Konzepte und Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Integration benachteiligter junger Menschen

Auszüge aus dem Positionspapier anlässlich der geplanten Instrumentenreform im SGB II und im SGB III:

1.Strategien und Eckpunkte für eine nachhaltige Förderpolitik ## 1.1 Ausbildung und Qualifizierung vor Arbeit fördern

Die Vermittlung junger Menschen in Ausbildung und Qualifizierung muss Vorrang vor der Vermittlung in Arbeit oder Arbeitsgelegenheiten haben.

Eine Berufsausbildung bildet das Fundament für eine nachhaltige berufliche Integration und ist nach übereinstimmender Meinung aller Expertinnen und Experten ein wirksamer Schutz gegen Arbeitslosigkeit. Ein Ausbildungsabschluss kann somit auch den weiteren SGB II-Bezug verhindern. Im § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist deshalb eine entsprechende rechtliche Klarstellung notwendig: “Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind unverzüglich nach Antrag auf Leistungen vorrangig in Ausbildung sowie in eine Qualifizierung, Arbeit oder Arbeitsgelegenheit zu vermitteln.(…)“ Um benachteiligte junge Menschen, die nicht hilfebedürftig im Sinne es SGB II sind, nicht schlechter zu stellen, sollte diese Regelung auch im SGB III verankert werden.

##1.2 Individuelle Förderung gewährleisten

Fördermöglichkeiten des SGB II, SGB III und SGB VIII müssen offen formuliert und gestaltet werden, damit sie auf die jeweils individuellen Förderbedarfe der jungen Menschen zugeschnitten werden können. Der zu fördernde junge Mensch muss also nicht „maßnahmetauglich“ sein oder gemacht werden, sondern umgekehrt.

Jeder junge Mensch muss unabhängig von Sparmaßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik das Förderangebot erhalten, das er benötigt. Auf Basis einer fundierten Potenzialanalyse erfolgt die individuelle Förderplanung mit dem jungen Menschen, die kontinuierlich fortzuschreiben ist und die auch seinen Kompetenzzuwachs dokumentiert. Dabei muss es Ziel sein, dem Jugendlichen eine eigenständige Lebensgestaltung zu ermöglichen und seine Rechte auf gesellschaftliche Teilhabe in allen Bereichen zu stärken. Die Zielsetzung darf nicht auf die Herstellung wirtschaftlicher Verwertbarkeit verkürzt werden. Nur so kann deren berufliche und gesellschaftliche Integration nachhaltig gelingen. Dies muss auch gelten, wenn es in der Entwicklung des jungen Menschen zu einem Stillstand oder zu einem Rückschritt kommt. Diese Verhaltensweisen sind zum Teil entwicklungspsychologisch und altersbedingt und dürfen nicht zum sofortigen Ausschluss führen.

##1.3 Kontinuierliche Begleitung und sozialpädagogisches Angebot sicher stellen

Für einen Teil der benachteiligten jungen Menschen ist eine kontinuierliche Begleitung notwendig von der Schule über die Ausbildungsphase bis zur dauerhaften beruflichen und gesellschaftlichen Integration. Die Zuständigkeit für dieses Angebot ist klar zu regeln. Bei entsprechendem Förderbedarf müssen zudem alle Angebote im SGB II und III mit sozialpädagogischer Begleitung kombinierbar sein.

… Für die jungen Menschen, bei denen ein entsprechender Bedarf besteht, sollte die kontinuierliche Begleitung durch eine qualifizierte Person ermöglicht werden, um ein verlässliches personales Angebot bei der Bewältigung von Problemlagen und an allen Übergängen von der Schule über die Ausbildung bis zum Eintritt in Erwerbsarbeit zu gewährleisten. Diese Begleitung leistet verlässliche Beziehungsarbeit, die sich am jungen Menschen ausrichtet und anwaltschaftlich für ihn eintritt.

Darüber hinaus müssen alle Förderangebote aus dem SGB II und III für Jugendliche im Sinne einer jugendhilfeorientierten Ausrichtung mit sozialpädagogischer Begleitung kombinierbar sein. Dies ist Voraussetzung dafür, dass gezielte Hilfen bedarfsgerecht erbracht werden können und Krisenintervention jederzeit erfolgen kann.

##1.4 Gemeinsame Anlauf- und Koordinierungsstellen einrichten

Das Angebot zur Unterstützung der beruflichen und sozialen Integration junger Menschen soll in einer gemeinsamen Anlaufstelle zusammengeführt werden. Wegen der weitestgehenden Zielsetzung soll die Jugendhilfe die Federführung haben und die Hilfe koordinieren. Im Sinne einer kohärenten Förderung sollen die Ressourcen der Sozialgesetzbücher II, III und VIII flexibel und einander ergänzend sowie aufeinander abgestimmt für eine effektive Hilfestellung eingesetzt werden.

Die Vielzahl der Einzelprogramme spiegelt die Bemühungen der Politik und Gesellschaft, benachteiligte junge Menschen zu fördern. In der Praxis werden die in großer Vielzahl existierenden Programme kaum abgestimmt und stehen teilweise in Konkurrenz zueinander. Damit die Programme ihre Wirkung entfalten können, müssen sie aber zu einer Gesamtstrategie zusammen geführt werden. …

Außerdem müsste gewährleistet werden, dass die jungen Menschen nur eine Anlaufstelle mit einer qualifizierten Ansprechperson haben. Eine solche Anlaufstelle sollte auch psychosoziale Hilfen wie Suchtberatung, Schuldnerberatung und psychologische Beratung umfassen, um die multiplen Problemlagen ganzheitlich bearbeiten zu können. In enger Kooperation kann von dieser Anlaufstelle der Übergang zu den Hilfen zur Integration in Ausbildung und Arbeit erfolgen. Die verbindliche Einrichtung solcher lokalen Koordinierungs- und Anlaufstellen sollte gesetzlich verankert werden. Sie sind mit entsprechenden Finanzmitteln und der notwendigen Handlungsmacht auszustatten.

Voraussetzung für die Gestaltung einer gelingenden kohärenten Förderung ist es, die bestehenden Gesetze dahingehend zu entwickeln und zu profilieren, dass ihre Leistungen kombinierbar werden und so die jungen Menschen in ihren spezifischen Lebens- und Problemlagen bei ihrer persönlichen, schulischen und beruflichen Entwicklung unterstützen. Dem dürfen auch haushaltsrechtliche Argumente nicht im Weg stehen, vielmehr sind solche Barrieren wegen der hohen Priorität der Integration aller jungen Menschen zu überwinden.

##1.5 Abgestimmte Hilfen aus allen Rechtskreisen gewährleisten

Jeder junge Mensch mit Hilfebedarf muss ein individuelles Angebot erhalten. Durch gemeinsame Hilfeplankonferenzen der Jugendhilfe mit dem SGB II- und dem III-Träger wäre die gemeinsame Verantwortung und die Kombination der Hilfen aus den unterschiedlichen Rechtskreisen gewährleistet.

Vergleicht man die Zielsetzungen des SGB II und III mit denen des SGB VIII, zeigt sich, dass die Ziele der Jugendhilfe weiter reichen. … Hieraus lässt sich die Forderung ableiten, dass junge Menschen mit hohem Förderbedarf eine über das SGB II bzw. SGB III hinausreichende – zusätzliche – Förderung durch das SGB VIII benötigen. Auch für erwerbsfähige junge Hilfebedürftige, die aufgrund von Sanktionierung keine Leistungen der Grundsicherung mehr erhalten, ist eine rechtliche Regelung im Sinne eines jugendhilfeorientierten Auffangnetzes notwendig. Um ein dauerhaftes Abrutschen dieser jungen Menschen in Armut zu verhindern, sind weiterhin Hilfen zur (Re-)Integration in Beruf und Gesellschaft, z. B. durch Beratung und Begleitung aber auch durch Existenzsicherung, erforderlich.

Gemeinsame Hilfeplangespräche eignen sich als Instrument, die gezielten Hilfen zur gesellschaftlichen und beruflichen Integration unter Beteiligung des jungen Menschen zu gestalten. Durch eine gemeinsame Analyse der Ausgangssituation können die bedarfsgerechten Hilfsangebote aus dem vorhandenen Portfolio ausgesucht werden. Weiterhin muss der Einsatz der Ressourcen der Träger des SGB II, SGB III und SGB VIII verbindlich vereinbart und Evaluationszyklen zur Optimierung und Steuerung der vereinbarten Hilfen geplant werden. Die Hilfeplangespräche bieten auch eine transparente und nachvollziehbare Grundlage für entsprechende Eingliederungsvereinbarungen. Um die verbindliche Nutzung eines solchen Instruments sicher zu stellen, ist dies entsprechend in den Sozialgesetzbüchern zu verankern.

##1.6 Nachträglichen Erwerb eines Schulabschlusses neu regeln

Der Rechtsanspruch auf die Förderung des Nachholens des Hauptschulabschlusses muss über berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen hinaus auch im Rahmen anderer geeigneter Maßnahmeformen eingelöst und finanziert werden.

Die herausragende Bedeutung des Schulabschlusses für den Start in das Berufsleben ist vielfach belegt. Jugendliche ohne Schulabschluss haben in der Praxis kaum eine Chance auf einen Ausbildungsplatz und einen späteren Berufsabschluss. Um doch noch einen Schulabschluss zu erreichen, brauchen sie eine zweite und dritte Chance sowie eine individuell ausgerichtete Förderung. Derzeit besteht für Jugendliche ein Rechtsanspruch zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses lediglich im Rahmen berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen nach § 61 a SGB III. Dieses Instrument ist unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht geeignet, um speziell Jugendliche mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen an den Hauptschulabschluss heranzuführen. Die fachlichen Anforderungen der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen, die Berufsorientierung, -erprobung und –integration beinhalten, sind ohnehin sehr komplex und der Förderzeitraum ist für zusätzliche Förderelemente wie den Hauptschulabschluss zu kurz.

Jugendliche mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen benötigen vielmehr eine niedrigschwellige Förderung. Angebote zur Förderung von Lern- und Leistungskompetenzen sowie der Persönlichkeitsstärkung müssen mit Maßnahmen, die der Überwindung persönlicher und sozialer Problemlagen dienen, kombiniert werden. Das Recht zum Nachholen eines Schulabschlusses darf deshalb nicht auf berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen allein beschränkt sein.

##1.7 Triale Ausbildungsmodelle ausbauen

Betriebe und Einrichtungen der Jugendberufshilfe müssen mit verbindlicher Unterstützung aus dem SGB II, SGB III und SGB VIII in die Lage versetzt werden, die Ausbildung Benachteiligter in einem entsprechenden Vertragsverhältnis miteinander erfolgreich zu gestalten.

Unternehmen bedienen sich gerne eines Praktikums, um die Eignung von Jugendlichen für eine Ausbildung in ihrem Betrieb zu testen. Die „Brücke Praktikum“ wird jedoch erst dann tragfähig, wenn dieses in eine angemessene Vorbereitung sowie anschließend in eine unterstützende Begleitung des Ausbildungsverlaufs eingebunden ist. Wichtig ist hier vor allem eine personelle Kontinuität in der Begleitung, damit sowohl der ausbildende Betrieb als auch der Auszubildende ein verlässliches Unterstützungssystem mit einem festen Ansprechpartner haben. Unter diesen Bedingungen werden Betriebe verstärkt bereit sein, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.

Zum Teil kann dies über die kooperative Form der Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen (BaE) realisiert werden. Zur Integration von mehr Benachteiligten in betriebliche Ausbildung sollte ergänzend die bundesweite Förderung trialer Ausbildungskonzepte in Kooperation von Betrieben, Berufsschulen und Jugendberufshilfe gefördert werden. … In diesem ergänzenden Konzept geht die Initiative vom Jugendlichen und vom Betrieb aus, die den entsprechenden Träger auswählen. Es kommt zu einem Vertragsverhältnis zwischen dem Jugendlichen, dem Betrieb und dem Träger. Die Bundesagentur bzw. der Grundsicherungsträger finanzieren dabei die notwendige Unterstützung. Diese Ausbildungsform kann als ein Lösungsmodell für die Überwindung des drohenden Fachkräftemangels angesehen werden.

2. Notwendige Rahmenbedingungen zur Umsetzung der Instrumentenreform
Eine zentrale Forderung der Katholischen Jugendsozialarbeit ist, dass Pflichtleistungen nicht in Ermessensleistungen umgewandelt werden dürfen, dies betrifft im Jugendbereich insbesondere den Rechtsanspruch auf Vorbereitung auf einen Schulabschluss (§ 61a SGB III) und die Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (§ 61 SGB III). Zusätzlich ist im SGB II die Gewährung sozialintegrativer Leistungen als Pflichtleistung auszugestalten.

Die Erfahrungen aus der Jugendsozialarbeit zeigen deutlich, dass gerade zur Durchführung von passgenauen Angeboten für Benachteiligte individuell zugeschnittene Maßnahmen anstelle von ausgeschriebenen Standardpaketen benötigt werden. Zu Gunsten von jungen Menschen mit multiplen Problemlagen werden Alternativen zur aktuell praktizierten öffentlichen Ausschreibung benötigt. Hier kommt zum einen der Abschluss von Leistungserbringungsverträgen nach § 17 Abs. 2 SBG II in Betracht. Aber auch im Rahmen des Vergabeverfahrens müssen die Spielräume bei der Anwendung der VOL/A erweitert werden, z.B. sind die Möglichkeiten der freihändigen Vergabe oder das dialogorientierte Vergabeverfahren nach § 101 Abs. 4 GWB offen zu halten. Dieses spezielle Verfahren findet Anwendung bei komplexen Sachverhalten und erlaubt den Anbietern, eigene Lösungsvorschläge für die vielschichtigen Bedarfslagen der Zielgruppen einzubringen. In dem mehrstufigen Verfahren sind auch Nachverhandlungen möglich, so dass ein möglichst passgenaues Angebot für die individuellen Problemlagen der Maßnahmeteilnehmer/-innen gefunden werden kann.

Entscheidend für den Erfolg einer reformierten Arbeitsmarktpolitik wird sein, wie die Zielvereinbarungsprozesse gesteuert werden. Damit die Interessen benachteiligter junger Menschen Berücksichtigung finden, sind die Jugendhilfe sowie die Träger der Jugendsozialarbeit in die örtlichen Beiräte einzuberufen.

3. Modellprojekt zur individuellen Förderung junger Menschen – ein Beispiel
Die Erfahrungen mit häufigem Maßnahmewechsel oder Maßnahmeketten ist für junge Menschen am Übergang Schule – Ausbildung – Beruf“ nicht entwicklungsfördernd. Insbesondere junge Menschen mit hohem Förderbedarf sind auf ein individuell zugeschnittenes Angebot und auf eine kontinuierliche Begleitung durch Bezugspädagogen angewiesen. Eine Förderpraxis, die dies stärker berücksichtigt, ist anzustreben.

Deshalb sollte es zu Veränderungen in der Förderpraxis kommen. Es sollte ein Projekt erprobt werden, das die Struktur der Maßnahmeförderung zu Gunsten einer individuellen Förderung junger Menschen mit besonderem Förderbedarf verändert. Der Grundsatz „Arbeitsmarktpolitik ist regionale Politik“ fände in diesem Ansatz Berücksichtigung. Für einen bestimmten Zeitraum (z. B. drei bis vier Jahre) sollten einem Träger/Trägerkonsortium Plätze zur individuellen Förderung im Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf (ggfls. inklusive der Berufsausbildung) zur Verfügung gestellt und finanziert werden. Jeder junge Mensch erhält ein auf ihn abgestimmtes, individuelles, flexibles „Angebotspaket“ mit genau den Förderbausteinen, die er benötigt. Dies ließe nicht nur eine hohe Effektivität, sondern auch eine hohe Effizienz erwarten. Bedingt durch die individuelle Förderdauer, könnten mehr Jugendliche integriert werden, als dies bei starren Maßnahmeformen der Fall ist. Hierdurch kann auch eine höhere Kosteneffizienz erreicht werden. Die Überprüfung der Wirksamkeit und der Effizienz sollte durch eine wissenschaftliche Begleitung erfolgen.“

Das Positionspapier Konzepte und Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Integration benachteiligter junger Menschen in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang oder aufgeführtem Link.

www.bagkjs.de/stellungnahmen

Quelle: BAG KJS

Dokumente: 2010_07_01_Positionspapier_BAG_KJS___Konzepte_und_Rahmenbedingungen.pdf

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