Schnittstellenprobleme und koordinierte Maßnahmen für wohnungslose Kinder und Jugendliche

Die Altersstruktur der Wohnungslosen hat sich deutlich verändert. Der Anteil junger Erwachsener – insbesondere bis 24 Jahre – nimmt überproportional zu. Zunehmend mehr Minderjährige leben in Obdachloseneinrichtungen für Erwachsene. Nach Angaben der Organisation Off Road Kids geraten in Deutschland jährlich rund 2 500 Kinder und Jugendliche ab 12 Jahre auf die Straße. Etwa 300 davon werden zu Straßenkindern, die vor Vernachlässigung, Misshandlung
und Missbrauch geflohen sind und ihr Überleben mit Bettelei, Prostitution, Drogenhandeloder Kleindiebstahlsichern müssen. Hinzu kommen noch Kinder und Jugendliche, die zwar nicht die ganze Zeit, so doch aber überwiegend auf der Straße leben. Im ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird von einer Zahlvon insgesamt 7 000 Kindern und Jugendlichen gesprochen. Eine Stichprobe von terre des hommes im Jahr 2007 ergab, dass ca. 2,5 Prozent der betreuten Personen in „Straßenkinderprojekten“ in Deutschland unter 14 Jahre alt sind, 20 Prozent im Alter zwischen 14 und 16 Jahren, 27,5 Prozent zwischen 16 und 18 Jahren und gut die Hälfte inzwischen volljährig. Diese Gruppe der Volljährigen ist besonders schwer zu integrieren, hat besonders problematische Straßenkarrieren hinter sich und lebt häufig in zerrütteten Familienverhältnissen.

Als ein Grund für die „Verjüngung“ von Obdachlosigkeit sind die Schnittstellenprobleme zwischen dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und dem SGB VIII zu sehen. So überschneiden sich beispielsweise Hilfen der Jugendsozialarbeit (§ 13 SGB VIII) mit den möglichen Hilfen durch SGB-IIund SGB-III-Träger. Sehr viele junge Menschen in schwierigen Lebenssituationen (z. B. psychische Erkrankungen, Schulverweigererinnen und Schulverweigerer, kriminelle, drogen- und suchtmittelabhängige junge Menschen, Schulden- und Wohnungsproblematik, junge Alleinerziehende) sind mit steigender Zahl im SGB-II-Bezug vertreten. Ein Teil dieser jungen Menschen wird entweder nach dem SGB II oder dem SGB VIII betreut. Bei einer nicht geringen Anzahl wäre eine Doppelbetreuung erforderlich. Diese Schnittstelle macht eine Kooperation von SGB II und Jugendhilfe unbedingt notwendig.

Darüber hinaus führen die unterschiedlichen Logiken der Unterstützung von jungen Menschen in den Systemen SGB II, SGB III und SGB VIII an vielen Stellen zur Inkompatibilität. Mit der Zielrichtung der Integration in den Arbeitsmarkt erfordert das SGB II eine Anpassung an die Angebote und Regeln seines Systems. Die hoch belasteten, z. T. psychisch kranken Jugendlichen jedoch sind zu diesen Anpassungsleistungen häufig nicht in der Lage. Dies führt häufig zu Sanktionen, die junge Menschen in die Obdachlosigkeit treiben. Das SGB VIII verfolgt den Anspruch, die Jugendlichen in ihrer spezifischen Lebenssituation zu erreichen und sie von dort aus zu fordern und zu fördern. Die starren Anforderungen der Arbeitsagenturen/Jobcenter an die Jugendlichen werden – außer bei stationärer Unterbringung – auch beim Leistungsbezug nach dem SGB VIII aufrechterhalten. Aus diesen Umständen resultieren häufig Konflikte bei der Gewährung von Hilfe und Unterstützung.

Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen wollte in einer Kleinen Anfrage von der Regierung zu dieser Problematik Auskünfte haben.

Die Bundesregierung kann zwischen dem SGB II und SGB VIII keine Systembrüche erkenne, die Ursache für die Verjüngung von Obdachlosen sein soll. Dies sagt sie in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage Der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das SGB II diene zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt während SGB VIII Jugendhilfe betreffe. Wenn beide Leistungssysteme parallel erbracht würden, müsse eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit ermöglicht werde. Dies sei in den Gesetzen formuliert.“

Mit der tatsächlichen Praxis der Leistungserbingung hat die Antwort der Regierung wenig gemeinsam. An vielen Stellen werden, gerade für Jugendliche ab 18 Jahren, keine Leitungen der Grundhilfe mehr gewehrt.
Für viele junge Menschen, vor allem wenn sie von Sanktionen betroffen sind, gibt es kaum Auswege als die eben beschriebenen.

Quelle: Bündnis 90/Die Grünen; Pressedienst des Deutschen Bundestages

Dokumente: 1702083.pdf

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