Marieluise Beck: Generation von jungen Migranten, die keinen Platz in dieser Gesellschaft bekommen, wird deutlich teuer.

Einwanderung ist Realität, fehlende Integration teuer   Auszüge aus einem Interview mit Marieluise Beck, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration “ … tagesschau.de: Frau Beck, Sie kommen gerade von einer Konferenz der Integrationsbeauftragten von Bund, Ländern und Kommunen. ‚Zukunftsaufgabe Integration‘ war deren Motto. Was war das wichtigste Ergebnis? Marieluise Beck: Das wichtigste Ergebnis ist die Anerkennung der Tatsache, dass inzwischen jedes vierte neugeborene Kind ein Elternteil mit Migrationshintergrund hat. Daher muss Ausländerpolitik mehr sein als Minderheitenpolitik, die ordnungspolitisch ausgerichtet ist. Integration muss in allen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen mitberücksichtigt werden. Das gilt für die Ausbildung, den Arbeitsmarktzugang, die Gesundheitspolitik oder die Altenpflege. tagesschau.de: Das heißt, die Integration von Ausländern rückt mehr in die Mitte der Kommunalpolitik? Beck: So ist es. Während auf Bundesebene häufig große ideologische Auseinandersetzungen stattfinden, wird in den Kommunen und in den Quartieren gehandelt – weil die Realität zum Handeln zwingt. Bürgermeister, die im Viertel einen hohen Anteil an Kindern haben, deren Muttersprache nicht deutsch ist, beginnen Frühförderkurse einzurichten. Oder es wird dafür gesorgt, dass in den Grundschulen Deutsch als Zweitsprache integraler Bestandteil des Unterrichts wird. tagesschau.de: Gibt es Beispiele, wo die Integration besonders gut gelingt? Beck: Die besten Beispiele findet man immer in den Quartieren, in denen man Integrationskonzepte entwickelt hat. Wo gesagt wird, Einwanderung ist Realität, wir wollen die Einwanderungsgesellschaft gestalten: Daher beziehen wir die Migranten in die Gestaltung unseres Viertels mit ein. … tagesschau.de: Findet das Integrationsproblem genügend Aufmerksamkeit? Beck: Ich sehe schon, dass sich langsam die Erkenntnis breit macht, dass es nicht um ideologische Schlammschlachten geht, sondern um eine zupackende Integrationspolitik tagesschau.de: Was kostet Integration? Beck: Integration kostet natürlich. Die bessere Ausstattung von Kindergärten und Schulen, die Frühförderung von Kindern hat ihren Preis. Aber ich schwöre ihnen: Eine verlorene Generation von jungen Migranten, die keinen Platz in dieser Gesellschaft bekommen, wird deutlich teuer. tagesschau.de: Sollte es einen Regierungswechsel geben – was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die Integrationsbemühungen. Kontinuität oder Bruch? Beck: Ich fürchte, dass auf der Bundesebene der Blick wieder stärker auf die Ordnungspolitik gerichtet wird. In dem Sinn: Wir machen ein scharfes Ausländerrecht und dann werden sich die Ausländer schon integrieren. Damit kann man das Problem nicht beherrschen. Integration kann man nicht nur fordern, man muss sie auch fördern. Es geht vor allem darum, auch für Migranten Chancen zu schaffen. Berlin hat 35.000 Auszubildende in IHK-Berufen, nur 490 von ihnen haben einen türkischen Pass. Das ist eine Katastrophe. tagesschau.de: Befürchten Sie, dass Integration zum Wahlkampfthema wird? Beck: Ich habe keine Angst vor Wahlkampf-Auseinandersetzungen. Wahlkämpfe sind dazu da, die Bevölkerung anzusprechen. Ich gehe davon aus, dass die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik im Zentrum steht. Die rechten Parteien versuchen vielleicht, mit schlichten Antworten eine vermeintliche Erklärung zu geben: dass wir keine Probleme hätten, wenn es keine Ausländer gäbe. Das ist falsch. Unsere Ökonomie würde ohne die Migranten in sich zusammenfallen. Wir wissen, dass gerade in den Stadtvierteln die Kleinökonomie weitgehend von Migranten getragen wird. Eine Debatte in dieser Richtung wäre fatal.“

Quelle: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID4375930_TYP6_THE_NAV_REF1_BAB,00.html, Interview mit Marieluise Beck vom 26.5.2005

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