Gewerkschaftliche Anforderungen an die Neuorganisation der Jobcenter

Die politisch Verantwortlichen müssen bis spätestens Mitte 2010 eine vollzugsfähige Verwaltung sicherstellen, die ab dem 01.01.2011 reibungslos arbeiten kann, fordert der DGB. Diese müsse den vielfältigen arbeitsmarktpolitischen und sozialen Problemen besser Rechnung tragen als bisher. Der Gewerkschaftsbund sieht in der Neuorganisation der Jobcenter eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit höchster Priorität und Dringlichkeit. Diese Neuorganisation habe weitreichende Konsequenzen – nicht nur für die mehr als 6,5 Mio. auf Hilfe angewiesenen Menschen.

Der DGB appelliert an die Verantwortlichen, sich nicht von machtpolitischen oder finanziellen Interessen von Bund, Ländern und Kommunen leiten zu lassen. Statt dessen seien die bisherigen Defizite zu beseitigen, wie die unzureichende Vernetzung arbeitsmarkt- und sozialintegrativer Leistungen. Eine bessere und bürgerfreundlichere Vermittlung und Betreuung muss das Ziel sein. Auch gelte es, dem Verfassungsauftrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland gerecht zu werden. Bundesweit muss eine bessere Unterstützung von Arbeitsuchenden und ihren Familien sowie der erwerbstätigen Armen sichergestellt werden, ebenso wie Chancengleichheit aller Einkommensschwachen auf Teilhabe am Erwerbsleben.

Aus gewerkschaftlicher Sicht müssen insbesondere folgende Anforderungen gewährleistet werden:
Inhaltliche Anforderungen an eine verfassungskonforme
Organisationsstruktur

1. Erwerbslose in vergleichbarer Lebenslage müssen gleich behandelt werden und gleiche Förderchancen erhalten, egal von welchem Organisations- oder Finanzierungssystem sie betreut werden. Dies gilt für das Versicherungs- wie das Hartz IV-System gleichermaßen.

2. Der einheitliche Arbeitsmarkt darf nicht aus dem Blick geraten. So müssen die ohnehin bestehenden Reibungsverluste infolge vielfältiger Schnittstellen zwischen Hartz IV (SGB II) und Arbeitslosenversicherung (SGB III) verringert und nicht etwa vergrößert werden.

Bis zur Überwindung der Spaltung in zwei Rechtskreise muss zumindest ein reibungsloser Übergang zwischen den Rechtskreisen SGB III und SGB II gewährleistet werden und Schnittstellen bei Berufs-, Arbeitsmarkt-, Weiterbildungs- und Rehabilitationsberatung sowie beim Arbeitgeberservice abgebaut und nicht vergrößert werden. Besonders
problematisch sind die gesetzlichen Regelungen bei der Ausbildungsvermittlung und der beruflichen Rehabilitation.

So ist die Ausbildungsvermittlung für Jugendliche einkommensarmer Eltern beispielsweise Aufgabe des Hartz IV-Systems, während die Berufsorientierung und Beratung für diesen Personenkreis Aufgabe der Arbeitslosenversicherung ist. Die Kinder von Beitragszahlern mit mittleren Einkommen werden ebenso wie jene von Gutbetuchten generell von der Arbeitslosenversicherung betreut. Der DGB hat mehrfach vergeblich angeregt, diese Aufgabe ebenso wie die berufliche Rehabilitation aus einer Hand sicherzustellen und bei den Arbeitsagenturen anzusiedeln.

3. … Für die Qualität von Arbeitsmarktdienstleistungen müssen bundesweit einheitliche Standards gelten. Dafür sind klare und einheitliche Strukturen in der Aufsicht und der Steuerung erforderlich. In diesem Rahmen sollten zugleich klar definierte regionale Umsetzungsspielräume eröffnet werden, die regionale Netzwerke fördern.

4. Eine überregionale Vermittlung von Ausbildungs- und Arbeitsstellen ist neben einer regionalen unverzichtbar. Es muss verhindert werden, dass Einkommensarme schleichend von regionalen finanziellen Spielräumen und einer unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Hartz IV-Träger abhängig werden. Kontraproduktiv sind ebenso Doppelstrukturen bei der Betreuung von Arbeitgebern. Entgegengewirkt werden muss einem Lohnkostensubventionswettbewerb ebenso wie Verschiebebahnhöfen unter lokalen Trägern oder anderen Wettbewerbsverzerrungen bei der Gewährung von arbeitsmarktpolitischen
Leistungen.

5. Um die notwendige Verzahnung von sozial integrativen Leistungen mit den klassischen arbeitsmarktpolitischen Hilfen garantieren zu können, müssen die Kommunen sicherstellen, dass ihre ergänzenden Leistungen (wie Schuldnerberatung) auch tatsächlich bedarfsgerecht zur Verfügung stehen. …

6. Es sollte sichergestellt werden, dass die Fördermittel für Hartz IV-Empfänger pro Kopf in den nächsten Jahren keinesfalls reduziert werden. Dringend ausgebaut werden muss beispielsweise die nachgehende Betreuung nach einer Arbeitsaufnahme, um einem häufigen Rückfall ins Hartz IV-System besser entgegenwirken zu können, als bisher.
Zugleich sollte sichergestellt werden, dass der von der großen Koalition geschaffene Beschäftigungszuschuss für besonders benachteiligte Personen nicht gedeckelt und damit ausgehöhlt wird, sondern das vereinbarte Fördervolumen von 100.000 Personen auch tatsächlich eröffnet wird.

8. Die Forcierung des Niedriglohnsektors durch Zulassen und Fördern von Lohndumping im Hartz IV-System muss beendet werden. Insbesondere die Zumutbarkeitsregelung muss so geändert werden, dass nur tarifliche bzw. ortsübliche Löhne akzeptabel sind.

Klare finanzielle Verantwortlichkeiten und einheitliche Aufsicht
9. Der Bund ist und bleibt Hauptfinanzier des Hartz IV-Systems. Die Bekämpfung der (Langzeit-)Arbeitslosigkeit und die Beschäftigungsförderung sind primär Bundessache und es ist Aufgabe des Bundes, für gleichwertige Lebensverhältnisse bundesweit zu sorgen.

10. Finanzierung, Aufgaben und Kompetenzen müssen eng verknüpft werden. Anderenfalls sind Zielkonflikte programmiert. …

Die Verantwortlichkeiten sind – der Finanzierung folgend – so zu regeln, dass ein einheitliches Steuerungs- und Controllingsystem sichergestellt wird und die Ergebnisse den staatlichen Ebenen eindeutig zurechenbar sind. Letzteres entspricht auch der Forderung des Verfassungsgerichts im Zusammenhang mit dem Demokratiegebot des
Grundgesetzes.

11. Der Bund sollte über seine bisherigen finanziellen Verantwortlichkeiten im Hartz IV-System hinausgehend eine Kofinanzierung bei sozial flankierenden Leistungen eröffnen, soweit Kommunen diese Aufgaben tatsächlich den Grundsicherungsstellen übertragen. Denn bisher übertragen viele Kommunen – oft aus finanzieller Not – keine oder nicht ausreichend Ressourcen auf die Grundsicherungsstellen. Insbesondere in Krisenregionen und Städten mit sozialen Brennpunkten werden Kommunen diese wichtige Aufgabe aus eigener Kraft kaum im erforderlichen Umfang meistern können.

12. Die Verschiebebahnhöfe zu Lasten der beitragsfinanzierten Arbeitslosenversicherung und zu Gunsten des steuerfinanzierten (Hartz IV-) Systems müssen beseitigt werden. Hierzu zählt beispielsweise … die Finanzierung von berufsvorbereitenden Maßnahmen auch für Hartz IV-Empfänger aus Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung.

14. Zur Klärung von Konflikten und zur Verringerung von Verfahren vor den Sozialgerichten schlägt der DGB vor, gemeinsame Gesprächsrunden von Hartz IV-Trägern und Sozialgerichten einzurichten und das Personal intensiv aus- und weiterzubilden.

Bessere personelle Ausstattung
16. Ein guter Betreuungsschlüssel ist Grundvoraussetzung für eine bessere Betreuung und Unterstützung der von Einkommensarmut Betroffenen. Ein realitätsnaher und transparenter Betreuungsschlüssel, der vor Ort auch umgesetzt wird, sollte daher vorgeschrieben werden. Zugleich muss der Anteil befristet Beschäftigter bei den Trägern deutlich reduziert und die Qualifikation des Personals verbessert sowie ein hoher und einheitlicher Weiterbildungsstandard vorgesehen werden.

17. Ein ausreichender und stabilerer Personalbestand, eine einheitliche Personalentwicklung und die einheitliche Entlohnung vergleichbarer Tätigkeiten sind notwendig. Ein personeller Wechsel auf freiwilliger Basis zwischen Arbeitslosenversicherung und Hartz IV-System muss möglich bleiben und finanzielle Nachteile für das eingesetzte Personal müssen verhindert werden.

18. Die Zeit drängt, denn die Träger brauchen ausreichend Zeit zur Vorbereitung auf die neue Organisationsform zum 01.01.2011. Einer Nacht- und Nebelaktion, wie im Vermittlungsausschuss bei Einführung des Hartz IV-Systems, gilt es entgegenzutreten. Der Zick-Zack-Kurs von CDU geführten Ländern und der Regierungskoalition hat den Zeitdruck leider enorm erhöht. Klare Entscheidungen, die sich an diesen Erfolgsfaktoren orientieren, sind mehr als zwei Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts überfällig.“

www.dgb.de

Quelle: DGB-Bundesvorstand

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