KURZBERICHT ÜBER DIE FACHTAGUNG AM 10.SEPTEMBER 2007 IN DER KATHOLISCHEN FACHHOCHSCHULE KÖLN Ein Bericht von Franziska Schulz, LAG KJS NRW: “ Großen Anklang fand mit 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Tagung „Interreligiöse Jugend(sozial)arbeit – Perspektiven für Bildung und Sozialarbeit – Anfragen an Religionsgemeinschaften und Politik“, die am 10. September 2007 an der Katholischen Fachhochschule Köln stattfand. Eingeladen hatten als Veranstalter neben der Katholischen Fachhochschule Köln (KFH NW) die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS), die Türkisch-Islamische Anstalt für Religion e.V. (DITIB), die Landesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit Nordrhein-Westfalen (LAG KJS NRW) und das Referat für Interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln. In seiner Begrüßung betonte Prof. Karl-Heinz Schmitt, Rektor der KFH NW, den Auftrag der interreligiösen Jugend(sozial)arbeit, Menschen in Beziehung zu sich und anderen zu bringen. Interreligiöse Arbeit führe Menschen zur Freiheit und könne somit auch als eine Form der sozialen Arbeit verstanden werden. Bekir Alboga, Referatsleiter für interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit der DITIB, wies in seinem Grußwort auf den gemeinsamen Auftrag aller – auch religiöser – Gruppen hin, Jugendliche für ein gemeinsames Morgen vorzubereiten, Chancengleichheit herzustellen und Diskriminierung zu vermeiden. Dr. Tarek Badawia von der Universität Mainz erläuterte die Rolle der interreligiösen Jugend(sozial)arbeit als einen Beitrag zur Identitätsentwicklung aus muslimischer Sicht. Er hob hervor, dass religiöse Identität nur eine Dimension in der Identitätsentwicklung Jugendlicher sei. Leider würden Muslime momentan in der öffentlichen Meinung fast ausschließlich unter dieser Dimension betrachtet. Da die muslimische Lebensgestaltung in der Öffentlichkeit schnell unter Generalverdacht stehe bzw. als Gefahr für die Sicherheit wahrgenommen werde, erlebten sich viele jugendliche Muslime in ihrer Lebensgestaltung grundsätzlich im Widerspruch zur übrigen Gesellschaft. Badawia betonte, dass Identität sich stets in einem Wandlungsprozess befinde und nicht als statisch zu verstehen sei. Das habe als Konsequenz, Abschied von einem historisierten Selbstverständnis mit ausschließlich traditierten Wert- und Rollenverständnissen zu nehmen. Jugendlichen müsse klar gemacht werden, dass ihre Lebensrealität hier in Deutschland zu finden und auch diese als Prozess zu verstehen sei. Dazu gehöre auch, ihnen zu verdeutlichen, dass sie momentan von fanatischen Organisationen mit vereinfachten Sichtweisen umworben würden. Badawia forderte die Religionsgemeinschaften auf, insbesondere auch tabuisierte Themen aufzugreifen und dazu Stellung zu nehmen und sich mit den Jugendlichen auseinanderzusetzen. Die Diskussion dieser Themen könne man keinesfalls irgendwelchen Internetforen überlassen. Er hob hervor, dass für die meisten muslimischen Jugendlichen vor allem Fragen der Freizeitgestaltung, Schul- und Berufsausbildung viel eher von praktischem Interesse seien als Fragen des religiösen Alltags. Da sich die muslimischen Gemeinden aus seiner Sicht noch nicht ausreichend innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft mit ihren Positionen auseinander gesetzt hätten, halte er eine interreligiöse Jugend(sozial)arbeit noch für verfrüht. Prof. Josef Freise verwies in seinem Vortrag zum Beitrag der interreligiösen Jugend(sozial)arbeit zur Identitätsentwicklung aus christlicher Sicht auf das Phänomen, dass fundamentalistische Strömungen sowohl bei muslimischen wie auch bei nicht-muslimischen Jugendlichen zu erkennen seien. Allerdings äußere sich Fundamentalismus bei Nicht-Muslimen als säkularer Fundamentalismus in Form von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus. Jeder Form des Fundamentalismus müsse in jedem Fall entgegen gewirkt werden. Als alamierend nannte Freise Ergebnisse aus zwei kürzlich veröffentlichten Diplomarbeiten an der KFH NW, in denen eine Mehrheit muslimischer Jugendlichen, die in Jugendzentren befragt wurden, sich als nicht willkommen in Deutschland erlebten, eine fundamentalistische Auslegung des Korans vertraten und den Wunsch äußerten, später nicht in Deutschland zu leben. Auch wenn diese Befragung wissenschaftlich nicht repräsentativ zu verstehen sei, müsse man diese Aussagen ernst nehmen. Notwendig für eine interreligiöse Jugend(sozial)arbeit sei zum einen, sowohl christlichen wie auch muslimischen Jugendlichen Wissen um deren je eigenen religiösen Grundlagen zu vermitteln. Desweiteren schlug Freise interreligiöse Gesprächsrunden und Workshops zu vielfältigen Themen des Glaubens und des alltäglichen Miteinanders vor. Prof. Ahmet Toprak von der Fachhochschule Dortmund berichtete von seinen Erfahrungen als Trainer in Anti-Agressionstrainings für gewaltbereite muslimische Jugendliche. Er erläuterte gewaltfördernde Indikatoren, wie geringe Schulbildung und Berufsausbildung, schlechte soziale und ökonomische Rahmenbedingungen, Diskriminierungserfahrungen, eingeschränkte verbale Fähigkeiten und Gewalterfahrungen im eigenen sozialen Umfeld. Diese seien jedoch nicht spezifisch für muslimische Jugendliche, sondern auch bei nicht-muslimischen Jugendlichen zu erkennen. Bei muslimischen Jugendlichen spielten zudem Männlichkeitskonzepte wie Solidarität und Loyalität gegenüber den Freunden und eine bedingungslose Verteidigung weiblicher Familienmitglieder oft eine wichtige Rolle bei gewalttätigem Verhalten. Toprak schilderte anhand anschaulicher Bespiele, in welcher Weise er sich in seinem konfrontativen Ansatz in den Anti-Aggressionstrainings mit den Jugendlichen und deren Verständnis von Begriffen und Werten wie bspw. „Ehre“ auseinandersetzte. In der Podiumsdiskussion am Nachmittag zu Erfahrungen und Perspektiven der interreligiösen Jugend(sozial)arbeit merkte Seyda Can, muslimische Theologin der DITIB an, dass für ihre religiöse Jugend(sozial)arbeit noch nicht die notwendigen finanziellen und rechtlichen Voraussetzungen zu Verfügung stünden, da DITIB bspw. kein anerkannter Träger der Jugendhilfe sei. Demgegenüber plädierten Teilnehmer aus dem Podium für eine interkulturelle Öffnung der Einrichtungen und für mehr gemeinsame Angebote, in denen sich muslimische und nicht-muslimische Jugendliche begegnen könnten und wiesen auf die Gefahr hin, dass sich die Jugendarbeit der DITIB zu sehr separiere und somit die Integrationsbemühungen weniger fördere. Alboga stimmte zu, dass es für eine interkulturelle Öffnung vielfältige Wege gebe. Allerdings dürfe man den Muslimen die Einladung bspw. der DITIB an die deutsche Öffentlichkeit in die Moscheegemeinde nicht automatisch als Islamisierungsbemühung unterstellen. Bischof Dr. Franz-Josef Bode und Pater Franz-Ulrich Otto riefen dazu auf, an den Gemeinsamkeiten der Religionen zu arbeiten und die gemeinsamen Themen, die für Jugendliche relevant sind, in der Arbeit aufzugreifen. Vesna Varga, Mitarbeiterin des Jugendmigrationsdienstes Bonn berichtete aus ihrer Praxis, in der muslimische Jugendliche vor allem mit existenziellen Problemen, wie Fragen der berufliche Zukunft, Wohnsituation, finanzielle Sicherheiten etc., konfrontiert seien. In den letzten Jahren habe sie allerdings auch eine Wandlung im Verhalten bei einigen muslimischen Jugendlichen erkennen können, wie verstärktes Tragen des Kopftuchs, engere Auslegung des Korans etc. Alle Podiumsteilnehmer verwiesen auf die Notwendigkeit, nicht nur auf die Probleme des interreligiösen und interkulturellen Miteinanders aufmerksam zu machen, sondern auch auf die Ressourcen bei den Jugendlichen zu schauen. Auch wenn man schon auf einem guten Weg sei, müsse auf beiden Seiten weiterhin Vertrauen aufgebaut werden. “ Eine ausführliche Tagungsdokumentation wird von den Veranstaltern erarbeitet und zu einem späteren Zeitpunkt in den Jugendsozialarbeit News veröffentlicht.
Quelle: LAG KJS NRW