Kein Mindestlohn für die Beschäftigten der Weiterbildungsbranche

Die Bundesregierung sollte den Mindestlohntarifvertrag in der Weiterbildungsbranche für allgemeinverbindlich erklären. Dies forderten der Bundesverband der Träger der beruflichen Bildung, die Gewerkschaften ver.di und GEW sowie die Oppositionsparteien. Die entsprechenden Grundlagen waren bereits unter der großen Koalition geschaffen worden. Das Vorhaben ist geplatzt. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) lehnte einen Mindestlohn für die etwa 25.000 Beschäftigten der beruflichen Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen ab.

Kein Widerstand, kein konkurrierender Tarifvertrag

Der Antrag werde „mangels Vorliegens eines öffentlichen Interesses“ abgelehnt, hieß es in dem Ablehnungsschreiben des Ministeriums. Betroffen sind sozialversicherungspflichtig Beschäftigte der Branche. Dabei handelt es sich beispielsweise um Lehrer oder Handwerksmeister, die Arbeitslose und Jugendliche unterrichten. Verdi, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie der Bundesverband der Träger beruflicher Bildung hatten sich im vorigen Jahr auf Mindestlöhne verständigt. Das Nein der Regierung zum Mindestlohn in der Weiterbildung ist nach Einschätzung der Tarifparteien völlig unnötig. Es gab keinerlei Widerstand gegen diesen Tarifvertrag, und es gibt keinen konkurrierenden Tarifvertrag. Sogar die Bundesagentur für Arbeit hat bereits mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung gerechnet und ihre Ausschreibungsbedingungen entsprechend angepasst.

Der Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages vom 12. Mai 2009 in der Branche Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach SGB II und SGB III wurde am 04. Oktober 2010 vom BMAS mit folgender Begründung abgelehnt: „Das gesetzlich vorgesehene Prüfverfahren zu Ihren Antrag ist abgeschlossen. Dem Antrag wird mangels Vorliegens eines öffentlichen Interesses an der Allgemeinverbindlicherklärung nicht stattgegeben“. Weitere Erläuterungen/Begründungen wurden nicht gegeben.

GEW: Arbeitgeber und Gewerkschaften sind sich einig

Billiganbietern in der Aus- und Weiterbildung bleiben weiter Tür und Tor geöffnet. Weiterbildner werden mit Almosen abgespeist. „Mit dem „Branchentarifvertrag Weiterbildung“ wäre eine untere Haltelinie gegen Dumpinglöhne eingezogen worden“, sagte Ilse Schaad, Tarifexpertin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), mit Blick auf die Ablehnung der Bundesregierung, den 2009 vereinbarten Branchentarifvertrag für allgemeingültig zu erklären.

„Es bleibt das Geheimnis des Arbeits- und Sozialministeriums, warum es sich gegen einen Mindestlohn in der Weiterbildung sperrt: Arbeitgeber und Gewerkschaften sind sich einig, einen konkurrierenden Tarifvertrag gibt es nicht“, betonte Schaad. „Alle Sonntagsreden über die Bedeutung des „Lebensbegleitenden Lernens“ sind Makulatur, wenn Menschen, die sich beispielsweise für die Eingliederung von Arbeitslosen im Rahmen der Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit engagieren, Honorare von nicht einmal zehn Euro in der Stunde bekommen – wie es insbesondere in den östlichen Bundesländern Praxis ist. Gesellschaftlich wertvolle Arbeit, die hochqualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen leisten, muss auch gut bezahlt werden. Unseriösen Billigheimern, die schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Bildungsqualität bieten, muss das Handwerk gelegt werden“, sagte die Tarifexpertin.

Wäre der Tarifvertrag in der Aus- und Weiterbildungsbranche für allgemeingültig erklärt worden, hätte er für fast 25.000 Beschäftigte gegolten. Der Branchentarifvertrag sichert Brutto-Monats-Löhne von knapp über 2.000 Euro (Stundenlohn: 12,28 Euro) im Westen und rund 1.800 (Stundenlohn: 10,93 Euro) in den östlichen Bundesländern ab.

BBB: Neue Mitglieder traten ausdrücklich für die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags ein

Zur Ablehnung des Antrags auf Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrags vom 12. Mai 2009 in der Branche Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem SGB II und SGB III durch die Bundesregierung erklärt der Vorsitzende der Zweckgemeinschaft von Bildungsträgern des BBB (Bundesverband der Träger beruflicher Bildung), Wolfgang Gelhard:

„Mit Unverständnis und Verärgerung mussten die in der Zweckgemeinschaft zusammengeschlossenen Bildungsträger die Entscheidung der Bundesregierung zur Kenntnis nehmen, den noch zu Zeiten der großen Koalition eingebrachten Tarifvertrag nicht als allgemeinverbindlich für die Weiterbildungsbranche zu erklären. Der Tarifvertrag wurde mit den Gewerkschaften Ver.di und GEW ausgehandelt und galt einvernehmlich als Richtschnur für eine Mindestbezahlung in der Weiterbildungsbranche. Zu keiner Zeit gab es Widerstand gegen diesen Tarifvertrag. Gerade in den letzten Monaten erhöhte sich die Akzeptanz des Tarifvertrages. Die Zweckgemeinschaft konnte in der Folge neue Mitglieder begrüßen, die ausdrücklich für die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages eintraten. Auch die aktuellen Gespräche mit Bildungs- und Sozialpolitikern ließen auf ein Überdenken der Situation hoffen.

Um so schmerzlicher ist es, dass wir nun, verursacht durch das Handeln der Bundesregierung, den in der Zweckgemeinschaft zusammengeschlossenen Bildungsträgern mitteilen müssen, dass es zu keinem Mindestlohn in der Branche kommen wird. Das Bemühen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diesem durchaus schwierigen Feld – vor allem in der beruflichen Bildung für junge Menschen mit Benachteiligungen und Behinderungen – eine gerechten Lohn zu garantieren ist somit gescheitert, weil das marktradikale Verhalten der Auftraggeber die Preisspirale weiter nach unten drehen wird.

Auskömmliche Löhne garantieren auch die Qualität der Leistungen und Produkte; diese Erkenntnis gilt für alle Branchen. Fatalerweise scheint dieses Prinzip für die Weiterbildungsbranche nicht zu gelten. Der Bildungsstandort Deutschland wird die Frage beantworten müssen: Wie viel ist mir künftig die Weiterbildung – vor allem von Personengruppen am Rande unserer Gesellschaft – wert?“

SPD: Weiterbildung darf kein Paradies für unseriöse Billiganbieter bleiben

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Anette Kramme sowie der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Ernst-Dieter Rossmann teilten zur Ablehnung mit:

„Die Weiterbildung bleibt ein Paradies für unseriöse Billiganbieter – dank Frau von der Leyen. Das Nein der Regierung zum Mindestlohn in der Weiterbildung ist ein Skandal – und völlig unnötig dazu. Es gab keinerlei Widerstand gegen diesen Tarifvertrag, es gibt keinen konkurrierenden Tarifvertrag. Sogar die Bundesanstalt für Arbeit hat bereits mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung gerechnet und ihre Ausschreibungsbedingungen entsprechend angepasst. Nun heißt es: Außer Spesen nix gewesen.

Die Regierung hat offenbar keine Ahnung von der Öffentlichkeit, wenn sie am Vorliegen eines öffentlichen Interesses zweifelt. (…) Gute Bildung braucht Qualität. Qualität hat ihren Preis. Das gilt immer, aber vor allem auch bei den Bildungsanbietern im SGB II und SGB III. Es kann nicht sein, dass Arbeitssuchende fit gemacht werden sollen für den Arbeitsmarkt von Leuten, die trotz Hochschulabschluss häufig nur 1400 bis 1800 Euro brutto verdienen. Die Entscheidung von der Leyens ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten im Weiterbildungssektor.“

GRÜNE: Keine Pädagogen zweiter Klasse

Zu der Ablehnung des Mindestlohns für die Weiterbildungsbranche durch Bundesarbeitsministerin von der Leyen, erklärt Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte von Bündis 90/Die Grünen:

„Von der Leyen kann die Ablehnung des Mindestlohns für die Weiterbildungsbranche nicht mit einem mangelnden öffentlichen Interesse begründen. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die Weiterbildungskurse für Erwerbslose geben, selbst zum Arbeitsamt gehen und ergänzendes Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Denn genau für diesen Personenkreis hätte der Mindestlohn gegolten, den die Ministerin abgelehnt hat.

Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, ihrer Pflicht gerecht zu werden und dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten der Weiterbildungsbranche vor Lohndumping geschützt sind und sich nicht wie Pädagogen zweiter Klasse fühlen müssen. Die Integration in den Arbeitsmarkt und die Qualifizierung von Erwerbslosen geben ernsthaft in den Mittelpunkt der Politik. Deswegen sind gerade die Missstände in der Weiterbildungsbranche von öffentlichem Interesse. (…) Vermutlich hat von der Leyen dem Druck der FDP nachgegeben und dabei ihre Überzeugung über Bord geworfen. Denn vor wenigen Tagen hatte sie sich in einer Talkshow noch für Mindestlöhne ausgesprochen und deren Notwendigkeit betont.“

Bundesregierung: Minderheit darf nicht die Mehrheit binden

Die Bundesregierung begründete ihre Ablehnung der Allgemeinverbindlichkeit des Mindestlohns für die Weiterbildungsbranche im Ausschuss Arbeit und Soziales mit folgenden Aussagen:

  • Die Repräsentativität des Tarifvertrages sei nicht gegeben, da er nur 25 % der Beschäftigten binde, und damit läge auch kein öffentliches Interesse vor – dies werde auch durch das Votum des Tarifausschusses bestätigt
  • Aufgrund des offenkundig fehlenden öffentlichen Interesses dürfe die Bundesregierung nicht handeln; es gäbe auch eine negative Koalitionsfreiheit; eine Minderheit (25%) dürfe nicht die Mehrheit binden.
  • Die schwarz-gelbe Koalition wird keine Allgemeinverbindlichkeitserklärung für Tarifverträge mit einer Tarifbindung von unter 50 % beschließen.“

Quelle: GEW; Ver.di; SPD; Grüne; BBB

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