„Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e.V. hatte gemeinsam mit den Mitveranstaltern, den Landesarbeitsgemeinschaften der Katholischen Jugendsozialarbeit Bayern und Nordrhein-Westfalen sowie der Arbeitsgruppe der Landesarbeitsgemeinschaften in den östlichen Bundesländern in das Don-Bosco-Zentrum nach Berlin-Marzahn eingeladen. Rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten dieser Einladung und diskutierten das Phänomen der Jugendarmut unter dem Blickwinkel �20 Jahre Deutsche Einheit’.
In den einführenden Vorträgen des Wirtschaftssoziologen Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg und des Jugendhilfeexperten Prof. Dr. Titus Simon spielte die Ost-West-Perspektive in den Vorträgen eine wichtige Rolle.
Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg verdeutlichte, dass die Entwicklungen im Osten besonders dramatisch sind. Der Anteil an von Armut betroffenen Menschen steigt seit dem Jahr 2000 stetig an, allerdings sind schnelle „Abstürze“ eher die Ausnahme. Die Entwicklung hin zur Betroffenheit von Armut lässt sich durch Bewegung innerhalb der sozialen Schichten bzw. ihrer Grenzbereiche festmachen. In Westdeutschland lebt knapp die Hälfte der Bevölkerung in gesichertem Wohlstand. In Ostdeutschland etwas weniger. Die Gruppe derer, die in instabilem Wohlstand leben nimmt ab, stattdessen steigt die Gruppe derjenigen, die in verfestigter Armut leben an. Diese Personengruppe ist in Ostdeutschland überrepräsentiert. Besondere Gefahr sah Groh-Samberg in der Verstetigung des Lebens in Armut. Wenn jungen Menschen keine Perspektive auf Teilhabe am Erwerbsleben eröffnet wird, sie damit nicht in die Sozialsysteme einzahlen, verfügen sie im Alter über keine Einkünfte aus der Rentenkasse. Wird die Jugendarmut von heute nicht gestoppt, produzieren wir damit die Altersarmut von morgen.
Prof. Dr. Titus Simon gab einen Einblick in die Entwicklung des Kinder- und Jugendhilfe-Gesetzes – das heutige SGB VIII. Er hob die besondere Rolle hervor, die der Jugendhilfe zukommt, um junge Menschen darin zu unterstützen ihr Leben gelingend gestalten zu können. Zur Unterstützung der am meisten von Armut betroffenen Altersgruppe, der Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren, mahnte Simon ein neues Verständnis des „Zugang findens“ an. In der Arbeit mit von Armut betroffenen oder bedrohten jungen Menschen, wohnungslosen Jugendlichen oder Straßenkindern sei auf Seiten der öffentlichen Jugendhilfe die sozialarbeiterische Maxime des „Zugang findens“ neu zu definieren.
Im weiteren Verlauf der Tagung setzte die Diskussionsrunde mit dem Titel „Und nun, liebe Jugendsozialarbeit?“ den Fokus auf die gesamtdeutsche Perspektive. Zentraler Diskussionspunkt bei der Frage „Wie kann Jugendarmut wirkungsvoll bekämpft werden?“ waren die im SGB II vorgesehenen Sanktionen für junge Menschen, die Auflagen und Vorgaben des Grundsicherungsträgers nicht entsprechend nachkommen. Stephan Krug von der Straffälligenhilfe des Caritasverbandes Berlin stellte heraus, dass die Jugendlichen zeitweise gar nicht in der Lage seien, das von Ihnen geforderte Verhalten einzuhalten. Sanktionen werden bei unter 25-Jährigen schneller und häufiger verhängt als bei Erwachsenen. Die Sanktionsoption als Drohszenario erziele durchaus Effekte, habe aber selten den gewünschten Nutzen, ergänzte Thomas Velmerig, der für den katholischen Sozialdienst Hamm in der Wohnungslosenhilfe tätig ist. Professor Simon unterstützte in diesem Zusammenhang die Forderung der Jugendsozialarbeit nach Jugendhilfe-Angeboten ohne Vorbedingungen und ohne Koppelung an die Grundsicherung für Hilfebedürftige.
Eckart Wieja, Geschäftsführer der ARGE Augsburg Stadt, sprach den Wunsch aus, Jugendlichen die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen zu können und hierzu entsprechend kreative Maßnahmen und Angebote gemeinsam mit der Jugendsozialarbeit zu entwickeln, die über das 18. Lebensjahr hinausgehen. Zum Abschluss der Diskussionsrunde hielt Marianne Tenhünfeld vom Don Bosco Zentrum Chemnitz ein Plädoyer für die Vernetzung der Jugendsozialarbeit mit weiteren Akteuren der Sozialen Arbeit aus angrenzenden Bereichen.
Im Anschluss an die Diskussionsrunde waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gefordert im Rahmen eines World Cafés in den Dialog über das Thema Jugendarmut einzutreten. Dabei wurden vor allem eine verlässliche Beziehungsarbeit sowie verstärktes Arbeiten in Netzwerken gefordert. Als Auftrag an die Jugendsozialarbeit wurde das „Nachdenken über neue Beschäftigungsformen zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit“ formuliert. Die Diskussion wurde sowohl von einem jugendlichen Videoteam aus dem Magdalena Jugendzentrum in Berlin mit der Kamera verfolgt als auch von Dr. Andreas Oehme, Uni Hildesheim, und Andrea Redding, BAG KJS, beobachtet und kommentiert.
Pater Franz-Ulrich Otto, Vorsitzender der BAG KJS schloss die Podiumsdiskussion am Veranstaltungsende ab, mit dem Wunsch an die Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau Sybille Laurischk, die partnerschaftliche Zusammenarbeit der öffentlichen Jugendhilfe und der freien Träger weiter auszubauen und zu intensivieren.“
www.jugendarmut.info
Quelle: BAG KJS, A. Redding