GEW-Positionen zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule

GEW-Positionen zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule Beschluss des 25. Gewerkschaftstages der GEW vom 23.-27. April 2005 in Erfurt Elf Forderungen für ein konsistentes Gesamtsystem von Bildung, Erziehung und Betreuung “ 1. Die Gesellschaft muss sich stärker als bisher der öffentlichen Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen stellen. Ob Heranwachsende eine gute Kindheit und eine perspektivenreiche Jugend haben, ist keine private Angelegenheit der einzelnen Familien. Eltern haben das Recht und die Pflicht, für ihre Kinder zu sorgen, ihnen eine gute Kindheit und eine zukunftsreiche Jugend zu ermöglichen. Die Gesellschaft hat die Pflicht, sie dabei mit staatlich organisierten Angeboten zu unterstützen. Nur wenn beide zusammen arbeiten und sich ergänzen, kann die individuelle und soziale Entwicklung eines jeden Kindes optimal gefördert, Bildungsbereitschaft und Bildungserfolg gesichert, können Benachteiligungen abgebaut und Chancengleichheit verwirklicht werden. Dies sind Voraussetzungen für ihre individuelle Entfaltung und Teilhabe an der Gesellschaft. Aufgaben und Selbstverständnis von Jugendhilfe und Schule haben sich verändert. Jugendhilfe ist heute mehr als „Fürsorge für Benachteiligte„ früherer Zeiten, sie macht Angebote zur Erziehung, Bildung und Betreuung und stellt vielfältige sozialpädagogische Dienste für alle Kinder und Jugendlichen bereit. Schule ist heute mehr als eine Unterrichtsanstalt am Vormittag. Sie gewinnt zunehmend ein ganzheitliches pädagogisches Profil, überwindet die auf passiven Wissenserwerb gerichtete Belehrungsschule und beteiligt sich an Erziehung und Betreuung. In den Mittelpunkt rückt das aktive Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung eines jeden jungen Menschen. Jugendhilfe und Schule als die beiden für das Aufwachsen von Kindern zentralen, öffentlich verantworteten Institutionen entwickeln zunehmend ein gemeinsames Verständnis von ihren Funktionen und Aufgaben für Bildung, Erziehung und Betreuung junger Menschen. Dieser Prozess der Verständigung über eine gemeinsame Basis des pädagogischen Handelns muss systematisch und energisch vorangetrieben werden. Die GEW fordert, dass sich Jugendhilfe und die Schule systematisch weiterentwickeln, zu einem konsistenten, d.h. aufeinander bezogenen und miteinander verschränkten Gesamtsystem von Bildung, Erziehung und Betreuung. 2. Schule und Jugendhilfe sind unterschiedlich konstruierte Systeme. Das Schulsystem wird staatlich in Verantwortung der Bundesländer gesteuert. Schulträger sind in der Regel die Kommunen. Sie sind zuständig für die sog. äußeren Schulangelegenheiten. Diese Aufgabenverteilung garantiert auf Länderebene eine gewisse Verlässlichkeit und Stabilität, führt aber dazu, dass bundesweit kaum vergleichbare Maßstäbe gelten und Reformprozesse lange brauchen. Für die Jugendhilfe gibt es eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung mit weitgehenden Gestaltungsspielräumen der Länder. Die Umsetzung und die Gewährleistung für die Angebote und Dienste liegt bei den Kommunen, den Landkreisen und kreisfreien Städten. Die Grundprinzipien der Subsidiarität und der Pluralität haben zur Folge, dass vorrangig nichtstaatliche Organisationen Jugendhilfeleistungen erbringen. Das führt dazu, dass die Jugendhilfe als schwer zu durchschauendes Gebilde angesehen wird. Andererseits hat sie den Vorteil der Flexibilität, des schnellen Reagierens auf aktuelle Herausforderungen. Die GEW fordert, die Funktionsweise der Systeme von Schule und Jugendhilfe auf Länder und kommunaler Ebene stärker aufeinander zu beziehen. Für beide muss es auf Landesebene einheitliche und auf Bundesebene vergleichbare Standards geben, die ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Qualität haben. Die kommunale Ebene muss so gestärkt werden, dass die Angebote von Schule und Jugendhilfe zu den jeweiligen Lebenssituationen und Bildungsbedürfnissen der Kinder und Jugendlichen passen. 3. Die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule muss organisiert und unterstützt werden, sie kann nicht nur der Initiative einzelner Schulen überlassen werden. Die einzelne Bildungseinrichtung vor Ort ist schnell überfordert, soll sie die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule ohne Unterstützung bewerkstelligen. Übrig blieben einige wenige „Leuchtturmschulen„ und Modelleinrichtungen, so dass die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule vielerorts vom Engagement einzelner abhängig wäre und wohl zusammenbrechen würde, wenn sich diese Personen zurückziehen. Die GEW fordert, zur besseren Koordinierung von freien und öffentlichen Trägern der Jugendhilfe mit der Schule kommunale Servicestellen einzurichten. Diese sollen die Aufgabe haben, eine gemeinsame Jugendhilfe und Schulentwicklung vorzubereiten, über die Leistungsfähigkeit und Entwicklungsfortschritte der Systeme zu berichten und die Finanzverwaltung sicherzustellen. Darüber hinaus kann in den Servicestellen der Einsatz von Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Arbeits- und Berufsfeldern organisiert und die unterschiedlichen Unterstützungssysteme koordiniert werden. 4. Verständnis für den gemeinsamen pädagogischen Auftrag sowie für die professionellen Merkmale und Anforderungen in den je unterschiedlichen Einsatzfeldern in Jugendhilfe und Schule lässt sich nur erreichen, wenn die „Verinselung„ der Fachdisziplinen Schulpädagogik und Sozialpädagogik bereits während des Studiums aufgehoben und in der Berufsphase durch vielfältige gemeinsame Fortbildungsangebote unterstützt wird. In Fallstudien und in gemeinsamen (Forschungs-) Projekten sollen bereits während des Studiums die Möglichkeiten der sozial und schulpädagogischen Herangehensweise erfahren werden. Die GEW fordert, dass die Vermittlung gemeinsamer pädagogischer Grundlagen in der erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Lehre und Forschung eine stärkere Bedeutung erhält und in gemeinsamen Studienanteilen und Fortbildungsangeboten verankert wird.   5. Der erste Bereich, in dem Jugendhilfe und Schule kooperieren, ist der Übergang von der Kindertagesstätte in die Grundschule. Tageseinrichtungen für Kinder werden in naher Zukunft nach landeseinheitlichen Bildungsplänen arbeiten. Schulen können und müssen auf die Erziehungs- und Bildungsprozesse der KitaZeit aufbauen. Dies setzt voraus, dass die Schule nicht alleine definieren kann, wie Bildung in früher Kindheit zu verlaufen hat. Sie muss sich auf die kind- und lebensweltbezogene Orientierung frühkindlicher Pädagogik einstellen. Kita und Schule müssen sich auf dem Weg zur „Schulfähigkeit„ der Kinder und zur „Kinderfähigkeit„ der Schule aufeinander zu bewegen. Die GEW fordert, dass Tageseinrichtungen für Kinder und Grundschulen ein gemeinsames Verständnis ihres Bildungs- und Erziehungsauftrages entwickeln und sich methodisch abstimmen. Es sind Curricula zu entwickeln, die Institutionen übergreifend für die Altersphase von der Geburt bis zum Ende der Grundschulzeit reichen. 6. Die Ganztagsschule wird zum größten Feld der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule. Angebote über den ganzen Tag in rhythmisierter Form, im Wechsel von vorstrukturiertem und selbst organisiertem Lernen und Freizeit, mit Erkundungen im Umfeld, mit intensiver Verschränkung von formeller, informeller und nichtformaler Bildung braucht Partner. Ganztagsschulen brauchen die Jugendhilfe mit ihrem gesamten Spektrum von Angeboten und Diensten. Dazu gehören nicht nur die Jugendarbeit, die Jugendsozialarbeit, sondern auch Hilfen zur Erziehung wie Erziehungsberatung und soziale Gruppenarbeit. Die GEW fordert, die Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe partnerschaftlich „auf gleicher Augenhöhe„ zu gestalten. Jugendhilfe ist dabei nicht ‚Dienstleister‘ der Schule, sondern Mitgestalterin des Schulalltags. Schule und Jugendhilfe entwickeln ein gemeinsames Verständnis davon, was es bedeutet ‚Anwalt des Kindes‘ zu sein. 7. Schule kann nur gut funktionieren, wenn das pädagogische Personal nicht ausschließlich aus Lehrerinnen und Lehrern besteht. Die vielfältigen Belastungen und Probleme der Kinder und Jugendlichen sowie die Herausforderung, Schule als Lebensraum zu gestalten, erfordern, dass das Wissen und Können anderer Professionen fest im Schulalltag verankert ist. Seit 25 Jahren gibt es Schulsozialarbeit in vielfältigen Varianten. Sie hat sich in der Praxis bewährt und stellt eine wichtige Bereicherung des pädagogischen Angebotes dar. Von besonderer Bedeutung ist Schulsozialarbeit für Heranwachsende, die in der Schule vom Scheitern bedroht sind und familiäre Probleme haben. Auch soziale Spannungen in der Schule, sei es zwischen den Schülerinnen und Schülern, sei es zwischen Schülern und Lehrern oder Eltern können mit Hilfe der Schulsozialarbeit oft leichter abgebaut werden. Die GEW fordert landesspezifische Stufenpläne mit dem Ziel, Schulsozialarbeit an jeder Schule mit festen Vollzeitstellen unbefristet zu etablieren. 8. Angesichts der desolaten Lage auf dem Ausbildungsmarkt wird die frühzeitig einsetzende und kontinuierliche Information über Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten schon in der Schule immer wichtiger. Es stellt sich die Frage, was Schule zur besseren Vorbereitung junger Menschen auf die Bewältigung der Anforderungen des Übergangs beitragen kann. Ihr Beitrag zur Berufsorientierung junger Menschen beschränkte sich lange auf die Angebote des Faches Arbeitslehre und Betriebspraktika. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass diese traditionellen Formen schulischer Berufsorientierung keineswegs alle Schülerinnen und Schüler ausreichend auf die Bewältigung der Anforderungen des Übergangs von der Schule in den Beruf vorbereiten. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass Jugendliche gegen Ende ihrer Schulzeit eine einigermaßen geklärte und durch Erfahrung in der Arbeitswelt überprüfte Vorstellung von für sie geeigneten beruflichen Alternativen entwickelt haben. Durch die Schule geschaffene und/oder durch die Praktikumserfahrungen entwickelte Beziehungen zu Betrieben und Erfahrungen in der Arbeitswelt können für so vorbereitete junge Menschen den Zugang zu einer Ausbildung erheblich erleichtern. Gemeinsames Kennzeichen all dieser Versuche sind intensivierte Kontakte zwischen allgemein und berufsbildenden Schulen, Jugendhilfe und Betrieben und die Entwicklung von Praxis und Arbeitsweltbezügen der Schule zu einem kennzeichnenden Merkmal des Schulprogramms. Die GEW fordert die Einrichtung dauerhafter Angebote zur Orientierung, Begleitung und Unterstützung junger Menschen in der für die Verteilung von Lebenschancen entscheidenden Phase des Übergangs von der Schule in den Beruf. Alle beteiligten und betroffenen Akteure vor Ort und in der Region (u.a. Schulen aller Schulformen, Arbeitsverwaltung und Jugendhilfe) müssen dabei zusammenwirken. 9. Bereits seit den 80er Jahren, in den neuen Ländern seit den 90ern, ist der Übergang von der Schule, besonders von der Sonderschule und der Hauptschule in die Berufswelt immer risikoreicher. Das duale System leistet die Integration junger Menschen mit schlechterem Schulabschluss nicht mehr. Die sich in den letzten Jahren stetig wandelnden Anforderungen an (zukünftige) Auszubildende und die Kompetenzen der Schulabgänger klaffen stark auseinander – ein Problem, das durch den Mangel an Ausbildungsstellen weiter verschärft wird. Der Übergang von der Schule in die Berufsausbildung hat sich zu einem Prozess entwickelt, in dem Berufsvorbereitungsklassen an berufsbildenden Schulen, unter anderem von der Bundesagentur für Arbeit geförderte Maßnahmen der Jugendberufshilfe und anderer Bildungsträger für einen größeren Teil der Jugendlichen wichtige Stadien auf dem Weg zu einer Berufsausbildung geworden sind. Die Wirksamkeit dieser berufsvorbereitenden Maßnahmen im Anschluss an eine oft problematische Schulkarriere wird mit Recht immer wieder in Zweifel gezogen, denn neben allen positiven Effekten, die sie für einen Teil der betroffenen Jugendlichen haben, erweisen sie sich für andere als Warteschleifen, in denen ihre Chancen auf einen gelingenden Berufseinstieg wie auch ihre Berufs- und Lernmotivation weiter absinken. Dies gilt insbesondere für die Jugendlichen, die nur auf Grund der desolaten Lage auf dem Ausbildungsmarkt in die Maßnahmen gedrängt werden – die so genannten ‚Marktbenachteiligten‘. Die GEW fordert, dass für diese „Marktbenachteiligten„ nicht berufsvorbereitende Maßnahmen, sondern vollqualifizierende Ausbildungsgänge angeboten werden. Insgesamt müssen die verschiedenen Maßnahmen zu einem sinnvollen und kohärenten System der Benachteiligtenförderung weiterentwickelt werden, das alle Bildungsbereiche umfasst. Kernstück und zentrales Ziel dieses umfassenden Förderkonzepts ist die berufliche Qualifizierung und Integration der Jugendlichen: Ihre Kompetenzen sind zu fördern, sie müssen beim Einstieg in die Berufsausbildung gezielt unterstützt und kontinuierlich beraten werden. 10. Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf zu unterstützen, gehört zu den zentralen und wichtigsten Aufgaben von Schule und Jugendhilfe. Angesichts der hierzulande besonders starken Abhängigkeit der Bildungsmöglichkeiten vom Migrationshintergrund, von sozialer Herkunft, sind Schule und Jugendhilfe gemeinsam gefordert, wesentlich deutlichere Anstrengungen zum Ausgleich sozialer Benachteiligung zu unternehmen. Häufig ist für Kinder aus bildungsarmen Familien eine Unterstützung in den Lernbereichen ebenso erforderlich wie bei der Entwicklung der Persönlichkeit und des Sozialverhaltens. Deshalb ist eine stärkere Verschränkung von schulischen und Jugendhilfeangeboten erforderlich. Das betrifft zum einen Angebote der Jugendsozialarbeit zur Unterstützung der schulischen Integration. Schulen können den tatsächlichen Bedarf und seine Ausprägungen deutlich machen und intensiver mit vorhandenen Einrichtungen kooperieren. Einrichtungen der Jugendsozialarbeit und der Hilfen zur Erziehung können auch in der Schule selbst präsent sein und ihre Arbeit mit dem schulischen Förderangebot koordinieren. Die GEW fordert, Kinder und Jugendliche mit Benachteiligungen oder Behinderungen nach den Prinzipien der Inklusiven Pädagogik so zu fördern, dass sie ihre Schulzeit mit einem qualifizierten Abschluss beenden. Es müssen rechtliche Grundlagen dafür geschaffen werden, dass Schule und Jugendhilfe aufeinander abgestimmte Förderpläne entwickeln können und dass die Jugendhilfe auch direkt die Gestaltung fördernder Lernbedingungen übernehmen kann. 11. Die Beteiligungsrechte und -möglichkeiten der Kinder und Jugendlichen und ihrer Eltern sind in Schule und Jugendhilfe unterschiedlich intensiv ausgebaut. Die Verstärkung der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule darf nicht zum Abbau der weitergehenden Rechte in der Jugendhilfe führen. Sie muss dazu genutzt werden, dass die Mitwirkungsrechte von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern gestärkt werden, damit sie bei der Ausgestaltung der Bildungsangebote in qualitativer und quantitativer Hinsicht in und außerhalb der Bildungseinrichtungen mitentscheiden können. Die GEW fordert, in den Schul und Jugendhilfegesetzen der Länder die gleichberechtigte Mitwirkung aller Beteiligten zu verankern. “

Quelle: http://www.gew.de/Binaries/Binary9232/Antrag3.7.pdf

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