Von Couch zu Couch oder gar kein Dach über dem Kopf?

Die BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W) hat ihre aktuelle Schätzung zur Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland vorgelegt: In 2016 waren demnach ca. 860.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung – seit 2014 ist dies ein Anstieg um ca. 150 %. Die BAG W prognostiziert von 2017 bis 2018 einen weiteren Zuwachs um ca. 350.000 auf dann ca. 1,2 Millionen wohnungslose Menschen. Das wäre eine weitere Steigerung um ca. 40%. Seit dem Jahr 2016 sind die Schätzung wohnungsloser anerkannter Flüchtlinge eingeschlossen. Im Jahr 2016 betrug die Zahl der wohnungslosen Menschen ohne Einbezug wohnungsloser Flüchtlinge gut 420.000. Die Zahl der wohnungslosen anerkannten Flüchtlinge schätzt die BAG W auf ca. 440.000 Menschen.

860.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung

„Als Gründe für den Anstieg nannte der Geschäftsführer der BAG W, Thomas Specht neben der Zuwanderung eine seit Jahrzehnten verfehlte Wohnungsbaupolitik in Verbindung mit einer unzureichenden Armutsbekämpfung. Die Vorsitzende der BAG W, Karin Kühn, forderte von der kommenden Bundesregierung einen Wohnungsgipfel und einen nationalen Aktionsplan zur Überwindung von Wohnungslosigkeit. Für die Planung sei eine gesetzlich verpflichtende bundesweite Erhebung nötig.

Caritas und Diakonie verlangten ein koordiniertes Vorgehen der politisch Verantwortlichen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Der Verlust von Wohnraum müsse frühzeitig verhindert werden. Neben der Schaffung von neuem, preiswerten Wohnraum spricht sich der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, dafür aus, dass der Staat sich Belegrechte sichere, Wohnraum zurückkaufe und gegen Leerstände vorgehe, die nur Spekulationszwecken dienten.

Die BAG W beklagt, dass das Angebot an bezahlbarem Wohnraum ständig schrumpfe. Der Bestand an Sozialwohnungen sei seit 1990 um rund 60 Prozent auf rund 1,2 Millionen Wohnungen 2016 gesunken. Bis 2020 würden weitere 170.000 Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Der Staat habe zudem eigenen Wohnungen an private Investoren verkauft.

Insgesamt fehlen laut BAG W mindestens 11 Millionen Kleinwohnungen. Dies habe vor allem in Ballungsgebieten zu einem Anstieg der Mieten geführt. Der besonders großen Nachfragegruppe von Einpersonenhaushalten (16,8 Millionen Menschen) habe 2016 ein Angebot von 5,2 Millionen Ein- bis Zweizimmerwohnungen gegenüber gestanden.

Struktur der Wohnungslosigkeit

Die BAG W hat mit ihrer zahlenmäßigen Schätzung auch Informationen zur Struktur der Wohnungslosigkeit vorgelegt. Diese berücksichtigen nicht die wohnungslosen Flüchtlinge, da für diese Gruppe der Wohnungslosen keine entsprechenden soziodemografischen Daten verfügbar sind:

  • Ca. 52.000 Menschen leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Seit 2014 (ca. 39.000) ist dies ein Anstieg um 33 %.
  • Ca. 290.000 (70 %) der wohnungslosen Menschen sind alleinstehend, 130.000 (30 %) leben mit Partnern und/oder Kindern zusammen. Die BAG W schätzt die Zahl der Kinder und minderjährigen Jugendlichen auf 8 % (32.000), die der Erwachsenen auf 92 % (390.000). Der Anteil der erwachsenen Männer liegt bei 73 % (290.000); der Frauenanteil liegt bei 27 % (100.000) und ist seit 2011 um 3 % gestiegen).
  • Ca. 12 % der Wohnungslosen sind EU-Bürgerinnen und –Bürger; das sind ca. 50.000 Menschen. Viele dieser Menschen leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Vor allem in den Metropolen beträgt ihr Anteil an den Personen ohne jede Unterkunft auf der Straße bis zu ca. 50 %. Wenn also die „Straßenobdachlosigkeit“ stark durch die EU-Binnenzuwanderung geprägt wird, trifft dies für die Wohnungslosigkeit insgesamt nicht zu.

Sofortmaßnahmen für die am Wohnungsmarkt besonders Benachteiligten

Die Gesamtzahl der Wohnungslosen hat eine neue Dimension erreicht. Ohne massive Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen und ohne spezielle Förderprogramme zur Prävention von Wohnungsverlusten und zur Versorgung der aktuell wohnungslosen Menschen mit eigenem Wohnraum, werde sich die Wohnungslosigkeit in den nächsten Jahren nicht reduzieren lassen, stellt die BAG W klar.

Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums sei zwar Voraussetzung für die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, aber nicht ausreichend. Die BAG W fordert gezielte Maßnahmen ergreifen, um bereits wohnungslose Haushalte wieder mit eigenen Wohnungen zu versorgen, Quoten für die Vermietung von geförderten Wohnungen an wohnungslose Menschen, aber auch die gezielte Akquirierung von Wohnungsbeständen bei privaten Vermietern und der Wohnungswirtschaft.

Solche Maßnahmen könnten durch entsprechende Förderprogramme des Bundes und der Bundesländer flankiert werden.

Einzelne Maßnahmen könnten von der kommenden Bundesregierung sofort umgesetzt werden: Bei der Mietschuldenübernahme zum Wohnungserhalt sollte auch im SGB II die Möglichkeit einer Leistungsgewährung als Beihilfe vorgesehen werden. Die Kürzungsmöglichkeit der Kosten von Unterkunft und Heizung im Rahmen der Sanktionierung von Pflichtverletzungen im Sinne des SGB II – bei den Unter-25-Jährigen sogar in verschärfter Form möglich – sind ersatzlos zu streichen. “

Quelle: BAGW; KNA; epd; DCV

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