilfestellung und Handreichung bieten für die Überprüfung schon bestehender Einrichtungen. Sie bilden weitgehend die soziale und demokratische Vielfalt der Produktionsschulen als neue Bildungseinrichtung ab (social/cultural diversity).

(…) Ein guter Maßstab bei der Entwicklung einer Produktionsschule ist, dass sie allen Beteiligten eine leistungsfähige, soziale und gerechte Orientierung eröffnet. Grundlegende Prämissen sind:

  • die Würde (Grundgesetz) aller Beteiligten in ihrer kulturellen Vielfalt,
  • ein humanistisches, den demokratischen und wissenschaftlichen Prinzipien der Aufklärung verpflichtetes Menschenbild,
  • Respekt vor den Eigenheiten und Anerkennung der Besonderheiten von jungen Menschen auf ihrem sozial verantwortlichen Weg zum mündigen, aktiven Bürger sowie
  • die Einsicht, dass alles pädagogische Wollen in erster Linie dem Wohl der jungen Menschen – als auch der Arbeitszufriedenheit der MitarbeiterInnen zu dienen hat.“

Wertschätzende und kooperative Kultur statt „Bildungsbehörde“

„Produktionsschulen setzen bei den jungen Menschen vor allem identitätsstiftende und damit das Selbst stabilisierende Prozesse in Gang. Dafür bilden die Basis sowohl die Tätigkeiten in ihrer materiellen, sozialen und gesellschaftlichen Bedeutung als auch die dabei entstehenden zwischenmenschlichen Beziehungen. Die wertschätzende und kooperative Kultur der Produktionsschulen unterscheidet sich von überkommenen Schulformen, die oft zu Bildungsbehörden erstarrt sind.

Damit eröffnen Arbeiten und Lernen in den Werkstätten und Dienstleistungsbereichen von Produktionsschulen nicht nur Alternativen zur gewohnten, schulförmigen Methodik und Didaktik, sondern auch zur Organisationskultur von bestehenden Bildungseinrichtungen. Produktionsschulen ermöglichen letztendlich die Erhöhung der Chancen der jungen Menschen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Damit werden – bildungspolitisch betrachtet – sowohl gesellschaftliche Interessen (Fachkräftenachwuchs) als auch individuelle Ziele (Autonomie, gesellschaftliche Teilhabe) berücksichtigt.“

Sinn der Standards: Beliebigkeit und Unverbindlichkeit vermeiden, Übersichtlichkeit und Transparenz befördern

„Produktionsschulen wollen jungen Menschen eine differenzierte und selbstbestimmte Persönlichkeitsentwicklung für ein gutes Leben in Arbeit und Beruf ermöglichen. Ziel ist die Bereitstellung jener „Werkzeuge“, die zur Meisterung des Lebens, zur Vermittlung in Ausbildung und selbstverantwortlicher Arbeit notwendig sind. Standards zur Sicherung der Qualität von Produktionsschulen sind keine Normen im technischen Sinne, wie z.B. DIN oder ISO, sondern Parameter für die Gestaltung des Alltagsgeschehens in Produktionsschulen. Sie tragen einerseits dazu bei, in den vertraglichen Arbeitsbeziehungen Beliebigkeit und Unverbindlichkeit zu vermeiden. Andererseits befördern sie Übersichtlichkeit und Transparenz im Produktionsprozess und pädagogischem Alltag. In den sozialen und inhaltlichen Standards spiegeln sich sowohl die individuellen Bedürfnisse der Beteiligten als auch die sozialen Notwendigkeiten der arbeitsteiligen und kooperativen Tätigkeit wider. (…)

Die (berufs-)pädagogische Idee „Produktionsschule“ birgt Entwicklungspotential in sich und ist zukunftsfähig. Um aber zu einem „Lernort der Zukunft“ zu werden, muss pädagogisches Handeln bestimmten Ansprüchen genügen:

  • Großzügigkeit und Gelassenheit im Arbeitsalltag bei der Gestaltung des Wertschöpfungsprozesses,
  • Einfallsreichtum in Bezug auf Lerninhalte und Methoden bei der Gestaltung kooperativer Lernprozesse,
  • Selbstreflexion und Heiterkeit bei der Gestaltung der Beziehung zu jungen Menschen. (…)

Qualitätsstandards und Spezifikationen für Produktionsschulen

1. Lern- und Arbeitsort bilden in Produktionsschulen eine Einheit. Sie sind betrieblich strukturiert und entlohnen ihre jungen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Produktionsschulen stellen in ihren Werkstätten marktfähige Produkte her oder bieten mit ihren Arbeitsbereichen Dienstleistungen für reale Kunden an.

Produktionsschulen weisen weitgehende betriebliche Strukturen auf. Diese beinhalten marktorientierte Produktion bzw. Dienstleistungserstellung, die im Kundenauftrag ausgeführt wird. Es gibt vertragliche Regelungen mit den jungen Mitarbeiter/innen, die u. a. Arbeits- und Urlaubszeiten sowie eine nachvollziehbare Vergütung enthalten. Die jungen Mitarbeiter/innen werden nicht mit einer simulierten Lernumgebung konfrontiert, sondern mit realen Produktlinien und echten Kundenkontakten.

Pädagogisch und beruflich strukturierte Werkstätten und Dienstleistungsbereiche, die von verantwortlichen Werkstattpädagogen geleitet und betreut werden, sind die didaktischen Kernelemente der Produktionsschule. Lernprozesse finden über Produktionsprozesse statt. Arbeiten und Lernen soll als ganzheitliches Prinzip im realen Arbeitsalltag unter Einbeziehung von kognitiven, emotionalen, sozialen und haptischen Lernebenen gefördert werden. Dabei soll theoretisches Planen und praktisches Tun sinnvoll vereint werden.

Produktion, Anleitung, Orientierung sowie persönliche Begleitung und Beratung stellen im Idealfall eine Einheit dar (Prinzip der Ganzheitlichkeit) und bilden die Grundlage für eine wirkungsvolle Lernumgebung. Dabei gilt der Vorrang der pädagogischen Zielvorstellung vor wirtschaftlichen Interessen.

Die Arbeitsprozesse sind so gestaltet, dass sie für die jungen Mitarbeiter/innen keine Überforderung darstellen, d. h. sie müssen nachvollziehbar und überschaubar, verständlich und leistbar sein. Die aktive Beteiligung der jungen Menschen am „Produktionsschulbetrieb“ ist durchgängiges Prinzip. (…)

2. Im Mittelpunkt der Produktionsschulen stehen junge Menschen (von 14 bis 27 Jahren), die auf freiwilliger Basis und mit flexiblen Ein- bzw. Ausstiegen individuell gestaltete Bildungs- und Qualifizierungsangebote nutzen – mit dem Ziel der Integration in Ausbildung und Beschäftigung.

Produktionsschulen bieten betriebsnahe produktionsorientierte Angebote beruflicher Orientierung und Vorbereitung sowie Qualifizierung oder Ausbildung. Durch berufliche und soziale Integration sollen die jungen Menschen Zukunfts- und Lebensperspektive gewinnen und eigenverantwortlich handelnde „Persönlichkeiten“ werden. Dazu entwickeln Produktionsschulen Orientierungs-, Vorbereitungs-, Qualifizierungs- und Ausbildungsangebote. Produktionsschulen haben das Ziel, die jungen Menschen – ihre jungen Mitarbeiter/innen – in Ausbildung, Beschäftigung oder weiterführende Bildungsangebote zu vermitteln.

Der Eintritt in die Produktionsschule ist freiwillig. Die Dauer des Aufenthalts an einer Produktionsschule ist am individuellen Kompetenzerwerb der einzelnen jungen Menschen ausgerichtet. Ein jederzeitiger Ein- und Ausstieg ist möglich.

Arbeits- und lebensweltbezogene Persönlichkeitsentwicklungen bilden den Kernpunkt von Produktionsschulen. Dabei meint Persönlichkeitsentwicklung sowohl die Vermittlung von fach- und berufsbezogenen Fertigkeiten, Kenntnissen und Methoden (z.B. Lern-, Informations-, Medienkompetenz) als auch die Förderung von personalen und sozialen (Schlüssel-) Kompetenzen, wie z.B. Eigenverantwortung und tradierte Arbeitstugenden sowie Kooperations-, Kommunikations-, Konflikt- und Zukunftsfähigkeit. Fachliche, methodische, soziale und personale Kompetenzentwicklung gehen Hand in Hand, um Persönlichkeitsstabilisierung und -entwicklung anzuregen. Die erworbenen Kompetenzen werden dokumentiert und bescheinigt. Produktionsschulen haben das Ziel, ihre jungen Mitarbeiter/innen in Ausbildung, Beschäftigung oder weiterführende Bildungsangebote zu vermitteln. (…)

Ausgehend von den individuellen Kompetenzen der jungen Menschen werden Lernprozesse individuell gestaltet. Produktionsschulen bieten berufsbezogene Qualifizierungen an, um Übergänge in Ausbildung und/oder Beschäftigung zu unterstützen. Die Produktionsschule hält ein Angebot vor, das jungen Menschen ermöglicht sich beruflich zu qualifizieren und sich persönlich und sozial weiterzuentwickeln. (…)

3. Die Produktionsschule ist eine pädagogisch gestaltete Lerngemeinschaft junger Menschen in einer förderlichen und anregenden Lern- und Arbeitsatmosphäre.

Eine pädagogische Kernaufgabe in Produktionsschulen ist der Aufbau und das Halten einer tragfähigen Beziehung zwischen den Werkstattpädagogen und den jungen Mitarbeiter/innen. Erziehung und Bildung findet nicht nur durch die Verschmelzung von Arbeits- und Lerntätigkeit in der Produktion statt, sondern auch im Geflecht tragfähiger Beziehungsarbeit.

Wertschätzung und Respekt sind Prinzipien des Miteinanders in der Produktionsschule. Das bedeutet u.a. auch, dass den jungen Mitarbeiter/innen weitestgehende Mitgestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeit haben. (…)

Das Arbeiten und Lernen in den Werkstätten und Dienstleistungsbereichen bietet qualitative Alternativen zur gewohnten, schulischen Methodik, Didaktik und zur Organisation von Bildungseinrichtungen. Mit Blick auf die bisherigen Lebens- und Lernerfahrungen der jungen Menschen sollte an diesem neuen Arbeits- und Lernort tunlichst alles vermieden werden, was wie Schule wirkt oder wie Schule aussieht. Der besondere Lern-, Arbeits- und Lebensort einer Produktionsschule entsteht aus einer Kombination von angenehmer Atmosphäre, entwicklungsfördernder und anregender Lernkultur (die Gefühle von Sicherheit, Geborgenheit und Akzeptanz vermitteln sowie angst- und repressionsfreies Lernen ermöglichen) sowie dem Betrieb von Werkstätten und Dienstleistungsbereichen (als realen Arbeits- und Lernraum). Die Lernumgebungen müssen so beschaffen und gestaltet sein, dass das ganzheitliche Lernen angeregt und gefördert wird. (…)

4. Produktionsschulen sind auf Dauer angelegter und durch systematische Netzwerkarbeit und Kooperationen fester Bestandteil des regionalen Wirtschafts-, Bildungs- und Sozialraums.

Arbeiten und Lernen in Produktionsschulen ist in einem lokalen/regionalen Umfeld verortet. Dafür sind tragfähige Kooperationen mit Partnern unterschiedlicher Arbeitsfelder vor Ort dringend erforderlich. Eine Produktionsschule entwickelt Kooperationen oder Verbünde mit Betrieben zur Erweiterung der Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten der jungen Menschen. Eine Produktionsschule ist mit allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen vernetzt, um über Lernortverbünde auch Lernorte außerhalb der Produktionsschule anzusprechen und weitere Perspektiven eines „Lernens im Arbeitsprozess“ zu eröffnen.

Eine Produktionsschule hält enge Kontakte zu Einrichtungen und Instanzen der regionalen sozialen Arbeit, um lernhemmenden äußeren Einflussfaktoren wie Krisensituationen im Elternhaus, sozialem Druck in der Peergroup, Schuldenbelastungen, Sucht- oder Gewaltproblematiken nachhaltig entgegenzuwirken.

Übergänge von der Produktionsschule in andere gesellschaftliche Systeme müssen fließend gestaltet und begleitet werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die enge Kooperation mit diesen Subsystemen bzw. ihren Protagonisten (Betriebe, Politik, Vertreter der Wirtschaft, Bildungseinrichtungen, Ämtern etc.). (…)

5. An Produktionsschulen arbeitet ein multiprofessionell qualifiziertes Team mit Herz.

Neben den berufsfachlich methodischen Kompetenzen ist die Fähigkeit zum Aufbau einer tragfähigen Beziehung zu den jungen Menschen wichtiger Erfolgsfaktor in einer Produktionsschule. Die stetige Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten in und mit der Produktionsschule selbst ist zentraler Bestandteil. Produktionsschulen legen Wert auf Personal- und Organisationsentwicklung. Erfahrungsaustausch und Weiterbildungen sind für alle Pädagog/innen zwingend notwendig. Produktionsschulen zeichnen sich durch eine systematische Qualitätssicherung aus, beschäftigen ausgesuchte Fachkräfte und streben eine nachhaltige Personalentwicklung an. (…)

6. Jede Produktionsschule pflegt ein Qualitätsmanagement oder Selbstevaluationssystem.

Das Pflegen eines Qualitätsmanagement bzw. Selbstevaluationssystems in der Produktionsschule sichert die Steuerung und kontinuierliche Verbesserung der produktionsschuleigenen Prozesse, unabhängig davon, ob ein standardisiertes (beispielsweise DIN ISO 9000, LQW) oder selbstentwickeltes Verfahren angewendet wird. (…)“

Quelle: Bundesverband Produktionsschulen

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