Ausbildung für alle jungen Menschen – Konsequenzen für Berufsbildung und Förderung

Die sieben bundesweiten Organisationen der Jugendsozialarbeit, die im Kooperationsverbund zusammenarbeiten, appellieren an die politisch Verantwortlichen, sich der grundsätzlichen Bewältigung des Übergangsproblems von der Schule in den Beruf anzunehmen. Statt kurzfristiger Programme mahnen sie ausreichende Ausbildungsplätze sowie eine kohärente und transparente Förderung an, damit junge Menschen mit Unterstützungsbedarf den Eintritt in das Berufsleben bewältigen können.

Auszüge aus dem Positionspapier „Ausbildung für alle„:
„ … „Ausbildung für Alle“ verlangt Ausbildungsstellen für alle ausbildungsinteressierten jungen Männer und Frauen
Im wirtschaftlichen Krisenjahr 2009 hat sich der Ausbildungsstellenmarkt zwar stabilisiert, nach wie vor aber kann er nicht für ein ausreichendes Ausbildungsstellenangebot sorgen. Der Berufsbildungsbericht 2010 konstatiert wie schon in den Vorjahren, dass viel mehr Jugendliche auf Ausbildungsstellensuche sind als Ausbildungsplätze angeboten werden. Der aktuelle Wert von 89,9 % für die erweiterte Angebots-Nachfrage-Relation macht deutlich, dass in großem Umfang Ausbildungsplätze fehlen. Darüber hinaus haben sich die Probleme am Ausbildungsstellenmarkt für bestimmte Zielgruppen seit Jahren verfestigt. Nach wie vor sind mindestens 15 % der jungen Erwachsenen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss. 42 % der Schüler/innen, die die Schule nur mit einem Hauptschulabschluss verlassen, gelangen in das Übergangssystem und verbleiben dort durchschnittlich eineinhalb Jahre. Der Berufsbildungsbericht weist auf eine weiterhin bedrückend hohe Zahl an Altbewerber/innen hin. Im September 2009 lag ihr Anteil an den gemeldeten Bewerber/innen bei immer noch 45,7 %. …
Migrant/innen und ausländische Jugendliche haben es nach wie vor besonders schwer, den Einstieg in die Berufsausbildung zu schaffen, ihre Ausbildungsbeteiligungsquote liegt nur noch bei 32 %. Der Berufsbildungsbericht offenbart schließlich eine vergleichsweise hohe Zahl von 96.000 erfolglosen Bewerber/innen, über deren Verbleib keine Informationen vorliegen außer der Feststellung, dass ca. 30 % arbeitslos sind. Der Bericht folgert hier richtigerweise, dass ein hohes Risiko dieser Jugendlichen besteht, aus dem Bildungssystem heraus zufallen mit negativen Folgen für Beschäftigungsfähigkeit und gesellschaftliche Teilhabe. …

Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit kritisiert in diesem Zusammenhang, dass auch weiterhin eine transparente Ausbildungsstatistik fehlt, die das wahre Ausmaß der Ausbildungsnachfrage erfasst. … Angesichts dieser Situation und oben genannter Zahlen ist die Ankündigung der Bundesregierung im Berufsbildungsbericht, dass in Zukunft jedem „Ausbildungswilligen und Ausbildungsfähigen eine Qualifizierung mit Berufsabschluss angeboten“ werden soll, unzureichend. … In die Planungen der Bundesregierung für eine Qualifizierung von jungen Menschen zum Berufsabschluss müssen deshalb dringend auch benachteiligte Jugendliche einbezogen werden. Es muss insbesondere vermieden werden, dass die Statistik nur solche Jugendliche als ausbildungswillige Zielgruppe einbezieht, die die Vermittlungsdienste der BA eingeschaltet haben. Denn dies trifft nur für jeden zweiten jungen Menschen zu, der sich in der Ausbildungsstellensuche befindet.

Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit plädiert für ein bildungspolitisches Ziel „Ausbildung für Alle“, das die politische Verantwortung beinhaltet, auch noch nicht ausbildungsreife junge Menschen an eine Ausbildung heranzuführen, und diese mit geeigneten Angeboten für eine Ausbildung motiviert, statt scheinbar „ausbildungsunwillige“ Jugendliche auszuschließen.

Jugendliche mit Migrationshintergrund haben es auf dem Ausbildungsmarkt besonders schwer
Der Berufsbildungsbericht weist auf die gravierenden Unterschiede bei der Ausbildungsbeteiligung ausländischer Jugendlicher hin. Seit zehn Jahren nimmt die Ausbildungsbeteiligungsquote ausländischer Jugendlicher im Vergleich zu deutschen Jugendlichen kontinuierlich ab, zurzeit ist sie mit 32 % nur halb so hoch wie die Ausbildungsbeteiligungsquote deutscher Jugendlicher. …

Um die Ausbildungschancen junger Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern, ist eine stärkere Durchlässigkeit der Bildungssysteme erforderlich: ## Ein erfolgreicher Übergang von der Schule in die Ausbildung erfordert eine Kompetenzsteigerung im Umgang mit Diversität in Schulen und in Ausbildungssystemen. Hierfür werden entsprechende praxisnahe Instrumente zur konkreten Förderung von Diversität gebraucht.
##Zum Abbau institutioneller Diskriminierungseffekte ist die Weiterentwicklung und Umsetzung diversitätsbewusster Ausbildungen in Betrieben und Ausbildungsstätten notwendig. Hierzu gehören insbesondere die Weiterentwicklung pädagogischer Konzepte, der Personalentwicklung und Angebotsstrukturen in Bildungs- und Ausbildungssystemen. Ziel muss es sein, Menschen mit Migrationshintergrund repräsentativ an der Mitarbeiterschaft und in den Angeboten zu beteiligen und die vielfältigen Lebenslagen junger Menschen einzubeziehen.
##Bei der beabsichtigten Stärkung von Unternehmer/innen mit Migrationshintergrund ist besonderer Beratungs- und Unterstützungsbedarf notwendig, um sie als Ausbildungsbetriebe zu gewinnen.

„Ausbildung für Alle“ erfordert konkrete Förderinstrumente
Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit fordert neue Initiativen in der Ausbildungsförderung, damit der absehbare Fachkräftemangel zum Impuls für Betriebe wird, zukünftig mehr benachteiligte junge Frauen und Männer in eine betriebliche Ausbildung zu integrieren. Die Ausbildungsförderung muss als ein Bestandteil der Bildungspolitik begriffen werden, die mit hoher Priorität auch unter Sparzwängen betrieben und die von den angekündigten Einsparungen in der Arbeitsmarktförderung ausgenommen wird. Dabei müssen auch diejenigen Jugendlichen noch eine Ausbildungschance bekommen, die die Schule bereits vor einiger Zeit verlassen haben. Für die so genannten Altbewerber/innen werden dringend Qualifizierungsmaßnahmen zum Erreichen eines Schulabschlusses sowie Ausbildungsmöglichkeiten benötigt.

Ausbau und Weiterentwicklung der ausbildungsbegleitenden Hilfen
Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit spricht sich außerdem dafür aus, auch die ausbildungsbegleitenden Hilfen zukünftig stärker zu nutzen, um benachteiligten Jugendlichen einen Einstieg und den Abschluss einer betrieblichen Ausbildung zu ermöglichen. Viele Unternehmen besetzen ihre Ausbildungsstellen nicht, weil ihnen das Leistungsvermögen und die schulischen Voraussetzungen der Jugendlichen als nicht ausreichend erscheinen. Die Paktpartner im Ausbildungspakt haben bereits im letzten Jahr gefordert, die ausbildungsbegleitenden Hilfen auszuweiten und zu verstetigen. … Ausbildungsbegleitende Hilfen werden heute regelhaft von der Bundesagentur für Arbeit öffentlich ausgeschrieben. Auf diesen Hilfen lastet seit Jahren ein massiver Preisdruck. Die Bedingungen der Rahmenvereinbarung führen zu einem hohen Anteil an Honorarkräften und lösen häufige personelle Wechsel aus. Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit fordert die Bundesagentur für Arbeit auf, die finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen für ausbildungsbegleitende Hilfen so zu gestalten, dass eine qualitativ bessere und kontinuierlichere Betreuung gewährleistet werden kann.

Auf dem Weg zu einer kohärenten Förderung – von der Schule bis in den Beruf
Neben den fehlenden Ausbildungsplätzen und der unzureichenden Ausbildungsförderung liegt es auch an ungünstigen Bildungsvoraussetzungen, mangelnden Kompetenzen und besonderen Lebenslagen, die dazu führen, dass ein Teil der Jugendlichen nach der Schule den Übergang in die Ausbildung nicht (bzw. nicht ohne weiteres) bewältigt. Die notwendige passende Förderung dieser Jugendlichen gelingt nicht, solange das Übergangssystem weiterhin überwiegend dazu dient, mehrere 100.000 Jugendliche aufzufangen, die auf dem Ausbildungsmarkt leer ausgegangen sind, aber eigentlich keinen pädagogischen Förder- und Nachholbedarf haben. Hier besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf.

Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit spricht sich seit langem dafür aus, dass Bund und Länder ihre Förderprogramme in der Ausbildungsförderung, im Bereich der Schulen sowie der vielfältigen Formen der Berufsvorbereitung im so genannten Übergangssystem besser aufeinander abstimmen und die Voraussetzungen schaffen, damit vor Ort verlässliche und abgestimmte Strukturen eines Übergangssystems etabliert werden können. Die Möglichkeiten regionaler Koordinierungsstellen im Übergangsmanagement bleiben zwangsläufig eingeschränkt, solange nach wie vor eine Vielzahl von unabgestimmten Förderprogrammen und Maßnahmen von Bund und Ländern existiert.

Kohärente Förderung beginnt in der Schule
… Der Kooperationsverbund setzt sich dafür ein, die weiterhin hohe Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss zu senken. Nur mit dem flächendeckenden Ausbau und der verlässlichen Gestaltung der Kooperation von Jugendhilfe/ Jugendsozialarbeit und Schule können notwendige Angebote sozialpädagogischer Unterstützung zur Vermeidung von Schulabbrüchen für benachteiligte junge Menschen vorgehalten werden. Außerdem ist es nicht hinzunehmen, dass in Folge des selektiven Schulsystems zahlreiche Schüler/innen an separate Förderschulen verwiesen werden und dort oftmals gar keine Möglichkeit haben, einen anerkannten Abschluss zu erwerben.

An Schulen sind geeignete Präventionsangebote zu verankern, um eine möglichst optimale und umfassende Förderung jedes Kindes und Jugendlichen und seiner jeweiligen Kompetenzen in den Mittelpunkt pädagogischer und didaktischer Bestrebungen zu stellen. …

Wenn es dennoch für Jugendliche nötig wird, Schulabschlüsse später nachzuholen, sind die entsprechenden Arbeitsmarktinstrumente zu flexibilisieren. Derzeit werden ausschließlich Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen gefördert, damit jugendliche Arbeitslose einen Schulabschluss nachholen können, obwohl sich diese Maßnahmen für einen Teil der jungen Erwachsenen als wenig geeignet erweisen. Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit spricht sich dafür aus, die Fördermöglichkeiten für den nachholenden Schulabschluss zu erweitern, damit Jugendlichen, die Abschlüsse nachholen wollen, passende und Erfolg versprechende Angebote zur Verfügung gestellt werden können. …

Kohärente Förderung bedeutet verlässliche Begleitung beim Übergang
Mit der Initiative „Bildungsketten“ will die Bundesregierung neue und bestehende Förderinstrumente zusammenführen und in die Breite tragen:
Ausgehend von einer Potenzialanalyse ab der 7. Klasse, die die Grundlage der erforderlichen individuellen schulischen und außerschulischen Begleitmaßnahmen bildet, folgen Berufsorientierungsmaßnahmen in der 8. Klasse. Durch Betriebspraktika und Angebote im Rahmen der Vertieften Berufsorientierung können sich Jugendliche ab der 9. Klasse stärker auf favorisierte Berufe konzentrieren. Besonders gefährdete Schüler/innen sollen durch Berufseinstiegsbegleiter/innen (auch Bildungslotsen genannt) ab der Vorabgangsklasse gezielt und kontinuierlich bis hinein in die berufliche Ausbildung unterstützt werden. Ehrenamtliche Begleiter/innen können – wenn notwendig – eine weitere Begleitung bis zum Ausbildungsabschluss übernehmen.

Mit den genannten Instrumenten sind aus Sicht des Kooperationsverbundes prinzipiell gute Möglichkeiten gegeben, Jugendliche angemessen und an ihren Bedarfen orientiert zu fördern. Die Kombination aus breit angelegter Unterstützung durch Angebote für alle Jugendlichen des Jahrgangs – verbunden mit individuellen Zugängen und Unterstützungen wie der Kompetenzfeststellung und der weiteren Möglichkeit individueller, bedarfsorientierter, verbindlicher und kontinuierlicher Begleitung – beschreibt einen richtigen Weg. Dessen Erfolg ist allerdings an einige Bedingungen bei der Einrichtung und Umsetzung der Programme geknüpft: ## Neue Angebote der beruflichen Orientierung müssen in das schulische Berufsorientierungskonzept eingepasst werden …
##Berufseinstiegsbegleitung braucht fachliche Steuerung und Weiterentwicklung …

Auf dem Weg zur kohärenten Förderung: Rahmenbedingungen und
Voraussetzungen
## Überprüfung existierender Instrumente für einen kohärenten Förderverlauf
Die Vielzahl unterschiedlicher Angebote sollte auf eine übersichtliche Palette von erprobten Maßnahmen reduziert werden, die für einen kohärenten För Förderverlauf geeignet sind und sich an Qualitätsstandards orientieren. Dies beinhaltet keineswegs eine Schmälerung der Förderaktivitäten und der eingesetzten Mittel. Vielmehr geht es um eine Struktur, die sicherstellt, dass mit frühzeitigem Beginn bereits in der 7. Klasse und einer gezielten Unterstützung, die auf den Bedarf des/ der Einzelnen abgestimmt ist, die Einmündungen in das Übergangssystem verringert werden.
##Einbindung und Abstimmung auf andere Instrumente – Kohärenz statt Konkurrenz
Damit Investitionen in Bildung tatsächlich den Jugendlichen – insbesondere den Benachteiligten – zugute kommen, bedarf es neben der quantitativen Ausweitung auch der qualitativen Verbesserung vor allem in struktureller Hinsicht. Die föderalen Freiheiten bei der Entwicklung und Platzierung von Angeboten führen zu einem Nebeneinander, bestenfalls zu einem Miteinander, selten zu einem aufeinander abgestimmten Vorgehen. Dies verschwendet Ressourcen und führt nicht zum angestrebten Ziel.
##Bedingungen für gelingendes lokales Übergangsmanagement schaffen
Ansätze eines regionalen Übergangsmanagements, wie sie z.B. in dem BMBF-Programm „Initiative Berufsabschluss“ gefördert werden, müssen dringend weiterentwickelt werden, damit wirksame regionale Integrationsstrategien für junge Menschen umgesetzt werden können.
…“

Das Positionspapier des Kooperationsverbundes Jugendsozialarbeit in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

www.jugendsozialarbeit.de
www.jugendsozialarbeit.de/media/raw/KV_Positionspapier_Berufsbildungsbericht_2010.pdf

Quelle: Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit

Dokumente: KV_Positionspapier_Berufsbildungsbericht_2010.pdf

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